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NZZ Stream: Der Nachrichtenfluss als UX-Metapher

Das NZZ Lab, die Entwicklungsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung, hat im Herbst 2013 einen radikal neu gedachten Prototypen der NZZ-Website gebaut. Das Projekt sollte Erkenntnisse dazu liefern, wie Newssites veränderten Nutzungsgewohnheiten gerecht werden können.

Der einsatzbereite NZZ Stream.

Der einsatzbereite NZZ Stream.

Ausgangslage

Eine unserer Aufgaben bei NZZ Labs ist die Identifizierung und Beurteilung relevanter Entwicklungen unserer Branche. In dieser Funktion fielen uns in den letzten Jahren verschiedene Trends auf, die die Art, wie Medien konsumiert werden, nachhaltig verändern. Drei davon wollten wir mit im Projekt NZZ Stream näher untersuchen:

  1. Die Layoutmetapher des „Streams“, die man von Social-Media-Angeboten kennt, wird zunehmend populär.
  2. Es besteht ein Bedürfnis nach personalisierten oder individualisierbaren Informationsangeboten, die auf die eigenen Interessen zugeschnitten sind – ebenfalls ein Muster, das stark von Facebook und Twitter geprägt wird, aber ein Wunsch, der auch aus unserer Leserschaft regelmässig geäussert wird.
  3. Die Displayvielfalt wird immer grösser und Responsive Design in Folge beliebter, das sich dem jeweiligen Gerät anpasst und so insbesondere auch mobilen Nutzungsformen gerecht wird.

Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die Frage „Wie können wir als Newssite diese Trends bei der Neu- und Weiterentwicklung unserer Angebote berücksichtigen?“. Darüber hinaus war auch von Interesse, welche Auswirkungen eine radikal neue Ansicht der Inhalte von NZZ.ch auf das Nutzerhalten hat.

Zum Zeitpunkt des Projektstarts im Sommer 2013 gab es – vornehmlich im englischsprachigen Raum – eine kleine Zahl von News-Angeboten, die mit ähnlichen Darstellungsformen experimentierten, etwa Reuters Next (offline) oder Quartz. In der Zwischenzeit sind weitere grosse Sites wie Time.com oder NBC News hinzu gekommen. Zur Inspiration dienten aber auch theoretische Überlegungen verschiedenster Art, die wir gemeinsam mit Kollege David Bauer in dieser Linkliste gesammelt haben.

Umsetzung

Fest stand, dass unsere Fragestellung nur mit einem funktionalen Prototypen beantwortet werden konnte. Zu diesem Zweck haben wir mit möglichst geringem Ressourceneinsatz ein Minimum Viable Product gebaut, das unsere Überlegungen für die Nutzer greif- und damit unter realen Bedingungen testbar machte – unter Verzicht auf viele inhaltliche (etwa Leserkommentare oder Bildergalerien) und kommerzielle (etwa Login und Werbeplätze) Bestandteile der regulären NZZ-Angebote. Ausgehend von der Pressemitteilung zum fertigen Produkt (inspiriert vom Produktentwicklungs-Ansatz bei Amazon) entstanden Konzept und erste Mockups, welche als Diskussionsgrundlage für die Kommunikation mit dem Designer und den Entwicklern dienen sollten. Darauf basierend gab es dem Prinzip der agilen Softwareentwicklung entsprechend mehrere Iterationen, bis die Lösung gefunden war, die aktuell unter stream.nzz.ch zugänglich ist.

Dem experimentellen Charakter von NZZ Stream entsprechend wurde der Launch vor allem „unter dem Radar“ kommuniziert: Wir haben das Angebot über unser Blog und soziale Medien sowie im Newsletter „NZZ am Morgen“ beworben. Dabei baten wir die Nutzer darum, ihre Erfahrungen und Beurteilungen in einem entsprechenden Fragebogen mit uns zu teilen, um neben den rein quantitativen Daten aus Google Analytics auch qualitative Aussagen zu Akzeptanz, Vorlieben und Verbesserungswünschen machen zu können.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Experiment

  • Das Verhältnis von Page Impressions zu Visit und die durchschnittliche Verweildauer sind auf NZZ Stream deutlich höher als auf NZZ.ch (Desktop, Tablet und Smartphone). Auf Tablets ist diese Steigerung besonders ausgeprägt: Pro Besuch werden hier mehr als 4x so viele Seiten gesehen, die Verweildauer ist um rund 60 Prozent höher. Dafür sorgt wohl zum einen die erhöhte individuelle Relevanz durch die Ressort-Filter, insbesondere aber das für Touch-Devices optimierte Interface mit seinem Infinite Scrolling.
  • Ein Produkt wie NZZ Stream ist ein Angebot für sehr digital-affine Leser. Bei diesen stösst es auf deutlich grösseren Anklang als bei Nutzern, die journalistische Inhalte vor allem über traditionelle Kanäle konsumieren.
  • Die Nutzer bewerten die Responsivität der Darstellung und die Funktion der laufenden Aktualisierung am besten. Als Verbesserung wird insbesondere stärkere redaktionelle Gewichtung gewünscht – auch von der Gruppe der digitalen Heavy User. Es wurde deutlich, dass die Unterschiedlichkeit der Inhalte der NZZ (Länge, Tiefe, Tonalität, Thematik etc.) im Widerspruch zur Stream-Darstellung steht.
  • Die Ressort-Filter zur Individualisierung des Streams werden intensiv genutzt (ca. 65 Prozent der Nutzer haben hier eine Anpassung vorgenommen). Die Popularität der Ressorts deckt sich dabei weitgehend mit derjenigen auf NZZ.ch. Einzig „Digital“ ist hier deutlich weiter vorn, was sich durch die digital-affine Nutzerstruktur erklären lässt.
  • Am schlechtesten, wenn auch immer noch leicht positiv, wird die Sortierung nach „Social Signals“ (Likes, Shares, Kommentare) bewertet.

NZZ Stream werden wir nicht als eigenständiges Angebot weiter entwickeln, die Erkenntnisse aus dem Projekt fliessen jedoch in verschiedener Weise in die aktuelle und zukünftige Produktentwicklung bei der NZZ ein. Über weiteres Feedback oder Fragen freuen wir uns (Kontakt via Twitter oder über die Website).