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Kachelmann-Bild-Urteil: Kein Freibrief für Gerichtsreporter

Eines kann man dem Axel Springer Verlag mit seiner Boulevard Zeitung „Bild“ – und jetzt auch wohl seinem digitalen Ableger „bild.de“ – nun wirklich nicht vorwerfen: für das Presserecht der Republik in den letzten Jahrzehnten nicht vehement „gekämpft“ zu haben. Mal ging man dabei als Gewinner, mal als Verlierer vom Platz. Jetzt kam es zwischen Jörg Kachelmann, seinem Medienanwalt Ralf Höcker auf der einen und dem Onlineportal „Bild.de“ auf der anderen Seite zu einem „Nachspiel“ vor dem Bundesgerichtshof.

Die Fakten: Der Fernsehmoderator und Journalist war im Mai 2011 durch ein inzwischen rechtskräftiges Urteil von den Tatvorwürfen der schweren Vergewaltigung und gefährlichen Körperverletzung freigesprochen worden. Kurz nach seiner Verhaftung im März 2010 begann seinerzeit eine intensive Medienberichterstattung über die Vorwürfe. Ein Ermittlungsverfahren war eingeleitet worden.

Noch vor Eröffnung der Hauptverhandlung berichtete „Bild.de“ auf seiner Internetseite über intime Details aus der Tatnacht. Anlass des Artikels waren bekannt gewordene Passagen aus der Vernehmung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter. Das Protokoll dieser Vernehmung mit den intimen Details wurde später in der öffentlichen Hauptverhandlung im Strafverfahren verlesen, ohne dass es seitens der Verteidigung von Jörg Kachelmann Einwände dagegen gab. Diese Art von Gerichtsberichterstattung solle „Bild.de“ in Zukunft gefälligst unterlassen und verboten werden, forderte sein Anwalt von den Bundesrichtern. Die aber wiesen die Klage ab. Zufriedene Gesichter auf Seiten der Prozessvertreter von „Bild.de“.

Doch es gibt absolut keinen Grund, das Onlineportal „Bild.de“ nach diesem Urteil jetzt als Retter der Pressefreiheit hoch zu stilisieren und zu feiern. Denn die Bundesrichter haben sehr klar gesagt: Die Veröffentlichung vor Beginn der Hauptverhandlung verletze Jörg Kachelmann in seinen Persönlichkeitsrechten und hätte eine mögliche Stigmatisierung bewirken können. Die Unschuldsvermutung sei in diesem Fall bei „Bild.de“ wohl auch auf der „Strecke“ geblieben. Diese Veröffentlichung im Vorfeld auf „Bild.de“ war also eindeutig rechtswidrig. In diesem Punkt wäre Jörg Kachelmann mit seiner Unterlassungsklage klar durchgedrungen, wie dies in drei anderen Verfahren gegen Presseorgane am selben Tag vor dem BGH der Fall war.

Aber dem Kläger Kachelmann ging es dann vor dem BGH wie dem Torwart in der „Nachspielzeit“ auf dem Fußballfeld. Er kassierte dann doch noch ein „juristisches Tor“ – und verlor. Der Grund: Das Protokoll über seine Vernehmung mit den intimen Details vor dem Haftrichter wurde, wie dargestellt, später in der Hauptverhandlung verlesen, ohne Einwände auf Seiten des damaligen Angeklagten. Damit waren die intimen Details in einer öffentlichen Verhandlung publik geworden und für die aktuelle Gerichtsberichterstattung zulässig, urteilten die Bundesrichter.

Stärkung der Pressefreiheit?

Man kann die Entscheidung des BGH als Stärkung der Pressefreiheit, vor allem im Bereich der Gerichtsberichterstattung, verstehen. Dabei bewegen sich die obersten Zivilrichter im Fahrwasser der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Aber als Freibrief für Gerichtsreporter sollte dieses Urteil nicht missverstanden werden. Natürlich müssen Journalisten nicht ständig „mit dem Grundgesetz unter dem Arm“ herumlaufen, wenn sie aus Gerichtssälen berichten. Es würde schon ausreichen, wenn sie fair bleiben und in Strafprozessen sich nicht einseitig positionieren. Bedenkenswert aber ist ein Satz, den das Bundesverfassungsgericht schon 2009 in eine Entscheidung schrieb: „Die genauen Grenzen einer verantwortungsvollen Berichterstattung mit Blick auf eine mögliche Prangerwirkung, lassen sich nur im Einzelfall bestimmen“.

Den „Lackmustest“ werden wir demnächst sehen und lesen können. Am 17. April 2013 – fast auf den Tag ein Jahr nach dem Auftakt des Breivik-Prozesses in Oslo – wird das NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München eröffnet. Bezeichnet wird es in den Medien schon als „Monsterprozess“. Das lässt Schlimmes befürchten.