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Gezwungen, sich zu verkaufen

„Without fear and without favour“ – ohne Furcht und keinem gefällig zu sein: Das machte die britische „Financial Times“ im 19. Jahrhundert zu ihrem Motto. Das deutsche Pendant, die im Hamburger Verlag „Gruner und Jahr“ erscheinende „Financial Times Deutschland„, beruft sich mehr als 100 Jahre später immer noch auf diese Tradition. Dass gleichwohl ganze Seiten nach dem Geschmack von Anzeigenkunden gestaltet werden und lukrative Deals mit Unternehmen zum täglichen Geschäft des Verlags gehören, waren die ersten Lektionen, die der Journalist Benjamin G. (Name geändert) kurz nach seinem Studium lernen musste.

Als freier Mitarbeiter hatte er erste Meldungen für verschiedene Beilagen der „FTD“ geschrieben und damit nur wenig Geld verdient. Dann sprach ihn die Beilagenredaktion des Blattes an. Für einen Tagessatz von rund 200 Euro produzierte G. für sie fortan Schwerpunktseiten zu ausgewählten Themen, die in der Zeitung als „Sonderveröffentlichung“ gekennzeichnet wurden. Ein journalistischer Graubereich, in dem bei vielen Zeitungen die Grenze zwischen unabhängiger Berichterstattung und gekauften Inhalten verschwimmt, wie die Ergebnisse einer verdeckten Recherche der „Tageszeitung“ 2011 zeigten. Der Auftrag in der Beilagenredaktion war klar: G. sollte ein gefälliges Umfeld für Anzeigenkunden schaffen. „Der Ressortleiter versorgte mich mit Adressen von Unternehmensvertretern und PR-Agenturen, bei denen ich recherchieren sollte“, erzählt er.

„Without favour“? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit lagen Welten.

Kundenmagazine für Großkonerne

G. wollte weiter als freier Journalist arbeiten, neben diversen kleinen Blättern war die „FTD“ für ihn der wichtigste Auftraggeber. Wirklich gutes Honorar bekam er bei Facts & Figures, der Corporate-Publishing-Tochter der Gruner+Jahr Wirtschaftsmedien. Das Unternehmen publiziert Kundenmagazine für Konzerne wie Bayer oder Opel sowie für Banken, Versicherungen und andere Unternehmen. G. nahm einige Aufträge für die Zeitschriften an, als Produzent und als Autor. Während seine Dozenten an der Universität vor der Vermischung von Journalismus und Public Relations gewarnt hatten, bekam er für einen Artikel, den er für das Kundenmagazin schrieb, zwischen 600 und 900 Euro – und die Artikel machten nicht mehr Mühe als die mit Zeilengeld honorierten Beiträge in der „FTD“. Der Preis: Der Auftraggeber fungierte als Chefredakteur, Kritik war unerwünscht. G. empfand das als Verrat am Journalismus. „Man verkauft seine journalistischen Fähigkeiten an ein Unternehmen“, sagt er im Rückblick.

So wie Benjamin G. geht es vielen jungen Journalistinnen und Journalisten: Als Freiberufler lernen sie, dass PR-Aufträge oft deutlich besser bezahlt werden als journalistische Beiträge. Sie lernen, dass fast alle großen Verlage inzwischen auch im Corporate-Publishing-Geschäft tätig sind, von dem sie sich Stabilität und Wachstum erhoffen. Beim Süddeutschen Verlag übernimmt beispielsweise die Tochterfirma Onpact diese Aufträge, beim Burda-Verlag ist es die Burda Creative Group, beim Zeit-Verlag verspricht Tempus Corporate auf seiner Homepage den Kundenunternehmen „maßgeschneiderte Publikationen mit hohem journalistischem Anspruch“.

