Freiwillig bezahlen?
Sind Leser und Zuschauer bereit, für digitale journalistische Angebote zu zahlen? Glaubt man den Vertretern der Verwertungsindustrie, ist das nicht der Fall: „Gratiskultur“ und „Kostenlosmentalität“, solche und ähnliche Schlagworte werden etwa von Vertretern der „Deutschen Content Allianz“, einem Zusammenschluss von Medienunternehmen und Rundfunkanstalten, stets wiederholt. Auch in der Debatte um das Handelsabkommen ACTA hält sich diese Behauptung. Dabei erweist sich die „Gratiskultur“ bei näherer Betrachtung als Mythos.
Biotope abseits alter Geschäftsmodelle
Unbezweifelbar ist allerdings, dass das Internet drei irreversible Prozesse in Gang gesetzt hat:
- Erstens: Weil technische und finanzielle Hürden stetig sinken, wird das Angebot publizistischer Inhalte immer breiter und größer. Die Vielfalt steigt, während der Preis für Inhalte sinkt.
- Zweitens: Die publizistischen Inhalte benötigen nicht mehr zwingend die Vermittlertätigkeit der Verleger und Sender. Damit können sich Qualitätsmarken im Journalismus abseits der herkömmlichen Distributionswege etablieren.
- Drittens: Die mobile Nutzung von digitalen journalistischen Inhalten nimmt massiv zu, während klassische analoge Medien in der Nutzung zurückgehen. So entstehen an den Rändern der bisherigen Erlösstrategien (Verkauf im Handel, Anzeigen, Online-Werbung) fruchtbare und reichweitenstarke Biotope für journalistische Inhalte.
Für einen Journalisten alter Schule, der sein Geschäft durch Recherche von Themen und den Verkauf von Beiträgen an Verleger, TV-Sender und Radio-Stationen finanziert, sind diese Trends ebenso eine Gefahr wie eine Chance.
Die Gefahr: Die Anzahl der Menschen, die hochwertige Inhalte zu einem Thema publizieren können, nimmt zu – kein Journalismus-Volontariat, kein Abschlusszeugnis der Henri-Nannen-Schule kann Bürger, Unternehmen, NGOs oder Parteien davon abhalten, ihre Botschaften selbst zu publizieren.
Die Chance: Journalisten sind selbst in der Lage, mit den Konsumenten von Medieninhalten in einen Austausch zu treten und sich und ihre Arbeit als Marke zu etablieren, die für Qualität steht. Sie benötigen kein verzweigtes Netzwerk am Zeitungskiosk, keine Druckerpresse, keinen Abonnentenservice, um die Leser zu erreichen.
Wo das Angebot steigt, weil Einstiegshürden niedriger werden, sinken die Preise. Honorare für Artikel sinken, Werbeerlöse aus Online-Reichweite fallen deutlich geringer aus als in der analogen Welt. Indirekt profitieren Journalisten, Verleger und Leser davon, dass durch den elektronischen Handel die Bezahlformen im Netz mittlerweile so sehr standardisiert und gebräuchlich sind, dass digitale Geschäftsmodelle nicht an technischen Hürden scheitern müssen. Auch wenn die Gebühren für elektronische Bezahlsysteme teilweise noch sehr hoch sind – zum Beispiel bei Micropayments, also der Überweisung von Kleinstbeträgen unter 20 Euro -, so vertrauen doch immer mehr Internetnutzer den elektronischen Bezahlwegen.
Aufmerksamkeit vs. Verknappung
Zusätzlich entstand im Netz im Laufe der letzten Jahre eine Aufmerksamkeitsökonomie, die sich von der klassischen Medienökonomie durch fehlende Distributionshürden unterscheidet. Reichweite und damit Aufmerksamkeit entwickelte sich über Einzelne als Marke ihrer selbst. Die sogenannten Alpha-Blogger aus der Webszene der Jahrtausendwende wie Robert Basic oder Sascha Lobo können ein gut finanziertes Lied davon singen. Angebot und Nachfrage in der Aufmerksamkeitsökonomie bedingen und verstärken sich gegenseitig. Aufmerksamkeit macht sich bezahlt – durch Vorträge und Beratungshonorare, aber eben immer weniger durch direkte Zahlungen für journalistische Inhalte.
Die Antwort der klassischen Verleger lautet, dass die Nutzer aufgrund der kostenlosen Verfügbarkeit von Inhalten kein Gespür mehr für den Wert von Inhalten hätten und daher das freiwillige Bezahlen nicht möglich sei. Es gibt jedoch zahlreiche Studien, die belegen, dass die Bereitschaft durchaus da ist, für Inhalte im Netz zu bezahlen – nur eben nicht als pauschale Abgabe. Bündelungsgeschäfte, bei denen pauschal für einen gewissen Zeitraum ein Zugang verkauft wird, erzeugen bei vielen Nutzern Skepsis. Die Modelle von starren Paywalls, die einige Zeitungen für ihren Online-Journalismus aufstellten, sind deswegen im Wesentlichen gescheitert. Die britische „Times“ aus dem Murdoch-Imperium kämpft seit der Einführung der Paywall mit stark rückläufigen Nutzerzahlen, während sich das kostenlose Angebot des „Guardian“ neuer Leser erfreut.
