Worüber reden wir hier eigentlich?
Ganz offensichtlich besteht Diskussionsbedarf. Als Anfang Januar in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Text erschien, der die Verweichlichung der jungen Männer von heute beklagte, hagelte es Kommentare, Blog-Artikel, Glossen und sogar offene Briefe. Der Strom der Meinungen fließt mittlerweile zwar ein wenig ruhiger, versiegt ist er allerdings noch immer nicht. Der Kommentarthread unter dem Artikel wächst gleichsam täglich weiter an, aktuell umfasst er 46 Seiten mit über 360 Beiträgen.
Das Verhältnis der Geschlechter ist ein reizendes Thema, in jedem Sinne – und deshalb kommt es meistens nur verbrämt zu Wort. Auch die „Zeit“-Autorin Nina Pauer schreibt nicht von irgendwelchen jungen Männern und Frauen, auch nicht von einem jungen Mann und einer jungen Frau, sondern von der jungen Frau und deren Missmut über den jungen Mann. Als gäbe es nur einen Vertreter der jeweiligen Gattung und befänden wir uns also am Anfang aller Tage, im Paradiesgärtlein bei Adam und Eva, da ein Exemplar tatsächlich noch genügte, um Rückschlüsse aufs Ganze zu ziehen.
Wie üblich verraten die beiden bestimmten Artikel im Singular mehr als sie verbergen: „Die junge Frau“ meint kein beliebiges Beispiel, sondern spricht unmissverständlich aus der eigenen Erfahrung Nina Pauers. Und „der junge Mann“ existiert genauso wenig wie „das Auto“; er ist nichts weiter als eine banale Fiktion, die um den Alleinvertretungsanspruch buhlt. Die Überschrift müht sich zwar, die individuelle Erfahrung zu verallgemeinern, markiert den christlichen Subtext jedoch nur noch deutlicher. Sie lautet „Die Schmerzensmänner“.
Kaum zufällig verzichtet die Autorin auf ein Wort, von dem man eigentlich dachte, dass ohne es nicht mehr zu sprechen wäre über das Verhältnis der Geschlechter. Auch in den meisten Reaktionen auf Pauers Artikel fällt der Begriff „Gender“ nicht, wie er überhaupt ein wenig aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verschwunden zu sein scheint. Dementsprechend handeln Diskussionen nicht mehr von Frauenbildern und Männerbildern, sondern von Frauen und Männern als solchen, eben wie Gott sie geschaffen hat.
Klopstock!
So erobert sich die Biologie ein Terrain zurück, das die Geisteswissenschaften einst mühevoll besetzt hatten – und von der Gemachtheit der Geschlechterdifferenz spricht im Gegenzug kaum mehr jemand; sie wird stattdessen naturalisiert und als so begehrenswert wie unhintergehbar vorgestellt: „Anziehungskraft kommt erst durch Unterschied“, erklärt Pauer forsch und schlägt damit nicht nur gleichgeschlechtliche Beziehungen vor den Kopf. „Wenn der entscheidende move gefragt ist, er sich herüberbeugen und die junge Frau endlich küssen sollte, fängt sein Kopfkino an“, bedauert sie die Vorherrschaft des Hirns über den Leib. Wer solche Texte mit einem Hinweis auf den eigenen Mann – ja, auch Frauen üben sich bisweilen im Schwanzvergleich! – zu kontern versucht, gibt dem Privat-Biologismus nur ein weiteres Mal Recht.
Besonders bemerkenswert ist der Verzicht auf den Gender-Diskurs, weil ein anderer Name, der Nina Pauer auf die richtige Fährte hätte setzen können, in ihrem Text durchaus vorkommt. Allein, sie kennt den Begriff offensichtlich bloß als Schlagwort, dessen Sinn nicht weiter von Belang ist, und klagt folglich über das „moderne Werthertum“, ohne zu wissen, wie richtig sie da liegt.
Die Liebesszene am Fenster in Goethes Briefroman ist nämlich nicht nur legendär, sondern auch schlauer als vieles, das seither über Männer und Frauen geschrieben wurde. Weil darin genau das geschieht, was Pauer als Gegensatz imaginiert. Gerade wegen des „Kopfkinos“ küsst der Mann die Frau: „Sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: ‚Klopstock!‘ – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoss. Ich ertrug’s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küsste sie unter den wonnevollsten Tränen.“
Soll heißen: Nicht Menschen, sondern Medien machen Liebe. Was damals Klopstock, sind heute wohl weniger die Schriftsteller, sondern allererst die Bilder und Texte in Zeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen, im World Wide Web. Ikonen oder wenigstens Konstruktionen, die Frauen und Männern vormachen, wie Frauen und Männer auszusehen, sich zu verhalten und sich zu äußern haben. Weil deren Wirksamkeit außer Zweifel steht – man denke nur noch einmal an Werther und den gleichnamigen Effekt, der den Selbstmord als ein mögliches Beispiel unter vielen für die Nachahmungslust der Rezipienten nimmt – sollte man sich besser über die Stereotype als solche Gedanken machen, statt die Existenz von „dem jungen Mann“ oder „dem Auto“ zu behaupten. Dererlei Simplifizierungen standen Journalisten noch nie besonders gut zu Gesicht.
Deshalb soll es in dieser Kolumne eben darum gehen: um die Bilder, die sich Medien von den Frauen und den Männern machen, um sie uns zu verkaufen, ja: uns zum Fraß vorzuwerfen.