G. hat das bei seinem Verlag anders erlebt: „Nach meiner Erfahrung ist Corporate Publishing eine Art Mogelpackung. Man nutzt zwar die gleichen handwerklichen Instrumente wie im Journalismus, aber das Ergebnis entspricht nicht dem, was Journalismus eigentlich sein sollte“, sagt er. Wer wie G. aus normativer Perspektive auf den Journalismus blickt, der hat es heute nicht leicht. Schnell gilt er als altmodisch, realitätsfern, manchen auch als elitär. Der damalige G+J-Vorstandsvorsitzende Bernd Buchholz brachte es auf den Punkt, als er mit Redakteuren der „Zeit“ über seine Branche sprach: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.“

2,93 Euro pro Stunde

Wie Buchholz verweisen auch Journalisten immer häufiger auf den Markt: Der Arbeitsmarkt verlange nach einer Doppelqualifikation in Journalismus und PR. Und so integrieren zahlreiche Hochschulen PR-Elemente in die Curricula, etliche Journalistik-Studierende erstellen in ihren Seminaren PR-Konzepte, auch renommierte Journalistenschulen wie die Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten, die zur Verlagsgruppe Handelsblatt gehört, bieten inzwischen Weiterbildungskurse zu Fragen der Unternehmenskommunikation an. Aber müssen Journalisten ihr Heil tatsächlich in der PR-Branche suchen? Wie sieht der Arbeitsmarkt, auf den so oft verwiesen wird, tatsächlich aus?

  • Die Zahl der hauptberuflichen Journalisten schrumpft. Die letzte repräsentative Studie aus dem Jahr 2006 zählte rund 48.000 hauptberufliche Journalisten in Deutschland, elf Prozent weniger als zwölf Jahre zuvor. Die Zahl der Redakteurinnen und Redakteure blieb dabei allerdings stabil, während die Zahl der hauptberuflichen freien Journalisten um ein Drittel auf rund 12.000 sank.
  • Im Vergleich mit anderen Berufen ist im Journalismus kein großes Geld zu verdienen. Im Schnitt verdienen Journalisten 2.300 Euro netto im Monat, wie die genannte Untersuchung zeigte. Vor allem Volontäre, Redakteure mit wenigen Berufsjahren und freie Journalisten liegen oft darunter.
  • Zahlreiche freie Journalisten kommen daher nicht ohne eine Mischkalkulation über die Runden. Nach einer Münchner Studie üben 44 Prozent der befragten freien Journalisten Nebentätigkeiten aus. PR und Werbung sind dabei die wichtigsten Felder. Und eine Hamburger Untersuchung, bei der die Mitglieder des Berufsverbands Freischreiber e.V. befragt wurden, ergab, dass knapp zwei Drittel der freien Journalisten mit Doppeltätigkeiten ohne das Zusatzeinkommen aus PR-Aufträgen nicht überleben könnten.
  • Die Wirtschafts- und Finanzkrise mit sinkenden Werbeeinnahmen bei Sendern und Verlagen hinterließ auch auf dem journalistischen Arbeitsmarkt Spuren; nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stieg die Arbeitslosigkeit deutlich an. 2011 waren in der Berufsgruppe „Redaktion und Journalismus“, wie die Behörde es nennt, rund 4.800 Menschen ohne Beschäftigung.
  • Der Berufseinstieg ist schwierig, die Konkurrenz ist groß. Nicht selten absolvieren junge Journalisten postgraduale Praktika. Die Bezahlung – sofern die Praktika überhaupt honoriert werden – liegt auf einem niedrigen Niveau: 2,93 Euro beträgt der durchschnittliche Stundenlohn im Segment „Presse, Rundfunk, Fernsehen“, wie eine aktuelle Studie belegt. Die mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes entstandene Untersuchung kommt zu dem Schluss, „dass zwischenzeitliche Praktika nach Studienabschluss nicht nur die objektiven Merkmale von Prekarität erfüllen (unsichere Perspektive, geringer Status, finanzielle Unsicherheit), sondern auch subjektiv so erlebt werden“.