Das Problem: Die Logik der alten Verknappungsökonomie auf das Internet zu übertragen, scheitert in der Regel bei Angeboten, die zahlreiche Konkurrenten haben – genau das ist bei den Nachrichten-Sites der Fall. Bei exklusiven Inhalten hingegen – wie sie zum Beispiel spezielle Branchen- oder Fachportale bieten – können sie durchaus erfolgreich sein.
Auch die Mischung aus digitalen Inhalten, ansprechendem Design und permanenter Verfügbarkeit macht mobile Abomodelle, zum Beispiel über Smartphones, wieder interessant für Leser. Die gute Nachricht: Die Verbreitung von Smartphones und die Bandbreite im mobilen Web steigen stark an. Die schlechte Nachricht: Online-Marken wie „Spiegel“ und „Bild“, die sich allein über App-Verkäufe finanzieren können, sind die Ausnahme. Hinzu kommt, dass es externe Apps wie Flipboard bereits schaffen, die Inhalte auch aus dem stationären Web ansprechend aufzuarbeiten. Die jeweiligen Verlagsangebote werden dagegen nur bestehen können, wenn sie von guten Designern und Entwicklern kommen; ein ins iPad verliebter Herausgeber allein wird nicht reichen. Für den großen Teil Medienhäuser ist im mobilen Web noch kein Erlösmodell in Sicht, für Journalisten sieht es ebenso aus. Das würde sich ändern, wenn sich mobile Payments durchsetzen und Inhalte jederzeit finanziell honoriert werden könnten. Das stationäre Web zeigt, wie es geht.
Wer einen Standpunkt hat, dem gibt man Geld
Im stationären Web haben sich Erlösmodelle etabliert, die zeigen, dass es zumindest eine grundlegende Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte gibt. Die Leser sind dabei durchaus anspruchsvoll und detailversessen. Journalistische Inhalte, die meinungsstark sind, exklusive Informationen enthalten oder bestehende Inhalte auf anspruchsvolle Weise neu zusammenstellen, werden von Lesern in den sozialen Netzwerken verbreitet, aber auch finanziell honoriert. Leser wollen eine Auswahl treffen, wofür sie bezahlen, und sie wollen sicherstellen, dass das Geld beim Urheber ankommt.
Zwei Grundmodelle lassen sich hier unterscheiden: Social Payments und Crowdfunding. Beide erlauben es, Journalismus gemeinschaftlich zu finanzieren – in der Regel mit kleinen Beiträgen, die es jedoch in der Masse ermöglichen können, Journalisten ein Auskommen zu geben. Das gelingt denjenigen Journalisten am besten, die sich ein eigenes Profil erarbeiten: als Fachjournalisten oder als Meinungsjournalisten.
Soziales Bezahlen
Social-Payment-Anbieter wie Flattr oder Kachingle basieren auf Überweisungen im Micropayment-Bereich, die zwischen einigen Cents und Beträgen von etwa 20 Euro liegen. Ein Inhalteanbieter muss dafür einen Button, das heißt ein paar Zeilen Code, auf seiner Webseite einbauen. Wenn einem Benutzer die Inhalte gefallen, kann er mit einem Klick eine kleine Summe an den Urheber überweisen.
Zahlreiche freie Journalisten nutzen das, um Geld auf ihren Blogs einzunehmen, darunter etwa der Podcaster Tim Pritlove, der über Flattr bis zu 2.000 Euro im Monat einnahm. Auch freie Journalisten wie Ulrike Langer und Journalismus-Portale wie „Carta“ oder Zeitungen wie „Der Freitag“ oder die „taz“ setzen die kleinen Bezahl-Buttons ein. Letztere führte vor einem Jahr zudem ihr eigenes Bezahlsystem ein: „tazzahlich“. Das hauseigene Blog berichtet regelmäßig über die monatlichen Einnahmen von mittlerweile fast 4.000 Euro. Der Erfolg spricht dafür, dass auch andere Zeitungen überlegen sollten, ihre Leser an der Finanzierung zu beteiligen.
Spenden funktionieren nur für wenige
Natürlich ist es nicht so, dass das Volumen der Social Payments eine echte Alternative zu bisherigen Erlösmodellen ist. Bis auf wenige Ausnahmen übersteigen die Einnahmen nicht den dreistelligen Bereich. Davon kann kein Journalist und erst recht kein Medienhaus leben. Social Payments werden noch von wenigen Internetnutzern verwendet, vor allem in der Blogosphäre sind sie bisher beliebt. Um auch für Massenmedien spannend zu werden, benötigt es wahrscheinlich sehr viel mehr mediale Aufmerksamkeit.
