Zur Lage stiftungs- und crowdfinanzierter Medien in Deutschland
„There’s an elephant in the room“ pflegen die Amerikaner zu sagen, wenn ein Problem ganz offensichtlich ist, das sich kein Anwesender offen auszusprechen traut. Der Elefant, um den es seit längerem geht, ist der Journalismus – also das Handwerk, der Berufsstand, das Angebot, das öffentliche System Journalismus.
Man muss heute niemandem mehr großartig erklären, dass der Journalismus unter Druck geraten ist. Auch wenn vor allem Verlagsgeschäftsführer so tun, als seien die Verwerfungen der Medienkrise gar nicht mehr so schlimm, ist davon vieles Augenwischerei. Die Branche kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass weitere Zeitungen sterben, dass weitere Journalisten entlassen werden und der Qualitätsjournalismus, wie er gern genannt wird, immer mehr zur Disposition steht – ganz schlicht und ergreifend deshalb, weil er nur noch in seltenen Fällen Geld abwirft. Es leiden die investigative Recherche und die Auslandskorrespondenz, weil dies die teuersten Bereiche sind. Sorgen bereitet Forschern vor allem auch der Lokaljournalismus, der extrem ausgedünnt wird.
Vor allem mit Blick auf die Presselandschaft – und damit sind jetzt mal nicht prestigeträchtige Titel wie Die Zeit, Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung gemeint – dann stellt man fest, dass sich einige ökonomische Abgründe auftun. Jüngstes Beispiel sind die Schreckensmeldungen über die renommierte FAZ, die, wenn sie so weitermacht, nicht einmal die nächsten zehn Jahre überlebt.
Der Elefant im Raum berührt also die Frage, wie wir Journalismus in Zukunft finanzieren wollen oder können, wenn er sich nicht mehr am Markt trägt: Wir erleben zwar derzeit noch kein weitreichendes Marktversagen wie in den USA (derzeit erwirtschaften Zeitungsverlage noch Umsatzrendite von 8 bis 10 %), aber Medienhäuser und Zeitungsverlage scheiterten bisher kläglich bei der Entwicklung von tragfähigen Geschäftsmodellen, die den Qualitätsjournalismus im Internet überlebensfähig machen. Daher müssen von unterschiedlichen Akteuren neue Experimente gewagt und Anreizsysteme geschaffen werden – einschließlich staatlicher, zivilgesellschaftlicher und gemeinnütziger Modelle.
Bisher wurde in Deutschland noch viel zu wenig über einen marktunabhängigen Journalismus gesprochen, der im Crowdfunding und in stiftungsfinanzierten Modellen seine Entsprechung finden könnte. Es geht um einen Journalismus, der frei von Werbung denken und agieren kann, der selbst auf Reichweiten und wirtschaftliche Erlösquellen keine Rücksicht nehmen muss. Es geht um einen Journalismus, der, bei näherer Betrachtung, für viele, die diesen Beruf ausüben, ein Traum ist und mitnichten ein „Albtraum“, wie es Axel-Springer-Vorstand Mathias Döpfner im Februar 2013 bezeichnete, als es im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien in einer Elefantenrunde deutscher Verleger darum ging, die Politik von einer Verabschiedung des Leistungsschutzrechts zu überzeugen.
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Stiftungen können den Journalismus natürlich nicht retten. Und sie müssen auch keine maroden Geschäftsmodelle der Verlage durchfinanzieren. Stiftungen werden durch Ihr Engagement auch keinen Ausweg aus der Strukturkrise der Medien finden. Selbst wenn man das millionenschwere Engagement für journalistische Projekte aller US-Stiftungen, die für ihre Spendenbereitschaft bekannt sind, zusammenrechnen würden – es sind dies derzeit rund 100 Millionen Dollar jährlich –, hat diese Förderung noch nicht einmal ein (!) Prozent aller Einnahmeverluste journalistischer Angebote Amerikas ausgleichen können. Gleichwohl flossen in den Jahren 2001 bis 2011 in den USA über eine Milliarde US-Dollar in den gemeinnützigen Sektor, davon alleine über 400 Millionen US-Dollar durch die Knight Foundation (Stand: 2011).
