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1 + 1 + 1 = so viel mehr als 3

Wenn Millionen Menschen auf ihren Tablets Zeitung lesen, an ihren Computern fernsehen und mit ihren Smartphones Radio hören – welchen Sinn hat es dann eigentlich noch, von Onlinejournalismus als eigenständiger Gattung zu reden?

Internet = Print + Radio + Fernsehen. Diese gängige Formel beschreibt, dass im Netz alle Medien in einem zusammenkommen. Im digitalen Raum wird eine Fusion vollzogen, die im analogen unmöglich war. Nichts weniger bedeutet der Medienbruch, den wir gerade erleben. Die Folge ist, dass auch alle Gattungen des Journalismus im digitalen Journalismus konvergieren können. Zeitungstexte treten im Internet selbstverständlich neben Radio- und Fernsehsendungen.

Stellt man sich den Journalismus in einem oder zwei Jahrzehnten vor, wird er wahrscheinlich eher in Text/Foto/Ton/Video unterteilt als in Print/Radio/TV. Das heißt nicht, dass alle Zeitungen, Radio- und Fernsehsender aussterben; viele Kollegen werden noch Druckereien und Sendeanstalten beliefern. Aber wichtiger wird der digitale Raum, der 24/7 fast überall verfügbar ist, der keinen Druckschluss kennt und keine Frequenzknappheit, der mit dem Material aus Druckereien und Sendeanstalten ebenfalls einiges anfangen kann. Fast jeder Journalist wird dann eine Art Onliner sein. Weil aller Journalismus auch online ist.

Nur eben: Was ist dann ein Onlinejournalist? Gibt es ihn überhaupt noch?

Stigma „Onlinejournalist“

Seit Ende der neunziger Jahre versteht man unter „Onlinejournalist“ einen Menschen, der an einem journalistischen Angebot im Internet arbeitet. Oft war der Begriff ausgrenzend und stigmatisierend gemeint; noch 2012 ist in neu aufgelegten Lehrbüchern ernsthaft der Rat zu lesen, schwächere Berufsanfänger könnten sich ja erst mal im Billigmedium Internet versuchen. Dazu nur fünf Sätze.

Nicht genug, dass Onlinejournalisten oft deutlich weniger Geld verdienen als andere und wie zweite Klasse bezahlt werden. Sie werden oft auch noch so behandelt: Sie werden geschmäht, weil sie in schlecht ausgestatteten Teams unter irrationalen Erfolgserwartungen zu oft an die Grenzen der Möglichkeiten stoßen, ja: stoßen müssen, nachdem Höherrangige die Lage über Jahre falsch eingeschätzt haben.

Die Wahrheit ist: Der digitale Raum ist ein Zukunfts- und kein Billigmedium. Hier müssen Online-Profis geformt werden. Hier dürfen nicht die schwächsten Berufsanfänger landen.

Die Zeit drängt

In vielen Häusern werden Onlinejournalisten deshalb gerade aufgewertet – und gefordert. Sie müssen jene Experten werden, die den digitalen Raum als publizistische Bühne zu bespielen wissen. Welche Geschichten wollen die Leute sehen, wie verkauft man sie am besten, wie erzeugt man eine schöne Mischung? Wie nutzt man effektiv Bilder, Audios, Videos? Wie baut man eine gute interaktive Grafik, die die Welt noch nicht gesehen hat? Woraus kann man eine App extrahieren? Wie funktioniert dieser Datenjournalismus, von dem man so viel hört? Wie wertet man Social Networks bei der Recherche aus? Wie spielt man mit Twitter und Facebook, statt einfach nur dabei zu sein? Wie geht Live-Journalismus, und was bedeutet Newsblogging?

Wehe, wenn ein Verlag, Radio- oder Fernsehsender heute noch keine Profis herangezogen hat, die Antworten auf diese Fragen kennen. Die Zeit drängt, für die Chefs wie für jeden einzelnen Journalisten.