Darüber hinaus wird die Nutzung von Social Payments für ein staatlich initiiertes Umlagesystem diskutiert. Der Chaos Computer Club hat sein Konzept der „Kulturwertmark“ vorgeschlagen, das auf einer Abgabe – zum Beispiel für Breitbandanschlüsse – basiert, aus der heraus die Teilnehmer eine gewisse Menge an Kulturwertmark erhalten und an die Produzierenden weitergeben würden. So würde eine Art Marktsystem entstehen, das staatlich angeschoben würde. Der CCC knüpft daran zudem die Bedingung, dass die darüber finanzierten Inhalte nach einiger Zeit in die Gemeinfreiheit übergehen sollen.
Die Kulturflatrate, die unter anderem von den Grünen vorgeschlagen wird, geht in eine ähnliche Richtung: eine allgemeine Pauschalabgabe für die Kultur- und Kreativwirtschaft – wenn auch mit teilweise sehr divergierenden Positionen, wie die Nutzer bei der Verteilung der Einnahmen auf die Künstler einbezogen werden sollen. Ob Journalisten, die über die Verwertungsgesellschaft Wort an einem ähnlichen Modell beteiligt sind, von Modell einer Kulturflatrate allerdings profitieren würden, bleibt ungewiss.
Crowdfunding: Gemeinsames Finanzieren
Bei Social Payments werden in der Regel Inhalte finanziert, die schon produziert worden sind. Beim Crowdfunding geht es um Inhalte, die noch nicht produziert wurden. Im Journalismus heißt das, dass jemand eine Idee für einen Artikel, ein Buch oder einen Film auf eine Crowdfunding-Plattform stellt. Zusätzlich gibt er an, wieviel Geld er benötigt, um sein Vorhaben umzusetzen. Innerhalb einer gewissen Zeit besteht dann für jedermann die Möglichkeit, Geld zu geben. Dafür gibt es meist festgelegte Gegenleistungen (Prämien). Sowohl Social Payments als auch Crowdfunding nutzen das Internet auch, um den Finanzierungsvorgang transparent zu machen: Bei beiden ist klar, wer am Ende wofür Geld erhält; man kann darüber kommunizieren, warum man es möchte und warum man es gibt.
Auf den bekannten amerikanischen Plattformen wie Kickstarter und Indiegogo sind schon einige journalistische Projekte gefördert worden. Ein Beispiel ist das „Occupied Wall Street Journal“, ein Print-Magazin der New Yorker Occupy-Bewegung, für das knapp 75.000 US-Dollar gesammelt wurden. Vielversprechender sind allerdings auf den Journalismus spezialisierte Plattformen wie Spot.us und Emphas.is. Sie ermöglichen es den Journalisten, Recherchevorhaben und deren Preis den Bürgern vorzuschlagen, die dann mit kleinen Summen die Produktion der Artikel finanzieren können. Es wurde unter anderem von der amerikanischen Knight Foundation unterstützt. Die Autoren erhalten einen – teilweise vierstelligen – Betrag für ihre Texte. So wurde zum Beispiel eine Reportage über den Arabischen Frühling mit 3.500 US-Dollar finanziert. Auf diese Weise entsteht ein durch Bürger finanzierter investigativer Journalismus.
Die Plattform Emphas.is wiederum geht einen anderen Weg und ermöglicht es Fotojournalisten, ihre Arbeiten finanzieren zu lassen. Eine Foto-Reportage über die wirtschaftliche Situation amerikanischer Ureinwohner sammelte beispielsweise knapp 26.000 US-Dollar ein. Die Fotojournalisten können ihre Bilder auch als Buch publizieren lassen. Ein Fotobuch über den Handel mit bedrohten Arten konnte knapp 6.000 Dollar erlösen.
Im deutschsprachigen Raum ist mit dem Projekt Mediafunders ähnliches geplant. Über einen Fonds will das Schweizer Unternehmen Mediaquell investigativen Journalismus fördern, wobei auch die Nutzer Artikel finanzieren sollen. Sie sollen dann unter freien Lizenzen im Netz veröffentlicht werden. Bislang müssen sich Journalisten allerdings auf den anderen deutschsprachigen Crowdfunding-Plattformen ihre Fans suchen. Auch dort – etwa bei VisionBakery, Startnext, inkubato, pling oder mySherpas – sind einige journalistische Projekte erfolgreich abgeschlossen worden, etwa das Sachbuch „Friendly Fire“ von Andrea Kamphuis oder Magazine wie „Low“ und „Päng!“.
Stiftungen für Journalismus
Es gibt also viele innovative Geschäftsmodelle im Journalismus – obwohl sich die öffentliche Diskussion fast nur um Themen wie das Leistungsschutzrecht dreht, mit dem der Staat die hergebrachten Geschäftsmodelle der Verleger im Netz konservieren soll. In den USA, aber auch in anderen europäischen Ländern werden Stiftungen für investigativen Journalismus gefördert oder aufgebaut, die zum Teil auch staatlich unterstützt werden.
In Deutschland dagegen gibt es nur wenige Beispiele eines stiftungsfinanzierten Journalismus – eines ist VOCER, das sich der Mediendebatte und -kritik widmet und von mehreren Stiftungen und der Bundeszentrale für politische Bildung getragen wird. Für derartige Modelle gäbe es noch viel Potenzial.
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Lizenz BY-SA 3.0. Zuerst erschienen in „Öffentlichkeit im Wandel“, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung.