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Flipintu: „Der Leser muss auf der Bühne stehen“

Welcher Buchempfehlung würden Sie eher Beachtung schenken: Der marktschreierischen Werbung eines Verlags – oder dem begeisterten Hinweis eines Freundes?Verleger Ralph Möllers leitet aus dieser Fragestellung das Konzept für sein Start-up Flipintu ab: Auf der Online-Plattform sollen sich Verlage als Werbetrommel-Rührer ihrer Produkte zurücknehmen und stattdessen Usern die Bühne überlassen. Doch kann das funktionieren? Werden sich Leser tatsächlich zum verlängerten Marketingarm machen lassen? Und sind Buchverlage bereit, auf einer Plattform aktiv zu werden, auf der Bücher nicht notwendiger Weise die erste Geige spielen?

VOCER: Herr Möllers, Sie sind im Begriff, mit Flipintu eine neue Online-Plattform für Leser und Verlage zu starten. Was genau erwartet uns da?

Ralph Möllers: Flipintu ist eine neue Themenplattform. Wir bezeichnen es eigentlich nicht so gerne als Buchplattform, weil es nicht ausschließlich um Bücher geht, sondern darum, Usern Buchvorschläge, Artikel aus dem Web oder aus gedruckten Magazinen nach ihren Interessen zusammenzustellen. Dabei konzentrieren wir uns weniger auf aktuelle Informationen als vielmehr auf die, ich sage immer: Langform von Texten. Also auf die gründliche Information mit kuratierten Inhalten zu Themenprofilen, die der User selber einstellen kann.

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Welche Vorteile ergeben sich für die Buchbranche aus Ihrer Plattform?

Uns ist ganz schnell der Denkfehler im Buchmarketing bewusst geworden, dass man nämlich immer sagt: „So Leute, hier geht es um ein Buch, und du darfst auf dieser Plattform nur mitmachen, wenn du dich für Bücher interessierst.“ Und wenn man da erst einmal eingetreten ist, stellt sich heraus, es gibt zu allem, wofür man sich überhaupt interessieren kann, Bücher. Das haben wir umgedreht und sagen: „Hier geht es um Themen, und zu diesen Themen gibt es auch Bücher.“ Aber es ist auch durchaus denkbar, dass andere Produkte wie Zeitschriftenartikel oder auch völlig andere Produkte dort stattfinden können.

Die Idee mutet ein wenig an wie Pinterest, wo Nutzer ebenfalls zu bestimmten Themenbereichen Produkte vorstellen können. Wird bei Ihnen auch die Vernetzung unter den Usern eine Rolle spielen?

Wir wollen keine Community sein. Wir wollen nicht so etwas wie LovelyBooks sein. Nicht, weil wir das nicht gut finden, sondern weil wir einen anderen Schwerpunkt haben. Natürlich kann man sich bei Flipintu auch über seinen Facebook-Account anmelden und auf diese Weise mit seinen Freunden vernetzt sein. Aber in erster Linie geht es wie bei Flipboard darum, eine gezielte Informationszusammenstellung zu haben. Darüber hinaus gibt es wie bei YouTube die Möglichkeit, eigene Channels zu starten. Wenn man sich gut mit Krimis auskennt, erstellt man einen Krimi-Channel, zu dem man seine Freunde einlädt. Das ist dann wieder eine Form von Vernetzung, die eher dem Muster des Bloggers folgt als dem einer Literatur-Community wie LovelyBooks.

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Welche Rolle spielen Verlage in Ihrem Konzept?

Verlage können Content-Partner bei uns werden und Channels betreiben, die wir prominent präsentieren. Ralph Möllers, der einen Channel aufbaut, macht das erst einmal zu seinem Privatvergnügen und muss selbst sehen, dass die Leute seinen Krimi-Channel auch mögen. Wenn aber ein Verlag Content-Partner wird und Material rund um seine Bücher in dem Channel einstellt, speisen wir diese Inhalte bei den Leuten ein, die sich für die Themen interessieren.  

Das Konzept von Flipintu sieht dann aber vor, dass Verlage sich nicht als Verlag darstellen, sondern sich zu einem bestimmten Thema präsentieren?

