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Macht die „FR“ zur deutschen „Huffington Post“!

Zunächst eine kleine wahre Geschichte, die sich während der Buchmesse vor einem Monat in Halle 3.1. zutrug: Eine Studentin namens Louisa bot Abonnements der „Frankfurter Rundschau“ feil, und sie sprach die Menschen, die an ihr vorbeizogen, dermaßen freundlich an, dass niemand unfreundlich sein mochte.

Bis auf Alfred Neven DuMont.

Louisa: „Wollen Sie die ‚Rundschau‘ mal probieren?“

DuMont: „Die habe ich schon.“

„…“

DuMont: „Arbeiten Sie für die Zeitung?

Louisa: „Ja.“

DuMont: „Dann gehören Sie auch mir.“

Sehr gut möglich, dass sich vor sechs Jahren Ähnliches zugetragen hat: dieselbe Szene, derselbe Anfang – aber ein anderes Ende. Die Kontingenz verlegerischer Entscheidung. Wie bei „Lola rennt“. Nur dass damals Alfred rannte! Denn 2006 war er in Kauflaune.

Verkäuferin: „Wollen Sie die ‚Rundschau‘ mal probieren?“

DuMont: „Die habe ich noch nicht! Wat koß die dann?“

Der Kölner Großverleger kaufte damals 50 Prozent und eine Aktie der „FR“, die er sich fortan vor allem mit der Medienholding der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und einer Familienstiftung teilen musste.

Der weitere Verlauf der Episode ist bekannt – die 1945 gegründete Tageszeitung hat jetzt Insolvenz angemeldet und steht endgültig vor dem Aus. Alfred Neven DuMont ist die „Frankfurter Rundschau“ also wahrscheinlich bald wieder los. Louisa dann auch. Seinen Anteil an den Schulden allerdings nicht.

Tatsächlich wirkte der Kauf von Anfang wie aufgeschwatzt. Die Kölner waren niemals glücklich mit dieser „FR“ – und bezeichnenderweise auch nicht mit ihren Lesern, die dem Vernehmen nach intern als „Birkenstock-tragende 68er“ bezeichnet werden. Als wären das schlechte Leser und vor allem noch schlechtere Konsumenten. Das Gegenteil ist der Fall: 68er lesen viel, besitzen überdurchschnittlich viel Wohneigentum und kaufen gerne – allerdings lieber bei Globetrotter, nicht bei Rolex. Mit dieser Gemeinde kann (muss!) ein Verlag wahrlich Besseres machen, als ihr schlicht die Stammmarke zu rauben.

Warum die „FR“ nicht sterben darf

Da die gegenwärtigen Schritte Richtung Schließung schon länger abzusehen waren und nun das Finale bevorsteht, bleibt zu hoffen, dass die Kölner die Situation gut vorbereitet haben und über einen Plan verfügen, wie sie die Kündigung der gesamten Belegschaft, vor allem der Redaktion, verhindern können.

Warum, werden jetzt Neoliberale fragen, sollen denn hier Kündigungen verhindert werden, die in anderen strukturell gestörten Industrien auch niemand verhindert.

Erstens, weil DuMont nicht von Neoliberalen geführt wird.

Zweitens, weil viele Journalisten der „FR“ größte Schwierigkeiten haben werden, anderswo gleichwertige Anstellungen zu finden.

Drittens, weil dieser Schritt das Marktversagen des privat finanzierten Qualitätsjournalismus in Deutschland derart beschleunigen wird, dass die Asymmetrie in der wirtschaftlichen Ausstattung im Verhältnis zum öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus bald gesellschaftspolitisch nicht mehr vertretbar ist. Und wer, außer dem Bundespräsident vielleicht, vermag ernsthaft den Zweck von „ZDF, ARD und Sie“ (Werbesolgan der Öffentlich-Rechtlichen) zu hinterfragen?

Viertens, weil die digitale Affinität der „FR“-Leser überdurchschnittlich groß ist und es deshalb noch eine Alternative zur kompletten Schließung gibt: Die „Rundschau“ könnte zur deutschen „Huffington Post“ werden! (Und sie könnte dabei praktischerweise sogar grün bleiben.) Die Investitionssumme wäre gering, wie der Verlag L’Espresso in Italien vorgemacht hat. Und der Verhandlungsspielraum gegenüber „Huff Post“-Eigentümer AOL wäre groß, nachdem die Amerikaner mit mehreren potenziellen Partnern wie „Spiegel“, „Süddeutsche“ oder „Focus“ nicht ins Geschäft kamen. Eine erste Onlineausgabe der „Huff Post Frankfurt“ würde wahrscheinlich mit größerer Spannung erwartet als dereinst das erste Farbfoto auf der Titelseite der „FAZ“.

Auf dem Weg zum europäischen Medium

Alfred Neven DuMont könnte durch diesen Schritt nur gewinnen – an digitalen Lesern und Werbekunden. An Erfahrung mit digitalen Inhalten. An Bedeutung und Beachtung international.

Eine „Mainhatten Huff Post“ würde ihn herausführen aus der Regionalliga. Sogar herausführen aus der Bundesliga deutscher Medien. Es wäre der Schritt auf die europäische Ebene, denn das Faszinierende und zugleich Absurde an der amerikanischen „Huffington Post“: Sie breitet sich langsam über die Nationen Europas aus und hat bereits in Italien, Spanien und Frankreich sprachlich und kulturell autonome Redaktionen geschaffen. Als Netzwerk bilden sie gemeinsam zum ersten Mal das, wonach alle suchen: das europäische Medium! Die „Huff Post“ in Europa kommt der Medienwerdung von Jürgen Habermas‘ kühnsten Träumen gleich, der stets eine europäische Öffentlichkeit als Voraussetzung für einen erfolgreichen Einigungsprozess beschrieben hat. Das wäre das Richtige für die „FR“ und für Alfred Neven DuMont. Frankfurter Schule meets global recognition. Der Beginn einer neuen Tradition, und ihre Begründer könnten sich fortan Alfred Neven DuMont Huffington und Christian DuMont Schütte Huffington nennen.

Dass ein Teil, vielleicht ein großer Teil der jetzigen „Rundschau“ aufgelöst werden muss, steht fest. Und somit sind auch Kündigungen nicht zu vermeiden. Für ein „Huff Post“-Modell à la Italien oder Frankreich könnten bis zu 40 Mitarbeiter bleiben oder neu eingestellt werden. DuMont hat die Verantwortung, zu zeigen, dass sich Flexibilität und Innovationen für den Journalismus lohnen können. Kommt es zur unkreativsten aller Lösungen, also der vollständigen Schließung, könnte diese eine Welle der Kündigungen, des Dumping und der Ideenlosigkeit auslösen – und damit gewissermaßen einen Tsunami im Gewässer der privaten deutschen Qualitätsmedien.

Es muss befürchtet werden, dass sich die prekäre Situation in einigen (überregionalen) Verlagen in den nächsten Wochen deutlicher zeigt denn je. Die „Financial Times Deutschland“ steuert auf ein wöchentliches Erscheinen und letztendlich auch auf eine Einstellung zu. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ droht ein roter Jahresabschluss. Zwei Hauptstadtzeitungen auch. Und die „Süddeutsche Zeitung“ ist nun ohne Zweifel sexier als noch im vergangenen Jahr – aber leider auch nicht reicher.