, , , ,

#Hoodiejournalismus: Wie wär’s denn mal mit Inhalt?

Ja, es gibt ihn, den Altherren-(Nicht-)Gönnerstyle mancher Redakteure, die gleichzeitig Anteilseigner, Fernsehchefs oder Genossenschafter sind – und jedem Online-Kollegen stets mit derselben “charmanten” “Na, Sie kleiner Racker”-Attitüde begegnen. Derselbe Schlag von Männern begegnet übrigens in exakt derselben Art auch gerne allen Frauen im Job, allen Menschen mit Migrationshintergrund oder sonst irgendeinem Wesen, das nicht der eigenen Vorstellung des Normsubjekts (ergo: man selbst) entspricht. Augenhöhe? Nein, danke! Wenn mich allerdings irgendetwas noch mehr auf die Palme bringen kann als diese Art traditioneller Snobismus, dann sind es selbstgefällige Selfies in Kapuzenpullis. Daher: ein Rant.

Doch bevor wir zur aktuellen Pullover-Mode kommen, der Reihe nach: Die “Zeit” hatte berichtet, dass es bei Ressortleitern und Redakteuren der “Süddeutschen Zeitung” offenbar Widerstände dagegen gibt, Stefan Plöchinger, seit 2011 Leiter von süddeutsche.de, zum Mitglied der Chefredaktion der gesamten Zeitung zu machen. Laut “Zeit” stößt sich die Runde daran, dass Plöchinger sich bisher zu wenig journalistische Meriten verdient habe, also nicht durch große Geschichten aufgefallen sei, sondern lediglich durch “Selbstbewusstsein” und Organisationstalent bei der Neustrukturierung des Online-Auftritts der „SZ“. Außerdem spiele beim fehlenden Stallgeruch Plöchingers auch eine Rolle, dass dieser “Kapuzenpulliträger” sei.

Harald Staun legte dann in seiner Kolumne in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” noch einen drauf, indem er nach kurzer Wiedergabe des “Zeit”-Artikels einen an Blasiertheit tatsächlich schwer zu überbietenden Satz zu Papier (sic!) brachte: “Wobei ja vielleicht wirklich nichts dagegen spricht, einen Internetexperten in die Führungsriege der Zeitung aufzunehmen. Wäre es aber dann nicht sinnvoll, auch einen Journalisten in die Chefredaktion von Süddeutsche.de zu holen?”

 

Seit Sonntag: Nur noch Qualität im Netz

An der Stelle platzte dann vielen Kollegen, die hauptsächlich oder ausschließlich online arbeiten, der Kragen: Sie wollten sich “nicht länger unqualifiziert einen aufs Maul geben lassen“, wie der Online-Branchendienst Meedia meint. Und deshalb haben sich die versammelten Onliner der Republik hinter “uns Plöchinger” geschart und schreiben seit Sonntag einen Pulitzerpreis-verdächtigen Artikel nach dem anderen. Online only, versteht sich.

Sorry, just kidding. Denn was tun die (ganz überwiegend männlichen) Online-Alphatiere – latürnich! – stattdessen? Sie twittern unter dem Hashtag #hoodiejournalismus – und veröffentlichen Fotos von sich im Kapuzenpulli. Und selbstredend gibt es schon einen entsprechenden Tumblr-Blog. Dankenswerterweise hat das Hip-Hop-Duo “Zugezogen Maskulin” zu solchen Phänomenen in anderem Kontext schon alles gesagt: “Undercut, Tumblr-Blog – nix zu erzählen“.

Womit wir beim Kern des Problems wären: Denn warum verwechselt Staun “Internetexperte” und “Journalist” oder suggeriert zumindest, die beiden Begriffe schlössen einander aus? Warum wird “online” (oder was man dafür hält) in so vielen journalistischen Institutionen (und zwar keineswegs nur bei den “Holzmedien”, sondern genauso im Radio oder Fernsehen!) immer noch stiefmütterlich behandelt? Ja, ja, die Arroganz des Establishments spielt dabei ohne Zweifel eine Rolle. Und Strukturprobleme. Und Öltanker sind halt nur langsam zu drehen. Und so weiter und so oft und so zahlreich schon beklagt.

Staun hat ungewollt Recht

Leider aber gilt mindestens im gleichen Maße, dass “Online-Journalisten” häufig genug vor allem eins machen: alles so schön bunt. Von den derzeit (genau wie jederzeit) auf sueddeutsche.de namentlich gekennzeichneten Artikeln ist die Mehrheit von Journalisten, die ihre Artikel vor allem für die Zeitung schreiben – und die sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht selbst “online stellen”, sondern sie einem “Onliner” zuschicken, der sie dann für online “produziert”, wie es im Jargon gerne heißt. Damit aber schrumpft die Rolle dieser “Onliner” auf diejenige von “Produzenten” – womit sie vollkommen zu Recht nicht als “Journalisten” im engeren Sinne bezeichnet werden.

