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Populismus statt Argumente

Illustration: Christiane Strauss

Wer einem Anderen argumentativ nicht (mehr) an den Karren fahren kann, der greift – vor allem hierzulande – früher oder später zur Moral; einfach weil er andernfalls nichts mehr zu sagen hätte. Deutschland hat sechs Millionen Juden ermordet? Ja, schon, aber deshalb immer wieder an den Holocaust zu erinnern, gleicht dem Gebrauch von „Keulen“! Deutschland hat die Weltmeisterschaft nicht gewonnen? Ja, schon, aber nur, weil die Gegner echt unfair gespielt haben! Frauen werden in Deutschland systematisch benachteiligt? Ja, schon, aber wenn Journalistinnen ihren Einfluss für eine Veränderung der Verhältnisse geltend machen, dann ist deren Unabhängigkeit nicht mehr garantiert!

Nicht selten hat man den Eindruck, dass der Vorwurf der Parteilichkeit („Klientelpolitik“) in Deutschland auf fruchtbarsten Boden fällt. Wer sich im Netz oder im öffentlichen Personennahverkehr ein wenig umhört, kann nur noch bass erstaunt sein über das Misstrauen, das Politik und Medien – aka: der öffentlichen Elite – entgegen weht. Alles gekauft, alles Spezlwirtschaft, alles nur Freundschaftsdienst, von Integrität nirgends mehr die kleinste Spur: Weder Zeitungen noch PolitikerInnen wird offensichtlich auch nur ein Wort geglaubt. Ein Journalist, der diesen ewigen Verdacht des Volkes bestätigt, wählt mithin den billigsten Weg zum Erfolg: den populistischen.

Vor mittlerweile fast drei Jahren schrieb Adam Soboczynski in der „Zeit“ einen klugen Artikel über dieses Phänomen des „Wir glauben euch eh nicht“ – und wie es der politischen Kultur schade. Und nun hat Thomas Tuma im „Spiegel“ also sein Scherflein beigetragen, indem er dem Verein Pro Quote einen – freilich den Journalismus in seinen ach so unabhängigen Grundfesten erschütternden – Lobbyismus vorgeworfen hat. Und wie immer fand sich einer, der diesen Vorwurf mit einem lautstarken „Selber!“ abtun wollte (diesmal hat Wolfgang Michal von Carta den Job übernommen).

Ein von Männern regiertes Land

Selbstredend darf man sagen, was „das Volk“ angeblich ohnehin denkt (auch wenn man sich von einem guten Journalisten anderes erwartet hätte). Tuma hat nur ein klitzekleines Detail vergessen, obwohl er ziemlich nah dran war. In seiner Erwiderung auf die Kritik an seinem „Essay“ zählt er seine „Argumente“ noch einmal auf. Das erste davon lautet:

Er [der Verein Pro Quote] ist mit 150 zahlenden Mitgliedern ein ebenso kleiner wie sehr lauter Club, der sich schon qua Satzung anschickt, für die Durchsetzung seiner Interessen (30 prozentige Frauenquote in Führungspositionen deutscher Medien) die eigenen Medien als Transmissionsriemen zu missbrauchen.

Was er dabei vergisst? Nun: Der Verein Pro Männerquote hat in Deutschland zwar kein einziges zahlendes Mitglied, er existiert offiziell nicht einmal, aber er betreibt dennoch, und das ganz ohne legitimierende Satzung, die Durchsetzung seiner Interessen (eine weit über 30-prozentige und auch weit über 50-prozentige Männerquote in Führungspositionen deutscher Medien). Anders lässt es sich jedenfalls nicht erklären, dass ein Land, das etwa zur Hälfte aus Männern und zur Hälfte aus Frauen besteht, zu mindestens 80 Prozent von Männern – politisch, ökonomisch und medial – regiert wird. Oder wissen Sie vielleicht, welchen „objektiven“ Grund es dafür gibt? Eben.

Eine Reaktion auf die Männerquote

Die Forderung nach einer Frauenquote ist schließlich keine actio, sondern eine reactio: eine Reaktion auf eine nicht gesetzlich festgeschriebene, aber zweifellos existente Männerquote in deutschen Führungspositionen. Und diese Forderung steht durchaus im Dienste des unabhängigen Journalismus. Denn um den sollte man sich besser große Sorgen machen, wenn er mehrheitlich von weißen Männern produziert wird. Aber sicher nicht, wenn Machtminderheiten ostentativ um Einfluss ringen.

Eine schwedische Studie lieferte vor kurzem immerhin eine Erklärung dafür, dass die Versuche der Besitzstandswahrung immer gar so peinlich daherkommen. Der Wissenschaftler Torsten Persson analysierte, wie der „Freitag“ berichtet,

penibel die Wahllisten aller Kommunalwahlen in Schweden seit 1988. Er wollte herausfinden, was sich ab 1993 änderte, nachdem die dortige sozialdemokratische Partei eine Reißverschlussquote einführte. Frauen und Männer wurden auf der Kandidatenliste abwechselnd aufgestellt. Und siehe da, es kam ein erstaunliches Ergebnis zutage: Nicht Männer generell, sondern lediglich weniger kompetente Kandidaten hatten das Nachsehen.

Thomas Tuma hat mithin allen Grund, sich zu fürchten.