Tesla gegen die „New York Times“
Motorjournalisten wird nicht selten eine problematische Nähe zum Gegenstand ihrer Arbeit nachgesagt. Dabei hat die Zusammenarbeit zwischen Redaktionen und der Automobilindustrie System: Um über neue Modelle berichten zu können, sind Journalisten auf Testfahrzeuge angewiesen. Diese werden ihnen, so die gängige Praxis, kostenlos zur Verfügung gestellt. Wird die kostenfreie Ausfahrt aber, auch dies ist gängige Praxis, mit der Einladung zu einer Reise in ein Urlaubsgebiet verbunden, wo das neue Modell vor malerischer Kulisse in Szene gesetzt werden soll, wird zweifellos die journalistische Integrität auf die Probe gestellt und die Berichterstattung angreifbar.
Auch John M. Broder von der „New York Times“ ließ sich einladen, um ein Auto zu Testzwecken zu fahren. Nun ist Broder kein gewöhnlicher Motorjournalist und das Objekt seiner Berichterstattung war kein gewöhnliches Automobil. Als langjähriger politischer Washington-Korrespondent, der zeitweise auch dem Pressekorps des Weißen Hauses angehörte, verfügt er über eine ausgewiesene Expertise zu energie-, umwelt- und klimapolitischen Themen.
So stand nicht nur das über 70.000 Euro teure Modell Tesla S – ein Elektroauto – im Mittelpunkt seines Interesses, sondern auch das von der Herstellerfirma aufgebaute Versorgungsnetz mit so genannten ‚Superchargern’ – Hochleistungsladestationen für die Luxus-Limousinen. Kurzum: Nach der ersten Testfahrt eines Times-Kollegen an der Westküste der USA im September 2012 sollte nun ein Ausflug entlang der Ostküste klären, ob Elektromobilität im Land der weiten Horizonte schon heute tatsächlich ohne Abstriche möglich ist.
Hartes Urteil
Ganz anders als der Kollege kam Broder auf seiner Route, die ihn im Januar 2013 von Washington, D.C. nach Norden über Newark und New York City bis hinauf in den Bundesstaat Connecticut führen sollte, zu dem Schluss, dass Teslas Vision von der Zukunft des Fernverkehrs wenig überzeuge. Er sei auf „Tesla’s Electric Highway“ schlicht und einfach liegen geblieben, so steht es schon in der Überschrift. Die Schlappe des Akkus kam nach Broders Schilderung letztlich nicht überraschend: Sein Fahrbericht lässt nichts Gutes an der jungen Premium-Marke. Er urteilt hart über die vielfach gelobte Ingenieurleistung des Unternehmens und über den Kundenservice.
Broder schürt unverhohlen die Angst vor dem ungewollten Halt auf freier Strecke, vor Stillstand und Kontrollverlust. Sein Bericht liest sich wie eine Tour de Force, bei der winterliche Außentemperaturen, lange Ladezeiten, wechselnde Reichweitenangaben und zum Teil widersprüchliche Tipps des Herstellers dem Fahrer zu schaffen machen. Dieser Bericht, erschienen im Automobilteil der „New York Times“ und illustriert mit einem Foto, das die windschnittige Karosse auf einem Abschleppwagen zeigt, drohte für Tesla zum Fiasko zu werden.
Tesla steht für einige Superlative im noch überschaubaren Sektor für Elektroautos und gilt – auch dank der PR- und Lobbyarbeit des CEO und Co-Gründers Elon Musk – als Vorreiter bei der Konstruktion elektrischer Automobilantriebe. Die globale Energiedebatte und wachsende Sensibilität für die Endlichkeit fossiler Energieträger haben das im kalifornischen Silicon Valley ansässige Unternehmen insbesondere in den USA, Europa und Japan in nur wenigen Jahren bekannt gemacht.
Zu seinen Kooperationspartnern zählen unter anderem Daimler Benz und Toyota. Bislang konnte sich Musk, ebenfalls Gründer des Hightech-Weltraumunternehmens SpaceX und Co-Gründer des Online-Bezahlsystems Paypal, auf einer Woge der Zustimmung wähnen. Die zumal auch im Ton recht barsche Kritik der „New York Times“ traf ihn also entsprechend hart, wenn auch nicht unvorbereitet, hatte Tesla den Testwagen doch mit allerhand Elektronik ausgestattet, die eine lückenlose Überwachung der Fahrt möglich machte.
