Digitale Garage: Wie Radio Bremen ins Netz ging
Die Geschichte von Radio Bremen im Netz begann mit einem Kasten Bier: Den spendierte Radio-Bremen-Intendant Jan Metzger, als er im Oktober 2010 das Projekt „360 Grad“ ausrief – leider gibt es kein Foto davon, niemand war so geistesgegenwärtig, den Intendanten bei dieser eher informellen Übergabe zu fotografieren.
Im Kern ging es bei „360 Grad“ darum, mit sechs Ex-Volontären und nun frischgebackenen Jungredakteurinnen und -redakteuren Strategien für den Einsatz in sozialen Netzen zu entwickeln, und darüber nachzudenken, wie jüngere Zielgruppen wieder stärker an Radio Bremen gebunden werden können. Genauer: 15- bis 25-Jährige, die ganz selbstverständlich mit Internet und sozialen Netzwerken aufwachsen und immer seltener die linearen Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender nutzen.
Nach zwei Monaten war es mit den „360 Grad“ schon wieder vorbei – das war von vornherein so geplant. Aus dem Projekt wurde eine Redaktion, das war nicht so geplant, aber die erfreuliche Folge – die „Digitale Garage“ war geboren. Dieser Name mag heute etwas abgenutzt klingen, im Jahre 2010 konnten wir zumindest unsere Chefs noch einigermaßen damit beeindrucken.
Große kreative Freiheit
Viel wichtiger, völlig unabhängig vom Namen: Wir waren von Anfang an mit viel kreativer Freiheit ausgestattet. In diesen ersten zwei Monaten des „360 Grad“-Projekts ging’s primär gar nicht so sehr um konkrete Ergebnisse, sondern vielmehr darum, mit möglichst wenig Mitteln möglichst viel kreative Unruhe bei Radio Bremen zu stiften. Das hat tatsächlich funktioniert. Mit Programmbeobachtung und mit einfachen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Fragen, direkt an die Kollegen: „Welcher Beitrag, welches Thema aus eurem Programm könnte auch für eine jüngere Zielgruppe interessant sein?“, „Wie erreicht ihr euer Zielpublikum?“, „Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke für euch bei der Programmdistribution?“ Beobachten, fragen und ausprobieren. Das galt für eine kleine Smartphone-App genauso wie für eine große ARD-Kooperation wie der tagesWEBschau, die wir später gemeinsam mit dem Hessischen Rundfunk und der Tagesschau hier in Bremen auf den Weg brachten.
Ein wichtiger Effekt der Projektphase vor knapp fünf Jahren war auch: Die Trainees sollten nach ihrer Zeit im Projekt als Reporter und Redakteure in unterschiedlichen Redaktionen im ganzen Haus andocken. Sowohl im Fernsehen als auch im Hörfunk – aber egal, in welchem Bereich sie nun landeten, der Umgang mit sozialen Medien sollte für sie ein ganz selbstverständlicher sein. Auch wenn das heute wie eine Binse klingt, vor fünf Jahren war das eben doch noch keine Selbstverständlichkeit.
Social Media als neue Selbstverständlichkeit
Gut zu erkennen an einem Zitat von Peter Horrocks, Service Director bei BBC World, aus der damaligen Zeit: Social Media sei keine Frage rein privater Neigung technikaffiner Journalisten. „Das ist nicht irgendeine Marotte von einem Technik-Enthusiasten. Ich fürchte, man kann den Job nicht mehr machen, wenn man sich damit nicht auskennt.“
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er Recht hat.
Das war vor fünf Jahren. Mittlerweile hat die Digitale Garage eine ganze Reihe von Projekten angestoßen und begleitet. Was ganz Besonderes für uns war beispielsweise das transmediale Spiel „Rettet Jana“ zum Tatort „Alle meine Jungs“ im letzten Jahr.