Natürlich ist es bequemer, sich auf eine der Disziplinen Text/Foto/Ton/Video zu konzentrieren, statt den Digitaljournalismus mitzuerobern – jene Mutterdisziplin, die paradoxerweise erst nach ihren Töchtern die Welt erblickt hat, was manchem die Gewöhnung besonders erschwert. Natürlich ist das auch der Grund, warum Nachwuchsjournalisten noch heute reihenweise als Berufswunsch „Seite Drei“ oder „Feuilleton“ angeben und Angst haben, „Onlinejournalist“ zu sagen. Es ist netter, etablierten Konzepten zu folgen, statt sich selbst in eine herausfordernde Welt zu begeben, in ein Echtzeitmedium, dessen Rahmenbedingungen sich stetig ändern. Es ist aber auch langweiliger. Und riskanter. Digital-Profis sind rar, Feuilletonisten nicht.

Internet > Print + Radio + Fernsehen. Das ist die korrekte Formel. Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Das ist auch der Grund, warum es noch lange Sinn haben wird, Onlinejournalismus als eigenständige Gattung zu begreifen. Vielleicht ist Digitaljournalismus der bessere Ausdruck, weil er mit dem bisherigen Begriff bricht, der zu oft als Schmähwort benutzt wurde. In jedem Fall aber wird diese Gattung derzeit zur zentralen Größe: Sie professionalisiert sich gerade rasant, und sie erfindet das aus finanzieller wie publizistischer Sicht wichtigste Zukunftsgeschäft der Medien.

Wenn man heute einen Preis für digitalen Journalismus vergeben würde, dann sollte man Kollegen auszeichnen, die genau das tun: den guten alten Journalismus so digitalisieren, dass der Journalismus an sich ein Stück weiterkommt.

Und das war das Problem beim CNN Journalism Award 2012.

Als ich im Januar 2012 die eingereichten Beiträge durchging, kam ich unabhängig zu dem gleichen Schluss wie die anderen Jurymitglieder, die nichts mit Netzjournalismus zu tun haben. Wir waren uns unerwartet schnell einig, dass ausgerechnet die Zukunftskategorie Online ein Problem war. Tolle Stücke wurden für Text/Foto/Ton/Video nominiert, aber das Digitale – war im Grunde nur eine Light-Version der anderen Kategorien. Texte, die auch in einer Zeitung hätten stehen können, wurden halt im Internet veröffentlicht. Videos, die im Fernsehen hätten laufen können oder dort tatsächlich gelaufen waren, wurden im Netz präsentiert. Aber was war daran eigentlich wegweisend für Online im Jahr 2012? Was war genuin digital, was neu? Was hatte den Journalismus an sich ein Stück weitergebracht?

Wir beschlossen, den Preis in dieser Kategorie nicht zu vergeben. Ich verstehe das als Signal an die Verlage und Redaktionen, den Onlinejournalisten mehr Raum für Innovatives zu geben. Guter Datenjournalismus, eine kreative App zu einem bewegenden Thema, ein toller Liveblog mit Lesereinbindung: Das alles sieht man im deutschsprachigen Netz noch viel zu selten. Es wird Zeit, dass sich das ändert, was durchaus auch selbstkritisch zu verstehen ist. Es ist bezeichnend, dass die publizistische Welt die meisten, mitreißendsten, coolsten Neuerungen im digitalen Journalismus ausgerechnet zwei krisengeplagten Zeitungen aus dem angelsächsischen Raum verdankt, dem Guardian und der New York Times. Es wird Zeit, von der Kultur dieser Redaktionen zu lernen.

Wenn heute Millionen Menschen auf ihren Tablets Zeitung lesen, an ihren Computern fernsehen und mit ihren Smartphones Radio hören – dann steigen deren Erwartungen. Die Smartphones, Tablets und Computer können mehr als Print/Foto/Ton/Video.

Wir müssen den Leuten, die unseren Journalismus bezahlen sollen, mehr bieten als die Summe der einzelnen Teile.