Dies führt zum wichtigsten Punkt: Die grundlegenden Veränderungen des Arbeitsmarktes haben längst auch den Journalismus erfasst. Seit Jahren ist zu beobachten, dass in Deutschland das sogenannte Normalarbeitsverhältnis erodiert und atypische Beschäftigungsverhältnisse – zum Beispiel Leiharbeit, Befristungen oder eben Praktika für Hochschulabsolventen – an Bedeutung gewinnen. Etwa 36 Prozent aller Beschäftigten arbeiteten 2009 in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis, 1993 waren es erst knapp 20 Prozent. Was auf der einen Seite den Unternehmen Flexibilität bringt, bedeutet für die Betroffenen oft prekäre Arbeitsbedingungen.

„Die dunkle Seite der Kreativwirtschaft“

Sicherlich entspricht der mehr und mehr zu einem Akademikerberuf werdende Journalismus nicht unbedingt dem Typus und Milieu des benachteiligten Lohnarbeiters, an dessen Beispiel in der politischen Diskussion um prekäre Beschäftigung häufig argumentiert wird. Als Hochqualifizierte haben Journalisten grundsätzlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus, wie zum Beispiel die Journalistin und Autorin Katja Kullmann schreibt:

„Längst haben die kreativen, oft akademisch ausgebildeten und weltgewandten Prekären viel mehr gemein mit den auf Stunde bezahlten Supermarktregaleinräumern, den per Zeitarbeit verliehenen Security-Bären und den Sieben-Tage-die-Woche-Wurstbudenverkäufern, über die sie mitfühlende Reportagen schreiben, aufrüttelnde Sozialstudien erstellen oder deprimierende Reality-Dokus drehen, als mit den Agenturchefs, Etatbewilligern oder Ressortleitern, von denen sie sich Aufträge erhoffen und ein bisschen Honorar.“

Kullmann stützt sich bei ihrer Analyse auch auf eigene Erfahrungen. Vor einigen Jahren schrieb sie mit „Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein“ einen Bestseller. Davon zehrte sie eine Weile, dann wurde der freie Journalismus für die preisgekrönte Autorin nach und nach zur schlecht bezahlten Tagelöhnerei. Nach zwei geplatzten Aufträgen war sie zeitweise auf „Hartz IV“ angewiesen, bis sie plötzlich das Angebot bekam, als Ressortleiterin der Frauenzeitschrift „Petra“ zu arbeiten. Das Blatt aus dem Hamburger Jahreszeiten-Verlag „stand für alles, wogegen ich seit Jahren angeschrieben hatte: Konsum-Beschiss, gefährlich aggressive gute Laune und ein oft bedenkliches Frauenbild“, schreibt Kullmann. Die Zeitschrift bot aber auch Sicherheit: „Vierzig Wochenstunden, dreißig Tage bezahlter Urlaub im Jahr, 13,5 Monatsgehälter, die volle Dosis Altersvorsorge und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, außerdem einen Arbeitgeberzuschuss zum öffentlichen Personennahverkehr.“

Sie entschied sich für die Sicherheit. Kullmann trat ihren neuen Job als Ressortleiterin an und erlebte, wie der Verlag Kurzarbeit einführte. Einige Monate später entschied er, im Zuge einer großen Umstrukturierung alle Redakteure zu entlassen. Nur noch die leitenden Redakteure sollten bleiben und fortan Aufträge an freie Journalisten vergeben. „Ich musste nun an den Schrauben drehen, die die Kollegen da draußen, zu denen ich ja gehört hatte, in die Knie zwingen würden.“ Das wollte sie nicht mittragen und gab die Stelle nach anderthalb Jahren wieder auf. „Was mir passiert ist, beleuchtet grell die dunkle Seite der sogenannten Kreativwirtschaft. Kreativ sind dabei weniger die Jobs als die Beschäftigungsverhältnisse: Auflösung fester Arbeitsplätze, Aufkündigung der Sozialpartnerschaft, die Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Arbeitgeber“, resümiert sie.

