Coming of Rage: Dem Protest auf der Spur
Reporter Sammy Khamis ist für „Coming of Rage“ in Regionen unterwegs, die in den vergangenen Jahren einiges an Krawall und Protest durchgemacht haben – wo vor allem junge Menschen auf die Straße gegangen sind für Meinungsfreiheit und Bürgerrechte oder einfach aus persönlicher Verzweiflung. Manche demonstrieren für ihre Überzeugungen und kämpfen dafür, das politische und gesellschaftliche System ihrer Heimat zu verändern. Andere fliehen vor dem Elend um sie herum, planen Utopien oder enden an der Spritze.
Passend zur aktuellen Berichterstattung rund um Griechenlands Schulden (#Grexit) schaut „Coming of Rage“ jetzt auf die Leute, bei denen die abstrakten Zahlen ganz real im Alltag ankommen: Knapp 60 Prozent der jungen Griechen sind arbeitslos; Sammy Khamis hat in Athen junge Menschen getroffen, die ihren Job verloren haben und die Euro-Krise an jeder Ecke zu spüren bekommen. Er war bei den Autonomen im Viertel Exarchia und unterwegs mit solchen, die schwer abhängig von Heroin und Sisa sind. Und er bekam Antworten wie: „Der einzige Weg ist Widerstand.“
Ab heute gibt es auf stry.tv und auf Sueddeutsche.de jede Woche eine neue Folge aus Griechenland, wo unser Team vergangenen Sommer unterwegs war: „Die Krise sieht man in Athen an jeder Straßenecke: geschlossene Geschäfte mit zerbrochenen Schaufenstern, Obdachlose und Drogenabhängige. Das macht es es schwierig, die positiven Seiten der Stadt zu zeigen, nämlich Aufbruchsstimmung und Solidarität. Wir haben versucht, das beides zu zeigen, denn der Zusammenhalt ist trotz allem nämlich einfach richtig groß“, sagt Reporter Sammy Khamis.
Über eine Woche lang war er zusammen mit Kameramann Adrian Campean und Redakteur Hakan Tanriverdi jeden Tag in einem Park in Athen, um mit Abhängigen zu sprechen. „Die Leute waren unberechenbar. Manchmal haben sie uns ihre Geschichten erzählt und kein Geld erbettelt. Das nächste Mal waren sie abweisend und extrem launenhaft. Erst am vorletzten Tag konnten wir mit einem Sisa-Abhängigen sprechen – mit der Hilfe eines Übersetzers und weil die Streetworker von Kethea ein gutes Wort für uns eingelegt haben.“
Sammy Khamis hat seine Eindrücke von den Menschen, die er getroffen hat, für jede Folge noch mal rekapituliert und eingeordnet, als er von der Recherche zurück war: Warum ist die Droge Sisa in Griechenland so sehr verbreitet? Was machen, wenn es eine Arbeitslosenquote von rund 60 Prozent unter den jungen Menschen gibt – weg ziehen und es woanders versuchen oder bleiben und versuchen, etwas zu verändern? Wie sind die Leute drauf? Was treibt sie an und was unterscheidet sie von Gleichaltrigen in Deutschland?
Für die erste Staffel von „Coming of Rage“ ging es nach Istanbul, wo wir auf den Spuren der Gezi-Proteste 2013 die Fußball-Ultras von Çarşı begleitet haben, die im Gezi-Park an vorderster Front mit demonstriert haben.
Und genau deshalb wurden 35 von ihnen angeklagt, mit der Begründung: Putschversuch. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie nicht nur an den Protesten teilgenommen, sondern sie angeführt haben, gegen die Staatsgewalt Widerstand geleistet haben und letztlich die Regierung von Ministerpräsident Erdoğans stürzen wollten. “Die Anschuldigungen sind richtig lächerlich”, sagt Ayhan, einer der Carsi-Chefs im Film. “Und erst die sogenannten Beweise: Kameraüberwachung bei Tausenden von Menschen? Wirklich sehr lustig. Der Richter glaubt nicht dran, die Anwälte lachen, alle lachen.
Es ist eine Farce, aber es zeigt, an welchem Punkt wir angekommen sind: Unsere Demokratie funktioniert nicht mehr.” Ayhan und den anderen Çarşı-Ultras drohen 35 Jahre Haft. Am 2. April 2015 geht der Prozess weiter – bis dahin haben alle Angeklagten weiterhin Stadionverbot.
„Coming of Rage“ ist konzipiert und finanziert vom Münchner Redaktions- und Formatbüro vydy.tv. Den Webchannels „st_ry. Deine Doku“ hat das VOCER Innovation Medialab 2013 mit einem Stipendium unterstützt. Für ihren YouTube-Channel strytv produzieren sie Reportagen zu politisch-gesellschaftlichen Themen. Mitdiskutieren kann man auf YouTube, Facebook und Twitter.