Meine kleine Privat-Wette an dieser Stelle: Nahezu jeder “Online-Job” im Journalismus, egal, ob bei sueddeutsche.de oder bei taz.de, beim “Online-Auftritt” einer Fernsehsendung oder eines Radiosenders besteht zu einem gewissen Teil, meist jedoch zu einem Großteil daraus, die Inhalte anderer Leute zu “produzieren”. Wenn aber zwei Drittel aller “Onliner” zu zwei Dritteln ihrer Zeit “Webseiten bauen”, auf die sie die Artikel, Beiträge, Filme anderer Leute “einpflegen” und mit Bildern, Links, Hintergrundinfos, Agenturmaterial, Audios und Gott weiß was anreichern, dann hat das mit Journalismus so viel zu tun wie die Schlussredaktion einer klassischen Zeitung oder Zeitschrift. Man liest gegen, korrigiert, platziert (setzt), sucht Bilder (oder beauftragt Bildredaktionen mit selbigem), schneidet in Photoshop und Premiere rum, verlinkt, bedient Content Management Systeme und bestückt Webseiten. Man schreibt aber nicht seinen Namen unter die Titelgeschichte der “Süddeutschen Zeitung” – und zwar weder on- noch offline (letzteres schon gar nicht).

Jetzt könnte man einwenden, dass die meisten Chefredakteure dies auch nicht tun, was stimmt, aber zumeist haben sie zuvor durchaus. Und vor allem: 99 Prozent der genannten “Onliner” in den genannten Jobs sind keine Chefs a la Plöchinger, sondern sitzen tatsächlich im Bauch des Schiffes und rudern. Völlig zu Recht fragt Christoph Kappes daher, warum es keine Sachdebatte über inhaltliche Schwächen des Mediums “Online”, keine Diskussion über Arbeitsbedingungen gibt, sondern “ein Konflikt um Macht und Geld am Ende in einer popkulturellen Veranstaltung mündet“. Word.

Darin aber liegt eine der Antworten auf die Frage nach der Wahrnehmung von Staun. Der Mann hat ganz einfach nicht ganz Unrecht. Von “Spiegel Online” einmal abgesehen sind die meisten anderen Online-Plattformen zu großen Teilen Abspielstationen für Content, der für Zeitung, Zeitschrift, Radio oder Fernsehen beauftragt und produziert worden ist. Nicht umsonst sollen die Grabenkämpfe mit “Nordkorea” (wie “Spiegel”-Chefredakteur Wolfgang Büchner die Print-Ausgabe angeblich genannt hat) beim “Spiegel” besonders heftig toben. Im allerbesten Falle verschmelzen die Formate und große Geschichten werden on- und offline von denselben Autoren betreut. In der Mehrzahl der Fälle aber eben (noch?) nicht.

“Innovativ”, “witzig”, “ironisch”, “kreativ”… ja, und?

Die wichtigen Inhalte, die großen Stories werden eben somit nach wie vor von Journalisten geschrieben, gedreht und erzählt, die nicht vornehmlich als “Onliner” wahrgenommen werden, was natürlich auch mit den Möglichkeiten Geld zu verdienen zu tun hat. Häufig genug müssen sich “Onliner” damit begnüngen (und schlimmstenfalls gefallen sie auch noch darin) einen besonders “witzigen” oder “originellen” Zugang zu bereits existierenden Themen oder politischen Auseinandersetzungen zu finden, um mit etwas “Eigenem” zu reüssieren. Dieses “Eigene” aber ist häufig eben nur unpolitisches, irrelevantes Rumgenerde. Ein Augenzwinkern für Eingeweihte, eine Nachricht auf den Kreativ-Klowänden des Internets: “Guck mal, ich habe eine interaktive Karte gebastelt, mit allen vermissten Flugzeugen in der Geschichte der zivilen Luftfahrt.” Lob vom Chef, Applaus auf Twitter, danke, husch, husch ins Körbchen.

Solche Gimmicks sind typisch für eine ganzes Spektrum an “Onlinejournalismus”, der sich als “crossmedial” und “trimedial”, als “Visualisierung” und “Datenjournalismus” zwar permanent neu erfindet, aber vor allem damit auffällt, die hübsche Verpackung für Stories zu liefern, die anderweitig entstanden sind. Die investigative Recherche, die große Reportage, die tiefe inhaltliche Auseinandersetzung und die großen Debatten muss man leider nach wie vor anderen überlassen – oder tut es sogar freiwillig, erst Recht jenseits der etablierten Medienunternehmen. Wenn man sich in Blogs und Online-Formaten umschaut, muss man sich fragen, was “online” im deutschen Journalismus 2014 an originär eigenen Inhalten zu bieten hat? Natürlich gibt es halbwegs gelungene Beispiele wie “Jung & Naiv” – Nomen est omen. Aber welt- oder auch nur republikbewegend?

Wo bitte sind sie spektakulären Enthüllungen, die großen Stories, die vernetzten Produkte, die crossmediale Recherche, die unabhängigen Plattformen, vor allem aber: Wo ist die politische, gesellschaftliche – und somit journalistische Relevanz? Mit staunenden Augen schaut man zu, wie der politische Journalismus der “Old Boys” angesichts von großen Themen wie der Krim-Krise fest im Sattel sitzt (oder sogar: zurückschlägt?), wie marginalisiert “Netz-Themen” als solche verhandelt werden (nämlich unter: ferner liefen), während “Onliner” im Hoodie vermissten Flugzeugen hinterher tickern (der Live-Ticker als Online-Leitkultur) – und davon auch noch Selfies bei Instagram hochladen. Substanz, Tiefe, Analyse, Gewicht? Da zieht man die Kapuze lieber nochmal etwas tiefer ins Gesicht …