Es gibt inzwischen so viele Beispiele in den USA, wo das Crowdfunding und die Stiftungsfinanzierung funktionieren, bei machen sogar sehr gut funktionieren, dass man Mühe haben wird, diese Initiativen vollständig aufzuzählen. Erwähnt werden muss als Vorreiter aber das Center for Investigative Reporting (CIR) in Berkeley, Kalifornien, das bereits seit 1977 existiert und seine Arbeit seitdem über Spenden und Stiftungsgelder finanziert. Auch das erfolgreiche Stiftungs- und crowdfinanzierte Modell der Non-Profit-Redaktion ProPublica in New York muss in diesem Zusammenhang Erwähnung finden, hat es doch erst die breite Akzeptanz geschaffen, dass auch abseitige Finanzierungsformen Journalismus auf hohem Qualitätsniveau hervorbringen. Es gibt in den USA zahlreiche weitere Vorzeigebeispiele für unabhängige Redaktionen, journalistische Initiativen und Einzelprojekte, an denen sich nicht nur fabelhaft die Nachhaltigkeit des Dritten Weges aufzeigen lässt, sondern sich Pioniergeist und Qualitätsansprüche auf positive Weise vermischen, etwa bei der Texas Tribune, der MinnPost, der Voice of San Diego, The Big Roundtable, Spot.us, Baltimore Brew, DecodeDC oder dem Center for Public Integrity. Weitere Beispiele finden sich auf der von Kickstarter im Juni neu eingeführten Kategorie „Journalism“.
Sie alle stehen in unterschiedlicher Weise für Qualitätsjournalismus – für investigative Recherche, für Innovation, Bürgernähe oder Nachhaltigkeit. Sie decken Berichtenswertes ab, über das ohne sie häufig nicht berichtet werden würde. Und es gibt sie nur, weil Stiftungen oder die Crowd ihren Ansatz für förderungswürdig halten und von ihrer journalistischen Idee überzeugt sind.
Auch in Deutschland sprechen die Fakten für sich: Experten sind sich einig, dass zivilgesellschaftliche Eingriffe in den Pressemarkt werden kommen müssen – bereits im Jahr 2012 attestieren knapp 60 Prozent der befragten Experten im Rahmen einer im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung durchgeführten Studie dieser Finanzierungsart eine wachsende Bedeutung. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Dritten Weges der Journalismusförderung wird also erkannt, vor allem durch Stiftungen, aber auch durch die Crowd. Allerdings, auch das zeigt die Studie, entzünden sich immer wieder Diskussionen um Risiken einer möglichen Manipulation – etwa durch die Spender und Stifterpersönlichkeiten selbst.
Wieso sollten es Stiftungen und – im weiteren Sinne – die Crowd dennoch als große Chance betrachten, journalistische Projekte und Start-ups zu fördern?
- Es gibt keine ernsthaften Alternativen für einen marktunabhängigen Non-profit-Journalismus: Dass Projekte wie Krautreporter mit ihrem Fundraising erfolgreich waren zeigt, warum das Crowdfunding als alternative Finanzierungsform eine wichtige, ergänzende Säule zur Finanzierung von Nischenpublikationen werden wird. Stiftungsprojekte wie Correct!v machen wiederum deutlich, dass ein Marktversagen zu neuen Kreativlösungen führen und offenkundig Mäzene anlocken kann.
- Es lohnt sich rein ideell für Stiftungen und Crowdfunder, einen neuen Gesellschaftsvertrag voranzutreiben, der Journalismus – zumindest in Teilen – als öffentliches Gemeingut anerkennt. Stiftungen und die Crowd spielen eine entscheidende Rolle, um kritischen, unabhängigen Journalismus zu fördern, auf den unsere Demokratie angewiesen ist. Dies ist nicht nur eine Verpflichtung – oder sagen wir besser: die Pflicht –zivilgesellschaftlicher Akteure, sondern insbesondere von Stiftungen.
- Als Förderobjekte eignen sich weniger Verlagsstrukturen, sondern eher einzelne publizistische Erzeugnisse, die sich in bestimmten Bereichen des Journalismus als Qualitätstreiber profilieren wollen. Unterstützenswert sind insbesondere auch Stipendien, mit denen besonders vernachlässigte Bereiche wie Lokaljournalismus, internationale Journalismusprojekte und die investigative Recherche unterstützt werden. Auch die Förderung von Qualität in der journalistischen Aus- und Weiterbildung ist zielführend.
- Es ist eine Mär der Verlage, dass der Einsatz von Stiftungsgeld den Markt erodieren lässt; erodiert ist er ohnehin schon. Und mit einem gezielten Fördersystem lassen sich sinnvolle Anreize und Freiräume schaffen – für Experimente, für Neuheiten, für nachhaltigen Journalismus, der nicht mehr die Klicks, Auflagen, Quoten in das Zentrum seines Denkens und Tuns stellt, sondern seine Legitimation als Kontrolleur der Macht festigt.
- Gerade stiftungs- und crowdfinanzierter Journalismus handelt auch im öffentlichen Interesse, wenn er gezielt Innovationsförderung betreibt, etwa bei journalistischen Start-ups. Von dieser Förderung profitieren auf lange Sicht viele Beteiligte – weil dies als nachhaltige Investition in die Zukunft der gesamten Branche und ihrer Qualitätsmedien begriffen werden muss. Eine Grundidee dabei ist, dass sich die Geförderten einem Gemeinwohlgedanken verpflichtet fühlen und im Erfolgsfalle etwas von dem Profit an die nächste Generation der Existenzgründer zurückgeben.