Der Fall von Katja Kullmann, die Berufsbiografien vieler Journalistinnen und Journalisten, aber auch aktuelle wissenschaftliche Befunde zwingen dazu, die Prekarisierungstendenzen im Journalismus ernst zu nehmen. So zeigt erstens die neueste Forschung, dass auch Hochqualifizierte die mit prekärer Beschäftigung – explizit mit befristeten Vertragsverhältnissen – verbundenen Unsicherheiten als doppelte Belastung wahrnehmen. Das betrifft zum einen die berufliche Sphäre: „Das Einkommen ist nicht auf Dauerhaftigkeit und Existenzsicherung ausgelegt, zudem schmälert die zeitliche Begrenzung des Einkommens die Kreditwürdigkeit. Auch Integration und Partizipation im Unternehmen sind lückenhaft, Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen erschwert.“ Diese Instabilitäten wirken zum anderen aber auch in die Privatsphäre, wo biografische Planungen – wie zum Beispiel die Familiengründung – behindert werden.

Zweitens hat eine soziologische Untersuchung der Kreativwirtschaft ergeben, dass „die soziale Existenz von Kreativarbeitern unabweisbar fragil und verwundbar ist, da sie den Marktschwankungen ohne institutionalisierte Schutzmechanismen ausgesetzt sind“. Sie reagieren darauf zum Beispiel, indem sie für sich zur Absicherung eine Standbein-Spielbein-Lösung entwickeln, bei der „ungeliebte ‚Brotjobs‘ die Kernberufstätigkeit quasi subventionieren“. Dieses Phänomen beschrieb die freie Journalistin Silke Burmester sehr anschaulich auf einer Fachkonferenz in Hamburg: Für ein Kundenmagazin habe sie kürzlich eine Geschichte über das Umweltengagement von Hollywoodstars gemacht. Die Aktivitäten der Prominenten seien zwar in Wahrheit nur „heiße Luft“ gewesen, erzählte sie. Aber: „Ich habe dafür anderthalb Tage gebraucht und 1.600 Euro bekommen. Für meine ‚taz‘-Kolumne, die sehr engagiert ist, wo ich mich weit aus dem Fenster lehne und wegen der ich es mir mit mehreren Leuten und auch mit einem Verlag so nachhaltig verdorben habe, dass ich dort nie wieder werde arbeiten können, bekomme ich 80 Euro pro Kolumne.“

Ein Patchwork-Einkommen hat heute auch Benjamin G., der nach seinen Erfahrungen bei „Facts & Figures“ nicht mehr für Corporate-Publishing-Medien schreiben wollte. Inzwischen bedient er verschiedene überregionale Zeitungen und Kulturmagazine. Doch da deren Honorare nicht zum Leben reichen, arbeitet er halbtags für ein kleines Fachmagazin und von zu Hause für einen Content-Dienstleister, für den er Pressemitteilungen bearbeitet und Webseiten mit billigem Inhalt versorgt. „Das ist schnell verdientes Geld“, sagt er. „Mit Herzblut arbeite ich dafür nicht.“

Latte Macchiato statt Zeitung?

Die Prekarisierung des Journalistenberufs hat mehrere Ursachen. Eine davon ist die Erosion des klassischen Geschäftsmodells der Presse: Anzeigen wandern zu digitalen Werbeträgern ab (von denen längst nicht alle Online-Medien sind), und auch die Vertriebsumsätze sinken infolge von Abonnenten- und Leserverlusten. Diese Faktoren werden von Verlagen gern zur Begründung ihrer Sparmaßnahmen angeführt. Daran ist so viel wahr, als dass die Prekarisierung auch Folge eines mangelnden Wertbewussteins in unserer Gesellschaft für journalistische Arbeit ist. Journalismus wird immer weniger als die anspruchsvolle geistige Arbeit anerkannt, die er ist. Die Qualitätszeitung für 2,20 Euro empfinden viele als zu teuer, den Latte Macchiato nicht. Obwohl er oft mehr kostet und rascher verbraucht ist als eine reichhaltige Zeitung.