Tesla schlägt zurück
Schon wenige Tage nach Broders Abrechnung meldete sich Musk über Twitter und in einem Fernsehinterview zu Wort, bis er schließlich mit einem Eintrag in Teslas Firmen-Blog zum publizistischen Gegenschlag ausholte: Nicht nur versuchte er die Vorwürfe mit den aufgezeichneten Leistungs- und Bewegungsdaten zu widerlegen. Auch stellte er dezidiert die professionelle Integrität des Kritikers in Frage, indem er anmerkte, Broders Meinung sei voreingenommen gewesen, da dieser schon in früheren Artikeln eine ausgesprochen negative Haltung gegenüber Elektroautos gezeigt habe. Ähnliche Erfahrungen mit der populären britischen Autosendung Top Gear, bei der das Tesla Modell aus inszenatorischen Gründen negativ vorgeführt worden sei, gibt Musk als maßgeblichen Grund für den Einbau der Kontrolltechnik an, um in Zukunft besser gegen Kritik gewappnet zu sein.
Die Auflistung der aus den Logfiles extrahierten Orts-, Zeit-, Geschwindigkeits-, Temperatur- und allen voran Kapazitätsdaten der Lithium-Ionen-Akkumulatoren des Testwagens, komplementiert mit einigen ausgewählten Diagrammen, suggerieren dem Leser vor allem eines: dass sie die Wahrheit über den tatsächlichen Verlauf der strittigen Testfahrt in sich tragen. In einer zum Teil minutiösen Rekonstruktion der Testfahrt versucht Musk die aufgezeichneten Daten mit den Angaben in Broders Artikel abzugleichen und kommt dabei zu eindeutigen Schlüssen: Broder habe nicht wahrheitsgetreu berichtet und sogar Tatsachen wissentlich verändert – für Musk ein klares „no win scenario“ für sein Auto.
Schnell ging es um scheinbar geringfügige Details, die angesichts der ernsten Anschuldigungen gegenüber dem Reporter jedoch offenbaren, wie akribisch ein Journalist heutzutage Aufzeichnungen anfertigen sollte, um sich im Zweifelsfall glaubhaft verteidigen zu können: Hatte der Reporter die Innentemperatur des Fahrzeugs reduziert oder gar noch erhöht? Wann genau drehte er den Temperaturregler in welche Richtung? Wie lange fuhr er schneller als erlaubt? Und weshalb ist er in einem Zeitfenster von nur wenigen Minuten ständig im Kreis gefahren?
Aufgeregte Diskussion
Auch diverse Stellungnahmen Broders zu den verschiedenen Vorwürfen beruhigten die Diskussion im Social Web kaum. Hunderte von Kommentaren sammelten sich unter den Blogposts von Musk und Broder, bei Twitter und Facebook gewann das Thema eine ganz eigene Dynamik. Es entwickelte sich jedoch nicht nur ein renitenter ‚Shitstorm‘, jene schwallartige Beschwerde- und Verleumdungskommunikation von Nutzern, mit der auch andere Redaktionen und einzelne Autoren immer häufiger zu kämpfen haben. Kritik an der Berichterstattung nahm auch kreativ-konstruktive Formen an: Bereits eine Woche nach Veröffentlichung des vernichtenden Fahrberichts initiierten Kunden eine Aktion, bei der die Testfahrt mit sechs privaten S-Modellen wiederholt und dabei die Fahrdaten in Echtzeit über Twitter vermeldet wurden. Von Batterieproblemen berichtete keiner der Fahrer.
Bei dem ungewöhnlichen publizistischen Kräftemessen zwischen einem gestandenen Journalisten und einem medienaffinen Unternehmer ging es für beide Parteien schnell um alles: um die technologische Integrität eines Zukunftsprodukts und damit den Aktienkurs, aber auch um die journalistische Integrität und damit die Glaubwürdigkeit eines Leitmediums. Hinter der Auseinandersetzung verbirgt sich weitaus mehr als das klassische Austragen von Kritik und Gegendarstellung, bei dem der Journalismus in der Vergangenheit durch seine publizistische Exklusivstellung regelmäßig die Oberhand behielt und es gescholtenen Unternehmen allenfalls übrig blieb zu hoffen, über Umwege mit Presseerklärungen und Werbeanzeigen bei der medialen Konkurrenz Aufmerksamkeit für ihre Sicht der Dinge erzeugen zu können.
Wichtigkeit der sozialen Medien
Zwar berichteten andere Medien über den Streit und unternahmen vereinzelt auch eigene Testfahrten. Der Fall Tesla jedoch zeigt allen voran, wie wichtig die Sozialen Medien in der Unternehmenskommunikation geworden sind und wie effektiv sie mittlerweile eingesetzt werden, um journalistische Urteile anzufechten, alternative Informationsangebote zu lancieren oder aber gar Gegenöffentlichkeiten zu schaffen.
