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Finanzierung von Öffentlichkeit

Die digitale Welt ist eine Welt des Überflusses: Noch nie gab es so viele Texte, Töne und Bilder. In jeder Minute des Jahres 2012 wurden 72 Stunden neues Videomaterial auf YouTube geladen. Das sind in einer Woche 725.760 Stunden. Ein 80-jähriger Mensch kann hingegen nur auf 700.800 Stunden Leben zurückblicken. Und YouTube ist nur ein Distributionskanal – neben unzähligen weiteren. So vielfältig, faszinierend, grenzenlos und bisweilen auch abstoßend uns die Inhalte erscheinen, umso anspruchsvoller ist es, das Relevante für uns selbst und für die Gesellschaft zu identifizieren – und dann zu nutzen. In der digitalen Welt des Überflusses wächst die Bedeutung von Sortierern und Einordnern sowie denjenigen, die sich auf Authentizität und konsistente, nachvollziehbare Regeln verpflichtet haben. Man könnte sie auch, ein wenig altmodisch, Journalisten nennen.

Die Finanzierung von Journalismus hat viele Jahre im Großen und im Ganzen funktioniert. Das hat sich geändert. Grundlegend. Der Journalismus, der bislang über Print finanziert wurde, ist akut gefährdet. Eine alternative und adäquate Finanzierung ist (noch) nicht in Sicht. So ist die Finanzierungsfrage untrennbar mit der Sicherung von Vielfalt durch Journalismus verknüpft.

Journalismus war schon immer ein Subventionsgeschäft. Heute stellt sich aber eine alte Frage neu: Wer subventioniert in Zukunft Journalismus, wenn die alten Geschäftsmodelle, also vor allem die Finanzierung über Anzeigen und Werbung, nicht mehr ausreichen? Gewiss mag es manche geben, die meinen, demokratische Gesellschaften kämen in Zukunft ohne die Leistungen eines unabhängigen Journalismus aus. Dieser Auffassung bin ich nicht. Das Qualitätssiegel „Made by Journalist“ muss gerade im Meer der Informationen und der stärker werdenden Vermischung von Information und Meinung als Orientierungsleistung erhalten bleiben.

Was tun?

Was ist zu tun, um diese besondere Variante des Strukturwandels der Öffentlichkeit zu begleiten? Kulturelle und wirtschaftliche Dynamik kann durch Innovation, Passivität oder Kreativität beeinflusst werden. Eine Möglichkeit wäre Passivität, also einfach Nichtstun. Hundert Jahre ist es gut gelaufen für die Verlage, jetzt ist es vorbei. Das ist anderen Branchen auch schon passiert. Wer diese Haltung einnimmt, verkennt die schlichte Tatsache, dass Verlage, dass Medienhäuser, deren Produkte im Kontext gesellschaftlich relevanter Massenkommunikation stehen, immer beides sind: Wirtschafts- und Kulturgut. Die Auswirkungen digitaler Öffentlichkeit machen sich nicht nur überregional, wie bei der Insolvenz der „FR“, bemerkbar, es gibt ein kontinuierliches Schrumpfen der Regional- und Lokalzeitungen. Diese Entwicklung trifft nicht nur Verleger und Journalisten, sondern auch die demokratische Gesellschaft. Hinzu kommt: Nicht sicher ist, ob nicht auch weitere Träger journalistischer Leistungen wie kommerzielle Rundfunkanbieter in den nächsten Jahren in den Strudel dieses digitalen Transformationsprozesses geraten.

Wenn Passivität keine Option ist, lohnen die Auseinandersetzung und der Streit um Lösungen. Denn es gibt nicht nur eine unternehmerische Verantwortung der Verlage, sondern auch eine Verantwortung der Politik und Gesellschaft, wenn man unabhängige und professionelle Medien ins digitale Zeitalter transformieren will. Dabei wird es kaum einen Königsweg geben.

