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Den Zuschauern einen Teil des Kommandos geben

Fernsehen kann Gefühle transportieren. Also hauen wir Fernsehjournalisten gern auf die ganz große Klangschale: Wir suchen das Entsetzen, das Schlimme, Angstmachende, Besorgniserregende. Für Zwischentöne ist in unserem Medium wenig Platz.

Im Schwarz-Weiß-Fernsehen zwischen knallseriös und Boulevard geht viel verloren. Positive Geschichten werden kaum erzählt, die Vielschichtigkeit der Welt wird ignoriert. „Der Zuschauer will eine klare Haltung und eine klare Botschaft“, ist das Credo vieler Redaktionen. „Wir brauchen einen Feind und eine Lösung, kein Entweder-oder.“

Ich bin mir nicht so sicher, dass das stimmt.

Wenn ich recherchiere, hadere ich manchmal damit, welche Perspektive auf ein Problem die richtige ist, welcher Gesprächspartner Recht hat – oder ob nicht alle mit ihrer eigenen Wahrheit zu verstehen sind. Ich weiß auch nicht, ob das Klischeebild vom letztlich desinteressierten oder uninformierten Publikum stimmt.

In den neunziger Jahren steckengeblieben

Meine Zweifel sind meinen Beiträgen selten anzusehen. Oft muss ich mich für eine Seite entscheiden und eine geradlinige Geschichte erzählen. Ich glaube, dass ich dadurch jene Zuschauer verliere, die ihre subjektive Sichtweise nicht im Beitrag wiederfinden, und objektiv erzähle ich eine schlechtere, weniger komplette Geschichte, als ich könnte.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich glaube nicht, dass Radio- und Fernsehjournalismus in Deutschland per se schlecht ist. Verglichen mit anderen Ländern geht es uns gut. Viele Journalisten können hier von ihrem Beruf leben; gerade das öffentlich-rechtliche System leistet sich viele Sendungen, die informieren, aufklären, hinterfragen. Und trotzdem: Gerade der Fernsehjournalismus ist gefühlt in den neunziger Jahren stecken geblieben. Er ist oft staubtrocken, eindimensional, wenig interaktiv, die Möglichkeiten des Internets werden von den wenigsten Redaktionen genutzt. Warum? Die Antwort darauf berührt drei ungeschriebene Regeln:

  1. Journalismus soll keine Unterhaltung sein – und umgekehrt. Wenn’s Spaß macht, kann es gar nicht ernst gemeint sein.
  2. Journalisten lassen sich nicht in ihre Arbeit reinreden. Wir sagen, was wichtig ist, wo kämen wir sonst hin?
  3. Journalisten offenbaren möglichst wenig über ihre Recherche. Wir machen gern ein Geheimnis aus unserer Arbeit und reden nicht mit Leuten, die uns lesen, hören, sehen.

Die Regeln 1 und 2 sollen Seriosität und Unabhängigkeit garantieren. Regel 3 soll vor allem den Mythos und das Herrschaftswissen schützen. In der Praxis führt Regel 1 oft dazu, dass Fernsehjournalismus entweder so seriös ist, dass man einschläft vor lauter Finanzamtscharme. Oder er trieft vor Empörung, Hiobsbotschaften und angeblich schlimmen Enthüllungen, so dass man sich gleich vergraben lassen möchte.

Wir müssen um Glaubwürdigkeit kämpfen

Die Regeln 2 und 3 können bewirken, dass wir am Publikum vorbeirecherchieren, Chancen verpassen und außerdem nicht mitkriegen, wie wir Zuschauer enttäuschen. Oder verprellen. Das rächt sich. Wir verlieren Unterstützung und Glaubwürdigkeit, und Letzteres ist unser größtes Pfund.

Ich glaube, dass wir den Zuschauern einen Teil des Kommandos geben müssen.

Wir müssen sie teilhaben lassen am Entstehen unserer Geschichten. Wir müssen sie ernstnehmen und zuhören lernen. Wir müssen ihre Anregungen prüfen, über ihre Kritik diskutieren, kurz: ernsthaft den Dialog führen. Kritische Fragen lassen sich nicht mehr abtun wie einst, als es bloß Leserbriefseiten und Zuschauertelefone gab; Chats nach der Sendung und Pseudoaktionen auf Facebook sind auch zu wenig. Journalisten müssen sich grundlegend öffnen, um besser zu werden und ihr Publikum immer neu zu werben. Sie müssen so gesprächsbereit und transparent werden, wie es nur geht.

Um auch hier nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich muss eine Nachrichtenredaktion nicht ihre Zuschauer fragen, ob sie ein Kamerateam zu einer Pressekonferenz von Peer Steinbrück schicken soll. Natürlich muss man eine investigative Recherche im Zweifelsfall erst mal für sich behalten. Und natürlich hat der Journalist immer noch die letzte Verantwortung, daher das letzte Wort.

Wie werden wir unabhängig von Zwängen der TV-Branche?

Aber wenn eine Geschichte erzählt ist, dann ist das heute in Wahrheit nicht mehr das Ende einer Auseinandersetzung mit dem Thema – sondern ein neuer Anfangspunkt. Journalisten müssen spätestens nach einer Sendung auf die digitalen Marktplätze gehen und schauen, was geredet wird. Sie müssen mitreden, -chatten, -twittern, -kommentieren, nicht weil es die Marketingabteilung verlangt, sondern weil es in ihrem eigenen Interesse ist, mehr Geschichten, Sichtweisen und Wahrheiten kennen zu lernen.

Noch besser ist es, sie tun all das vor einer Sendung. Das ist das Experiment, das ich in diesen Wochen starten will: Fernsehen machen, das mit den Fernsehregeln bricht. Weil es ein neues Verhältnis zu den Zuschauern versucht; sie permanent bei der Recherche nach ihrer Meinung und ihren Fragen fragt; ihren Spuren nach- und in die Tiefe geht, kurz: sich unabhängig von Zwängen der TV-Branche macht.

Damit wir erst gar nicht Gefahr laufen, in die gewohnten Senderabläufe zu geraten, wollen wir das Geld per Crowdfunding zusammenkommen, und der Anfang dieses Experiments ist schon mal interessant. Das Publikum hatte vier Themen zur Auswahl, über die ich in sechs Monaten, sechs Folgen à zehn Minuten berichten würde. Es hat sich nicht für Liebe 2013 oder derlei entschieden, sondern für das vermeintlich trockene Thema: Datenschutz – wie man im Netz wieder Hoheit über seine Informationen erlangt. Die ersten Links, Tipps und Anregungen sind bereits an mich geschickt worden. Das Prinzip scheint zu funktionieren.

42.000 Euro soll die knapp kalkulierte Produktion kosten. Vielleicht kommt das Geld zusammen, vielleicht nicht, trotzdem ist jetzt Zeit für solche Experimente. Weil vermutlich das Publikum am Ende mehr Verantwortung für guten Journalismus übernehmen muss, falls es in der klassischen Fernsehwelt so weitergeht wie bisher.

Das Internet sortiert die Medienlandschaft und ihre Geschäftsmodelle neu, außerdem das Verhältnis von Journalisten und Publikum. Wenn es gut läuft, entsteht ein neuer Journalismus, an dem wir alle teilhaben. Und gerne Anteile haben.


Dieser Beitrag ist auch bei „Süddeutsche.de“ erschienen.

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