Der Fall Tesla zeigt zudem auf eindrucksvolle Art und Weise, wie die Solidarität einer auserlesenen Kundschaft gestärkt und darüber hinaus auf Nutzer ausgeweitet werden konnte, die mit den Produkten und der Philosophie des Unternehmens sympathisieren. Diese Mobilisierungsprozesse liefen in aggressiver Opposition zur „New York Times ab“ – eine Strategie, die auch deshalb aufging, weil der Ruf der mächtigen Nachrichtenmarke als Glaubwürdigkeitsinstanz angeschlagen ist.
Die „New York Times“ trifft jeder gerechtfertigte Zweifel an der journalistischen Integrität ihrer Mitarbeiter empfindlich. Die Arbeit der Redaktion wird schon seit Jahren von einer Reihe kritischer ‚Watchblogs‘ beobachtet – insbesondere seit mehrere Skandale die Redaktion erschütterten. So stellte sich im Jahre 2003 heraus, dass der aufstrebende Jungredakteur Jayson Blair den Großteil seiner Reportagen und Portraits verfasst hatte, ohne selbst am Ort des Geschehens gewesen zu sein, geschweige denn mit den genannten Personen gesprochen zu haben.
Folgen für das Selbstverständnis der „New York Times“ hatte auch der Skandal um die Reporterin Judith Miller, die im Jahre 2005 überführt wurde, sich in ihren Berichten über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak auf unglaubwürdige Informanten gestützt und damit im Interesse der Regierung George W. Bushs berichtet zu haben.
Die Skandale der Vergangenheit haben den Ruf der „New York Times“ zweifellos ramponiert und nehmen sie in die Pflicht, sich umso stärker für die Aufrechterhaltung journalistischer Tugenden von Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit einzusetzen. Der Journalismus insgesamt ist angreifbar geworden. Er hat seine Exklusivstellung verloren. Dies betrifft sowohl seine Rolle bei der gesellschaftlichen Selbstverständigung als auch seine Macht, Kampagnen zu fahren, Stimmung zu machen und Meinungen zu prägen. Tesla-Chef Musk hat bei Twitter rund 190.000 Follower, die auch als neue Form von Abonnenten gelten können und nicht mehr (allein) die Berichterstattung klassischer Medienmarken verfolgen.
Ein Lehrstück
Tesla vs. „New York Times“ ist deshalb in mehrfacher Weise ein Lehrstück über die Herausforderungen, denen sich der Journalismus in der digitalen Moderne stellen muss:
- Medien- und Journalismuskritik wird öffentlicher, alltäglicher, aber auch substantieller: Das Handeln von Journalisten und die Ergebnisse ihrer Arbeit werden sowohl von Nutzern als auch von Unternehmern mit den publizistischen und diskursiven Mitteln digitaler Medientechnologien öffentlich hinterfragt, korrigiert und herausgefordert.
- Die Loyalität von Lesern, Hörern und Zuschauern zu Medienmarken und ihren Journalisten ist gefährdeter denn je: Journalisten befinden sich mit anderen publizistisch aktiven Akteuren im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit, aber auch um das Vertrauen der Nutzer.
- Die Technik-Abhängigkeit von Journalisten verschärft sich: Das sich hartnäckig haltende Klischee des Berichterstatters, der allein mit einem Zettelblock und Kugelschreiber seinen Recherchen nachgeht, gehört längst der Vergangenheit an. Nicht nur das journalistische Angebot geht mit der Zeit und ist auf immer neuen Kanälen, Plattformen und Endgeräten abrufbar. Vor allem auch handwerklich sind Journalisten immer nachdrücklicher gefordert, emergente Technologien bei der Recherche, aber auch bei der Entwicklung neuer Darstellungsformen zu adaptieren, um ihre Vermittlungsaufgabe angesichts der Fülle verfügbarer Informationen und Daten besser erfüllen zu können.
- Mentalitäten im Journalismus müssen sich wandeln: Die Zukunft wird viele Formen, Kombinationen und Arbeitsmöglichkeiten im Journalismus kennen. Die digitale Moderne ist ein Segen für den Journalismus: Nie gab es mehr Betätigungs-, Ausdrucks- und Vertriebsmöglichkeiten für Journalismus als heute. Dabei geht es nicht darum, sich blind den Wünschen der Nutzer zu unterwerfen, sondern vielmehr um die Bereitschaft, offen für Anregungen und Kritik zu sein, und das nicht nur im Nachhinein, sondern schon während des journalistischen Arbeitsprozesses. Dieser Weg mag beschwerlich sein, doch wird er dabei helfen, sich das Vertrauen der Nutzer immer wieder neu zu verdienen.
Dieser Beitrag ist zuerst auf WPK.org erschienen.