Genau. Sie müssen auch gar keinen Channel mit Büchern füllen, die haben wir schon: Wir haben den kompletten Libri-Katalog auf Flipintu und werden anhand der Metadaten von Titeln die thematisch passenden Bücher den entsprechenden interessierten Nutzern präsentieren. Das kann ein Verlag noch mal mit einem Buch-Channel unterstützen, klar. Aber interessant wird es vor allem da, wo der Verlag seinerseits einen Themen-Channel einrichtet. Ein Verlag soll bei uns nicht mehr sagen: „Liebe Leute, interessiert euch bitte für Hanser.“ Sondern er soll sagen: „Hanser betreibt hier einen Channel zu Bilderbüchern oder Literaturnobelpreisträgern oder oder oder.“ Das ist es, was den Flipintu-Nutzer oder den Leser im Allgemeinen interessiert: Nicht der Verlag, der hinter einem Buch steht, sondern das Thema.

Bei Suhrkamp würde Ihr Konzept eher nicht fruchten: Der Verlag ist den Lesern zu sehr ein Begriff, viele Vertrauen auf diesen Namen als Gütesiegel bei der Wahl ihrer Lektüre. Und auch andere markenstarke Verlage dürften ein Problem mit der Herangehensweise haben, oder?

Die Verlage glauben immer noch, dass es wichtig ist, dass ein Titel von ihnen kommt. Suhrkamp mag da vielleicht eine kleine Ausnahme sein, aber in den meisten Fällen ist es so, dass nur ein sehr kleiner Teil der Kunden daran interessiert ist, ob ein Buch von Verlag X kommt. Leser interessieren sich für ein Thema, einen Autoren oder eine Literaturgattung. Man muss als Verlag nicht sich und sein Produkt ins Zentrum setzen, sondern dafür sorgen, dass User ihrem Netzwerk präsentieren, was sie gerade lesen. Der Leser, der User, der Kunde muss auf der Bühne stehen und nicht mehr der Verlag.

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Das ist leichter gesagt, als getan: Zum einen, weil viele Leser sich online womöglich gar nicht ins Rampenlicht stellen wollen. Zum anderen, weil sie doch ziemlich schnell durchschauen würden, dass sie als Werbefiguren instrumentalisiert werden. Wie kann Flipintu diese Probleme lösen?

Das ist ein Missverständnis! Es geht nicht darum, den Leser zu instrumentalisieren, sondern im Gegenteil, ihm Instrumente in die Hand zu geben, die er selbst für seine digitale Präsenz im Netz nutzen kann. Man schiebt also nicht einen verschüchterten Netzbewohner ins Rampenlicht und sagt: „So, nun sing mal schön ein Loblied auf mein Produkt“, sondern man gibt dem Leser gewissermaßen ein Playback und sagt: „Hier, falls du Lust hast, zu meiner Musik zu singen, habe ich ein Playback für dich vorbereitet.“ Wer nicht im Rampenlicht stehen mag, wer also nicht öffentlich auf Facebook & Co. kommunizieren möchte, der lässt es bleiben und wird von uns trotzdem mit interessanten Artikeln, Büchern, Links etc. versorgt.

Bücher werden zunehmend digital gekauft und gelesen. Social Reading ploppt immer häufiger als Buzzword auf; es gibt Projekte, bei denen User gemeinsam Bücher lesen und kommentieren können. Wird die Technik und die Verknüpfung mit dem Lesen das Storytelling verändern?

Nein. Die Digitalisierung hat keine grundlegenden Auswirkungen darauf, wie Geschichten erzählt werden. Es gibt sicherlich neue Formen, die durch die Dimensionen der Kommunikation und der Vernetzung hinzukommen. Aber an unserer Faszination als Menschen für Geschichten, die gut erzählt sind und die man sich gewissermaßen am „digitalen Lagerfeuer“ erzählt, ändert das meiner Meinung nach gar nichts. Ich bin sicher einer der dienstältesten digitalen Verleger in Deutschland, und ich weiß nicht, auf wie vielen Podien ich schon gesessen habe, auf denen diskutiert wurde, ob das Buch ausstirbt oder die Literatur sich grundlegend verändert. Das glaube ich mittlerweile alles überhaupt nicht mehr. Ich glaube zum Beispiel, dass Geschichten, in denen der Leser selbst über Figuren oder Handlungen mitentscheiden konnte, bisher keine nennenswerte Resonanz gefunden haben. Die Leute möchten gerne von einem guten Autor in eine Welt entführt und unterhalten werden. Sie wollen nicht selbst entscheiden, ob der Held seine geliebte Frau bekommt oder nicht. Sie wollen, dass ein Autor sie überrascht und sie – ganz klassisch – Angst und Mitleid empfinden können. Oder wie der große Reich-Ranicki gesagt hat: „In der Literatur geht es um zwei Dinge: Liebe und Tod … der Rest ist Mumpitz.“


Flipintu stellt sich vom 9. bis 13. Oktober zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse vor: Halle 4.0 am Stand B107!

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