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(K)Eine Frage der Ehre

Zuerst war da diese Idee. Die Idee als „pure player“ gegen das Establishment anzutreten, neue technische Möglichkeiten einzusetzen, die Freiheiten des Internets zu nutzen. 2007 schlossen sich vorwiegend ehemalige Journalisten der französischen Tageszeitung „Libération“ zusammen und gründeten das Onlinemagazin „Rue89„. „Rue“ heißt auf französisch „Straße“, und genau das sollte das Magazin sein: Ein Ort der Begegnung und der Diskussion. Revolutionäre Gedanken und Ideen sollten ausgetauscht werden – „89“ wie der Fall der Berliner Mauer, wie die Französische Revolution und wie die Entstehung des World Wide Web.

„Zuerst hatten wir eine Idee“, sagt auch Pierre Haski, einer der Mitbegründer und zuletzt stellvertretender Redaktionsleiter bei „Libération„, „über die Finanzierung machten wir uns keine Gedanken“. Das einzige Mittel, das sie ausschlossen: Finanzierung in Form von Abonnements. „Wir wollten keine Barriere aufbauen. Die Leser sollten freien Zugang haben.“

Und so wurde in puncto Finanzierung viel experimentiert: Spenden für eine Art „wall of fame“, Seminare und Workshops für Journalisten und Unternehmen, Weiterverkauf von Inhalten, Merchandising-Produkte, Konzeption von weiteren Websites sowie staatliche Fördergelder. Ab 2010 gab es sogar eine Printausgabe von „Rue89“, die aber 2012 wieder eingestellt wurde. Insgesamt ein Nullsummengeschäft. „Wir haben finanziell weder gewonnen noch verloren“, so Haski.

Ende der Unabhängigkeit?

Seit Ende 2011 ist die Onlineseite Teil der Pressegruppe des Industriellen Claude Perdriel, zu der auch die Wochenzeitung „Le Nouvel Observateur“ gehört. Bedeutet dieser Schritt finanzielle Freiheit oder das Ende der Unabhängigkeit für „Rue89“?

Letzteres befürchten einige Blogger und Online-Journalisten. Die Website „@rret sur images„, ebenfalls 2007 als „pure player“ gegründet, finanziert sich durch Abonnements. Der Gründer der Seite, Daniel Schneidermann, befindet: „‚Rue89‘ habe mit dieser Wahl der Finanzierung das Ende seiner Unabhängigkeit besiegelt. Denn Perdriel, Eigentümer mehrerer Industriegruppen und Pressemogul, repräsentiere genau das Establishment, gegen das ‚Rue89‘ ursprünglich angetreten war.“

Und wie reagiert „Rue89“ selbst? „Die Unabhängigkeit bleibt weiterhin gewährleistet“, sagt Haski. Lediglich technische Bereiche seien zusammengelegt worden – was den Inhalt angehe, sei „Rue89“ weiterhin unabhängig.
 Wäre es nicht möglich gewesen, sich weiterhin so zu finanzieren wie bisher? Die Antwort: ein „Jein“. „Wir waren an einem Punkt angelangt, an dem wir uns selbst finanzieren konnten. Aber das Internet ist ein Medium, dass sich ständig ändert. Wer nicht investiert, riskiert, den Fortschritt zu verpassen.“, so Haski.

Alternativ bleiben, wachsen, sich finanzieren können

Hier liegt wahrscheinlich auch der Schlüssel zum Verständnis. Die Finanzierung von unabhängigem Online-Journalismus ist zwar immer auch eine Frage der Ehre, gleichzeitig aber auch eine Frage des Überlebens. „Rue89“ ist mit rund 30 Festangestellten inzwischen ein kleines Unternehmen. Gehälter müssen regelmäßig gezahlt werden, dazu kommt der Unterhalt für Büroräume. Daneben muss die Seite ständig weiterentwickelt werden, um der wachsenden Konkurrenz standzuhalten. Nicht immer einfach.

Über kurz oder lang kommt dabei immer die Frage auf: Wie alternativ kann ein „alternatives Onlinemedium“ bleiben, sobald es größer wird und sich auf Dauer finanzieren muss? Mit Leserabonnements, für die sich etwa „@rret sur images“ oder „Mediapart“ entschieden haben, können sich diese Onlinemagazine zwar eine offensichtliche Unabhängigkeit erhalten, doch gleichzeitig schaffen sie auch eine Barriere für alle anderen, die ohne Abonnement keinen Zugang zu den kompletten Inhalten bekommen. Hinzu kommt, dass diese Magazine zwar einerseits unabhängig sind, dafür aber darauf achten müssen, stets in aller Munde zu bleiben und nicht hinter ihrer Paywall in Vergessenheit zu geraten. Sensationalismus und Skandaljournalismus sind da nicht weit entfernt.

Und so verhält es sich bei der Entwicklung wahrscheinlich, wie es Jean-Marie Durand von „inrocks“ beschreibt: Obwohl die „pure players“ nicht pur im ursprünglichen Sinne geblieben sind, haben sie sich zu einer wichtigen kritischen Stimme in den Medien entwickelt – wie einst die Piratensender, bevor sie zu großen Fischen im Radioangebot wurden.


Dieser Artikel erschien ursprünglich auf „Die Trendblogger„, einem Projekt des MIZ Babelsberg.

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