Es ist absurd, dass Beiträge der Politik allein mit Verweis auf die Staatsferne und Freiheit der Medien diskreditiert werden. Die Staatsferne und Freiheit der Medien werden in keiner Weise infrage gestellt, diese Grundwerte sind konstitutiv für die Funktionsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft. Erfreulich wäre vielmehr ein konstruktiver Diskurs mit all denen, die vom digitalen Strukturwandel betroffen sind, nämlich Verleger, Journalisten, Politiker und Mediennutzer. Selbstverständlich sind die Medienhäuser vor allem selbst gefragt, um die ökonomischen Veränderungen zu bewältigen. Sie müssen journalistische Produkte entwickeln und Vertriebswege nutzen, die sich behaupten.

Journalismus stärken

Wahrscheinlich ist, dass manche journalistische Produkte teurer werden müssen. Das kann zu Konsequenzen mit Blick auf die Vielfalt und die Qualität führen. Deswegen lohnt es sich, auch darüber zu streiten, ob Kooperationen, oder noch besser: Coopetition, also Zusammenarbeit und Wettbewerb, Vielfalt und Qualität des journalistischen Produkts sichern helfen können. Es könnten beispielsweise Doppelausgaben vermieden und Parallelstrukturen abgebaut werden, mit dem Ziel, Journalismus zu stärken.

Dies gilt für verschiedene Ebenen, zum Beispiel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Für mich ist unumstritten: Es bedarf eines starken und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch im digitalen Medienzeitalter. Allerdings steht er, wie alle anderen, die einen gesellschaftlichen Auftrag haben und von den Bürgern finanziert werden, in der Verantwortung, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Dann gibt es die Ebene, auf der sich öffentlich und privat finanzierter Journalismus im direkten Wettbewerb begegnen. Für sie gilt ganz besonders: Kooperiert, wo es geht (Jay Rosen). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist vor dem Hintergrund seiner Finanzierung gefordert, in diesem Transformationsprozess den Journalismus sichern zu helfen – auch außerhalb seines direkten Wirkens.

Und auf einer weiteren Ebene geht es um die Fragen der öffentlichen und privaten Finanzierung. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es wird auch zukünftig sehr erfolgreiche private Medienhäuser geben; ganz sicher, verfassungsrechtlich geboten und gesellschaftspolitisch erwünscht, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zentral sind für mich folgende Fragen: Wie viel Vielfalt wollen wir? Wie viel Geld soll wer und warum in die Hand nehmen? Hier kann der Haushaltsbeitrag mehr leisten als bisher, ohne Marktverzerrungen zu bewirken. Auch die Gesellschaft kann mehr: Neue Modelle der Nutzerbeteiligungen, Genossenschaften, Crowdfinanzierung sind nur drei Stichworte.

Ungelöste Fragen

Die Frage, wie Öffentlichkeit zukünftig finanziert werden kann, ist damit nicht gelöst. Die Medienpolitik und die Medienschaffenden tragen aber die Verantwortung dafür, dass gesellschaftlich akzeptierte Konzepte zur Finanzierung von Öffentlichkeit entwickelt werden. Passivität und Obstruktion helfen hier nicht weiter, gefragt sind vielmehr Kreativität und Mut, neue Wege zu gehen. Das gilt auch für den Vorschlag Nordrhein-Westfalens, einen Teil des sich aus § 10 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages ergebenden Anteils gezielt für innovative Projekte zur Sicherung der Rundfunkfreiheit zu verwenden.

Dieser Vorschlag wird aktuell kontrovers diskutiert. Und das ist auch richtig so. Wir müssen über das Wie streiten. Wie können Angebote aussehen, die Vielfalt sichern helfen? Sind Recherchestipendien geeignet, brauchen wir eine bessere Verzahnung zwischen Wissenschaft und Praxis, wie sieht es mit der Weiterbildung aus? Das sind nur einige Fragen, über die wir diskutieren. Und die Diskussion hat gerade erst begonnen, auch deswegen sind Ideen, Anregungen und Vorschläge mehr als gewünscht. Aber eines scheint sicher: Nichtstun wäre das Falsche.


Zuerst erschienen in „Politik & Kultur“ 4/2013.