Eine weitere wichtige Ursache benennt die WDR-Journalistin Sonia Seymour Mikich, wenn sie den Einzug eines neuen Denkens und einer neuen Sprache in den Verlagen und Sendern beschreibt: „Wir machten es uns gemütlich, als ‚benchmarking‘, ‚audience-flow‘, ‚controlling‘, ‚usabilty‘, ‚look and feel‘, ‚performance‘ in unserem Handwerkskasten auftauchten und die ‚tools‘ eines angesagten Superprofessionalismus wurden. Als hätten wir ’nen kleinen McKinsey im Ohr, lernten wir Neusprech.“

Und der damalige „Handelsblatt“-Chef Bernd Ziesemer warnte in einer Rede, bevor er in die Corporate-Publishing-Branche wechselte, seine Kollegen in den Redaktionen:

„In den Verlagen haben oft kulturelle Analphabeten das Sagen, die schon lange keine Zeitung mehr lesen, aber sich berufen fühlen, uns Journalisten zu erklären, wie man eine Zeitung macht. Sie behandeln uns wie die Bandarbeiter der Lückenfüllproduktion zwischen den Anzeigen. In solche Hände dürfen wir uns nicht begeben!“

Nicht wenigen Redakteuren in Deutschland blieb allerdings gar nichts anderes übrig, als die Sprache der Controller und Unternehmensberater zu lernen. Ihre Verlage holten die Berater ins Haus, massive Umstrukturierungen wurden verkündet und umgesetzt. „Die Kosten der Lokalredaktionen werden in Richtung des Schickler-Benchmark-Korridors angepasst“, hieß es beispielsweise in der Präsentation der auf Medienunternehmen spezialisierten Unternehmensberatung Schicklerim März 2009 bei einer Betriebsversammlung der WAZ-Mediengruppe. Und weiter: „In Summe werden in den Mantel- und Lokalredaktionen 300 Planstellen reduziert und etwa 24,5 Mio. Euro eingespart.“ Gut drei Jahre später steht den verbliebenen Redakteuren nun der nächste Umbau bevor, der die Lokalredaktionen wieder stärken soll.

Einsatz von „Leihredakteuren“

Auch die Gleichung „Festanstellung = mehr Sicherheit“ geht wohl immer seltener auf. Denn nicht nur die radikale Restrukturierung der Redaktionen wie bei der WAZ-Mediengruppe, beim Hamburger Jahreszeiten-Verlag und anderen kann die Redakteure treffen. Für Verunsicherung sorgen auch die Maßnahmen der Verlage, die das Ziel haben, die mit den Journalistengewerkschaften ausgehandelten Tarifverträge zu umgehen.

Die Journalistin Maria S. (Name geändert) musste erfahren, was das bedeutet. Als sie sich vor einigen Jahren nach einem Tageszeitungsvolontariat bei der „Frankfurter Rundschau“ für eine Stelle als Redakteurin bewarb, sollte sie nicht beim Verlag, sondern bei der hauseigenen Leiharbeitsfirma beschäftigt werden, der PDF Pressedienst Frankfurt GmbH. Über dieses Unternehmen werden Redakteure auf dem Wege der Arbeitnehmerüberlassung an den Verlag entliehen. Mit dieser Konstruktion bildet die „FR“ keineswegs eine Ausnahme: Bei rund 20 Tageszeitungen in Deutschland wurden bereits „Leihredakteure“ eingesetzt, wie sie der „Deutsche Journalistenverband“ nennt. Es sei „ein Trend, der wie eine Welle über die Branche schwappt„. Für die „Leihredakteure“ gelten in der Regel schlechtere Konditionen als für die Stammbelegschaft – weniger Geld, weniger Urlaub, größere Unsicherheit.

