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Blackbox: Wie man ein Erklärformat entwickelt

VOCER: Gerret, für das Blackbox.wiki habt ihr zu dritt recherchiert, getextet, gestaltet sowie Videos und Animationen produziert. Sind damit alle Milestones erreicht, die du dir für die Stipendiumsphase gesetzt hast?

Gerret von Nordheim: Für das Stipendium hatte ich mir vorgenommen, ein eigenes onlinejournalistisches Format zu entwickeln. Ein Format, bei dem das UX-Design einer bestimmten Idee folgt und nicht andersherum – in diesem Fall der Idee des Kontextjournalismus. Dieses Ziel haben wir auch erreicht, ja.

Kannst du konkretisieren, was hinter der Idee des Kontextjournaismus genau steckt

Kontextjournalismus setzt da an, wo die aktuelle Berichterstattung aufhört, wo sie ungenau wird, wo wichtige Zusammenhänge journalistischen Praktiken zum Opfer fallen. Wenn beispielsweise jährlich über die steigende Armut berichtet wird, hat der Leser eigentlich keine Chance, aus den Artikeln zu erfahren, was das wirklich heißt: Armut in Deutschland – der Begriff bleibt eine Blackbox. In einem Text ist das auch schwierig zu vermitteln, das wird schnell zu technisch. Bei einem Erklärvideo wird man schnell abgehängt, der Zuschauer will sein Tempo selbst bestimmen.

Wir wollten also eine Form finden, in der sich vergleichsweise trockenes Wissen en passant vermittelt – snackable quasi. Und zwar so, dass man am Ende denkt: Cool, endlich verstanden – das erzähle ich gleich den Kollegen in der Pause. Das ist uns auch ganz gut gelungen, finde ich.

Die Blackbox.wiki-Startseite.

Die Blackbox.wiki-Startseite.

Wie ist die Blackbox entstanden?

Wir haben uns erstmal typische Erklärformate angeguckt und überlegt, was man besser machen kann. Wie kann man beispielsweise die Stärken von den großartigen Kurzgesagt-Videos mit den Vorteilen eines Textes verbinden? Wir haben dann auch mit reinen Videoformaten experimentiert, die Blackbox ist dann aber am Ende ein multimedialer Hybrid geworden. Das fanden die Tester am besten: ein Text und die Möglichkeit, an verschiedenen Stellen erklärende Animationen zu starten.

Wie habt ihr die Formate getestet?

Wir haben dafür richtige Rezeptionsforschung betrieben, analog und digital. Digital mehr quantitativ: Was wird in welcher Reihenfolge wie oft geklickt. Zusätzlich dann aber auch qualitativ, ganz oldschool mit Über-die-Schulter-Beobachtung und Fragebogen, um sicherzustellen, dass wir die Daten auch richtig interpretieren.

Eure Blackboxes sind sowohl für den Desktop als auch für mobile Endgeräte optimiert.

Ja, uns war von Anfang an klar, dass das Format vor allem mobil funktionieren muss. Wir hatten immer den User vor Augen, der auf seine U-Bahn wartet. Und da nichts nerviger ist als schlecht gemachte Responsivität, haben wir uns im Endeffekt dazu entschieden, zwei Versionen zu bauen, die mittels einer Weiche je nach Endgerät-Typ angesteuert werden.

Was waren die größten Hürden, auf die ihr bei der Umsetzung eurer Idee gestoßen seid?

Bei multimedialen Formen gibt es zunächst zwei ganz generelle Probleme – zum einen: Wie verwebe ich verschiedene Formate so miteinander, dass sie ein sinnvolles Ganzes ergeben, dass jeder Teil das Produkt bereichert und gleichzeitig keine Brüche entstehen, die den Rezeptionsfluss stören. Und zweitens: Welches Maß an Interaktivität wird vom User angenommen? Das muss man sensibel ausloten. Daneben war natürlich das ganze Technische eine große Herausforderung, die Programmierung – wir wollten ja alles selbst machen.

Wie habt ihr das gemeistert?

Mit unendlich vielen Stunden bei Youtube und in Coder-Foren wie Stack Overflow.

Welche Kompetenzen muss man deiner Meinung nach mitbringen, um ein innovatives Medienprojekt umzusetzen?

Wichtigste journalistische Grundtugend ist immer: Haltung. Dann: Storytelling, Teamplay und Kreativität. Am Ende kommt es darauf an, dass du eine gute Mischung von Kompetenzen in der Redaktion hast: Coder, Social-Media- und UX-Experten, Datenjournalisten, Fotografen, VJs, Designer, klassische Rechercheure, Edelfedern und, ganz wichtig, Multipotentialists, die alles zusammenhalten. Gleichsam der institutionalisierte Hackathon. Das gibt es leider noch viel zu wenig.

Videos sind überall – ihr habt auch welche produziert. Geht es nicht mehr ohne?

Es geht vor allem nicht mehr ohne Videodenke. Wir kommen vom Fernsehjournalismus und unsere große Leidenschaft war es schon während des Studiums, neue Formate zu entwickeln. Viele journalistische Formen und Praktiken sind bedingt durch technische oder kulturelle Faktoren, die heute längst obsolet sind. Das muss grundsätzlich hinterfragt werden, wenn Journalismus interessant bleiben will. „Das macht man halt so“ geht heute gar nicht mehr.

Passiert das im Onlinejournalismus denn?

Onlinejournalismus war lange Zeit geprägt durch eher starres Formatdenken. Auch weil Text aus banalen technischen Gründen das vorherrschende Medium war. Das bricht jetzt langsam auf. Dadurch entwickeln sich endlich eigene Online-Formate, das ist großartig.