Wer bei dieser virtuellen Schnitzeljagd mitmachte, musste damit rechnen, SMS, Anrufe und sogar echte Briefe von den Spielcharakteren zu erhalten. Dieses „Alternate Reality Game“ hatten wir gemeinsam mit der Agentur Thadeus Roth aus Leipzig entwickelt und durchgeführt. Das Ganze war von Anfang an nur als kleines Spiel-Experiment gedacht – ist aber so gut gelaufen, dass wir in diesem Sommer eine Neuauflage davon planen.
Die zwei bekanntesten Projekte der Digitalen Garage sind eigentlich gar keine Projekte – sondern Sendungen. Das war zum einen die tagesWEBschau, die wir in Bremen gemeinsam mit dem ARD-Hörfunksender YOU FM und der Tagesschau produzierten. Die tagesWEBschau wurde in den drei Digitalkanälen der ARD und auf den Online-Seiten der jungen ARD-Radiowellen ausgestrahlt und war ein gemeinschaftlich finanziertes ARD-Projekt. Leider war nach 12 Monaten Schluss. Die ARD-Intendanten hatten entschieden, die tagesWEBschau nach einem Jahr Pilotphase nicht fortzuführen. Grundsätzlich war es schwierig gewesen, Erfolgskriterien zu definieren – es ging ja nicht nur um klassische Fernsehquoten, sondern auch um Online-Klickzahlen, zum Beispiel bei YouTube. Wie auch immer, einige Vorgaben hatten wir erreicht, andere nicht. Am 31. Mai 2013 wurde die letzte Folge der tagesWEBschau produziert.
Mehr Fördermittel für Innovationen
Eines der Probleme war, dass es keinen passenden klassischen Finanzierungstopf für uns gab – wir waren weder Fernsehen, noch Hörfunk, noch Online. Aber, auch als Reaktion darauf, wurde in der Folge ein Innovationstopf eingerichtet, um eben in Zukunft solche Projekte besser finanzieren zu können.
In so einem Jahr häuft eine Redaktion sehr viel Wissen an: Wann und unter welchen Umständen darf ich Ausschnitte aus Online-Videos zeigen, wie gehe ich richtig mit Lizenzfragen und Persönlichkeitsrechten um, welche Tools kann ich wie einsetzen, um anschaulich Websites zu zeigen? Wie funktioniert das Phänomen YouTube und nach welchen Regeln? Wir hatten einen wunderbaren Erfahrungsschatz – und große Lust, die tagesWEBschau weiterzuentwickeln.
Glücklicherweise erfuhren wir große Unterstützung aus dem Haus – und so wurde dann beschlossen, dass wir weitermachen – mit kleinerem Budget, dafür aber allein finanziert von Radio Bremen.
Aus TagesWEBschau wird wochenwebschau
Die erste wochenwebschau erschien am 2. August 2013 – wie schon der Vorgänger wird die Sendung bei EinsPlus, Einsfestival und tagesschau24 und online ausgestrahlt und angeboten. Und nicht zuletzt produzieren unsere Autorinnen und Autoren Beiträge für ARD-aktuell-Sendungen wie das Nachtmagazin, für tagesschau.de und seit einigen Monaten auch regelmäßig für das Morgenmagazin im Ersten. Die Kollegen vom WDR waren während der Fußball-WM im letzten Jahr auf uns aufmerksam geworden, hatten Berichte bei uns bestellt – und mittlerweile ist daraus eine feste Zulieferung geworden.
Dadurch, dass wir weiter an unserem Webnews-Format arbeiten durften, hat das kleine Radio Bremen jetzt ein Produkt mit guter Präsenz auf vielen Kanälen und Plattformen innerhalb der großen ARD. Natürlich kann niemand vorhersagen, wie sich das alles weiterentwickelt, es gibt noch viele Fragen, und diese digitale Welt verändert und dreht sich unaufhörlich weiter – aber immerhin sind wir mittendrin, in diesem Prozess, und bleiben – hoffentlich – kreativ unruhig!
Aber wo ist eigentlich die Kiste Bier abgeblieben?