Für die PDF Pressedienst Frankfurt GmbHliegt genau darin das Geschäft: Sie weiß, wie einem Verlag beim Sparen geholfen wird. Maria S. wurde ein befristeter Arbeitsvertrag als Redakteurin angeboten, als die sie an die „FR“ verliehen werden sollte. Das Gehalt sollte frei verhandelt werden. „Meine Eltern waren entsetzt“, erzählt S. Als Stammleser der als linksliberal geltenden Tageszeitung hatten sie noch die kritische Auseinandersetzung des Blattes mit der Leiharbeit vor Augen. Und nun griff der Verlag, der zu 40 Prozent der DDVG-Medienholding der SPD gehört, selbst zu diesem Instrument.

Doch auch wenn Leser, Betriebsräte und Gewerkschaften die Leiharbeit kritisieren: Gesetzlich verboten ist die Arbeitnehmerüberlassung im Journalismus nicht, wie die Bundesregierung 2010 in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage betonte. Die Verantwortung für den Personaleinsatz und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen für die Redakteure liege vorrangig bei den Verlagen, und „hierzu gehört auch der sachgerechte Einsatz der Zeitarbeit“.

Aber was ist sachgerecht im Journalismus, der eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen hat? Wann leidet die journalistische Qualität? Wie lange kann man auf die Motivation der unterbezahlten Mitarbeiter vertrauen?

„Ich habe mich total mit der Zeitung identifiziert“, sagt S., „und inhaltlich war es genau das, was ich gerne machen wollte.“ Sie sagte deshalb zu – und inzwischen ist die seltsame Dreiecksbeziehung zwischen ihr, der „Frankfurter Rundschau“ und der „PDF Pressedienst Frankfurt GmbH“ zum Dauerzustand geworden, ohne Chance auf eine reguläre Redakteursstelle bei der Zeitung. Ihr Arbeitsvertrag wurde entfristet, ein kleines Plus beim Lohn gab es auch, so dass sie jetzt rund 3.000 Euro brutto im Monat verdient. Trotzdem müsste eine Redakteurin gemäß Tarifvertrag rund 500 Euro monatlich mehr verdienen.

Für die Konstruktion einer hauseigenen Leiharbeitstochter haben die Verlage Vorbilder bei Automobilkonzernen oder in der Hafenwirtschaft. Auch große Krankenhäuser gründen inzwischen eigene Tochterfirmen, um bei diesen Personal zu entleihen. „Es wird oft vermutet, dass bei diesem Vorgehen primär die Umgehung von Tarifverträgen in den Gesundheitseinrichtungen im Vordergrund steht und somit eine dauerhafte Senkung der Gehaltskosten intendiert ist“, heißt es dazu in einer Untersuchung. Diese Vermutung dürfte sich bei den Verlagen bestätigen. Das NDR-Medienmagazin „Zapp“ berichtete über den Fall der Nordwest-Zeitung Verlagsgesellschaft, die ihren Sitz in Oldenburg hat. Die Zeitung hat schon vor Jahren eine hauseigene Leiharbeitsfirma gegründet, bei der heute insbesondere alle Volontäre beschäftigt werden. Der Betriebsrat klagte im Interview über das damit verbundene „Lohndumping“ und die „Zweiklassengesellschaft“ in den Redaktionen.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Maria S. gemacht: In der Redaktion sitzen sie nebeneinander, die „Leihredakteure“ und die über den Tageszeitungstarifvertrag geschützten Redakteure. „Mich stört dieser Status der Zwischenwelt“, sagt die Journalistin. „Einerseits ist man dabei, andererseits gehört man auch nicht so richtig dazu. Ich möchte aber richtig dazugehören.“

Solidarisches Miteinander

Karge Honorare für freie Journalisten, Flucht in die PR, prekäre Praktika, Umstrukturierungen und Leiharbeit in den Redaktionen – dass sich die soziale Lage der Journalisten heute so darstellt, liegt nicht nur an Verlagen und Sendern. Über Jahre ließ sich eine Entsolidarisierung unter Journalisten beobachten: Viele Freie schlugen sich als Einzelkämpfer durch, Nachwuchsjournalisten übten in ihren Lehrredaktionen und Studiengängen früh das Konkurrenzdenken, etablierte Redakteure verloren das Interesse an den Problemen der Berufskollegen.

In der jüngsten Zeit gab es allerdings auch Gegenbeispiele, die zumindest etwas Mut machen, dass sich der Trend umkehren könnte. Es sind kleine Beispiele für solidarisches Miteinander, getragen von dem Bewusstsein, dass es etwas zu verteidigen gibt. So ließen sich 2011 beispielsweise die „Leihredakteure“ und die beim Verlag der „Frankfurter Rundschau“ angestellten Redakteure nicht gegeneinander ausspielen: Die Leiharbeiter übernahmen nach Angaben des Betriebsrates des Druck- und Verlagshauses keine Einsätze als Streikbrecher, obwohl sie von den Tarifforderungen der Journalistengewerkschaften gar nicht profitieren konnten. Kurze Zeit später schlossen sich rund 40 freie Autoren zusammen, die für „Spiegel Online“ arbeiten. In einem gemeinsamen Brief an den Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron beklagten sie die seit Jahren stagnierenden Honorare und die Regelungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie unterschreiben mussten. Den Protestbrief unterzeichneten die Journalisten mit ihrem vollen Namen – trotz der ungewissen Folgen für zukünftige Aufträge des Nachrichtenportals.“Der Brief hat uns wachgerüttelt“, sagte von Blumencron einige Zeit später bei einer Podiumsdiskussion der Freischreiber. Seit Kurzem gelten nun tatsächlich neue AGB bei „Spiegel Online“ – und die Journalistenverbände streiten sich, wer sich diesen Erfolg an die Brust heften darf.

Ein weiterer Brief sorgte 2011 für Aufsehen. Denn als die Verleger in den Tarifverhandlungen ein eigenes Regelwerk für Berufseinsteiger im Journalismus forderten, um damit niedrigere Gehälter festschreiben zu können, protestierten Alt und Jung gemeinsam. Der Bamberger Student Daniel Stahl initiierte eine Unterschriftenaktion, bei der er innerhalb einer Woche über 1.700 Unterstützerinnen und Unterstützer fand. In seinem offenen Brief an die Verleger schrieb er:

„Wir haben schlecht bezahlte Praktika in Ihren Verlagen gemacht und jahrelang für Zeilengeld gearbeitet. (…) Wir können schreiben, Videos drehen, kennen uns mit den Techniken des Web 2.0 aus. Wir sollen in den Verlagen Wochenenddienste schieben, Abendtermine wahrnehmen, uns tief in gesellschaftliche Probleme einarbeiten und Überstunden machen, die wir natürlich niemals bezahlt bekommen. Und jetzt soll auch noch das Einstiegsgehalt für junge Journalisten um 30 Prozent gekürzt werden?“

Zu den Unterzeichnern gehörten keineswegs nur Nachwuchsjournalisten. Eine Unterstützerin kommentierte: „Als ich vor zwanzig Jahren Zeitungsredakteurin wurde, war das ein angesehener und begehrter Beruf; während meines Volontariats war der Ausbildungstarifvertrag abgeschlossen worden, um die Qualifizierung des Nachwuchses zu sichern. Ich streike jetzt auch dafür, dass das so bleibt: gutes Geld für gute Leute.“ Und ein anderer ergänzte: „Ich halte (als übrigens gut bezahlter Journalist) die Unabhängigkeit meiner jungen Kollegen für sehr wichtig. Und dafür ist ein angemessenes Salär unabdingbar.“

Es schien, als habe man erkannt, dass es sich bei dem Streit um ein generationenübergreifendes Problem mit Folgen für den Journalismus insgesamt handelte. Doch bei dieser Initiative zeigte sich auch, wie weit die Verunsicherung unter Journalisten schon reicht: Zahlreiche Unterstützer trauten sich nicht, mit ihrem Namen öffentlich für die Forderungen einzustehen. Unter dem Brief steht hundertfach das gleiche Wort: „Anonym“.


Zuerst erschienen im Heft „Qualitätsjournalismus“ aus der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ 29-31/2012) der Bundeszentrale für politische Bildung.