Warum ich mich von meinem Quantified Self trenne
Der Begriff Quantified Self steht dafür, dass man sein eigenes Verhalten aufzeichnet, analysiert, bewertet und schließlich optimiert. Im ominösen Internet der Dinge soll das sogar irgendwann einmal vollautomatisch geschehen. Doch sind die Verbesserungsvorschläge immer nur so gut, wie es die dahinterliegenden Algorithmen 30erlauben.
Bestandsaufnahme
Jeder Mensch hat das Potential 100 Prozent seiner Zeit optimal zu nutzen und zu der besten Version von seiner selbst zu werden. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, schließlich neigen wir alle zum Faulenzen, Aufschieben und Abwimmeln. In Zeiten von Apple Watch & Co. gibt es dafür jedoch keine Rechtfertigung mehr. Nun versuche ich persönlich ein Mininum an Technik zu bemühen um ein Maximum an Effizienz zu erreichen. Ein Mix aus Computer- und Smartphone-Nutzung (mit Apps wie Wunderlist, Evernote und Slack) genügt völlig, um optimal durch den Tag zu kommen. Leider dienen beide Systeme weder der Verhaltensanalyse, noch optimieren sie meine Prozessabläufe selbstständig.
Da ich nun aber ein Freund von Statistiken bin, versuche ich mich gelegentlich selbst als Datenerheber. Während meine Ernährung und Gesundheitsvorsorge noch größtenteils analog stattfinden, habe ich am 31. Juli 2013 damit begonnen, einen Großteil meiner Freizeitgestaltung digital festzuhalten. Als Filmjournalist hat es mich schon immer interessiert, welche Rückschlüsse sich aus meinem Sehverhalten schließen lassen. Folglich habe ich mir einen Online-Dienst gesucht, der mir dabei helfen kann ein Filmtagebuch zu führen. Die Wahl fiel auf Letterboxd.com, eine Plattform von und für Film-Enthusiasten.
Auswertung
Was als zwanglose Übersicht begann, artete zu einem ungesunden Wettkampf gegen mich selbst aus. 96 Filmen im Jahr 2013 (alle 1,6 Tage ein Film) stehen ganze 365 Filme im darauffolgenden Jahr gegenüber. Die Möglichkeit, tatsächlich im Durchschnitt jeden Tag des Jahres einen Film einzutragen, zeichnete sich etwa im Februar 2014 ab. Dort sah meine Statistik bereits so vielversprechend aus, dass ich das Tempo bewusst beibehalten habe. Das Filmeschauen diente nun nicht mehr nur der Unterhaltung oder der Arbeit, sondern auch dem höheren Jahresziel –Ausfälle durch Urlaube und Feiertage, Krankheitszeiten sowie Serien-Marathons wollten an anderer Stelle wieder herausgearbeitet werden.
Ich habe es genossen mich selbst zu fordern, zum Guten oder Schlechten. Die Freude, mein persönliches Ziel am Ende erreicht zu haben, ist inzwischen verblasst und beschämt mich viel eher. Im Jahr 2015 wollte ich es ruhiger angehen lassen (an den bisherigen 270 Tagen konnte ich 161 Filme einloggen). Seit Januar komme ich auf einen Film alle 1,7 Tage.
Erkenntnisse
Erleuchtung habe ich keine gefunden. Durch die Aufzeichnung meines Filmkonsums habe ich zwar einen Anhaltspunkt, wann ich welchen Film zuletzt gesehen habe und von welchen Regisseuren ich die meisten Filme gesehen habe, doch ist dieses Wissen im Alltag leider so gut wie nie zu gebrauchen. Spannend wäre der Einbezug meines Tagebuches in andere Anwendungsbereiche. Etwa wenn sich meine Konten bei Netflix, Spotify oder iTunes mit dem Datensatz verknüpfen ließen, um aus alten Daten einen zukünftigen Mehrwert zu generieren. Beispielsweise anhand einer Quote, welche die Genre-Abwechslung beschreibt, die ich gern habe (nicht Mehr-vom-Selben, sondern echte Vielfalt). Doch das ist Träumerei.
Ich komme daher zu dem Schluss, dass all die Mühe nichts wert ist. Nach etwas mehr als zwei Jahren und 622 Filmen werde ich mein Filmtagebuch auf Letterboxd nicht mehr fortführen. Warum auch? Ich schaue Filme im Kino, linear im Fernsehen und streame sie online – dafür nutze ich zig unterschiedliche Anbieter. Solange Menschen die Bewegungsdaten ihrer Schuhe nur mit Nike und das Gewicht auf ihrer Waage nur mit Withings austauschen können und sich die Büchersammlung nur mit Kindle aufrufen lässt, lehne ich die Vorteile des Quantified Self dankend ab. Werden es die sogenannten Walled Gardens jemals erlauben, meine Daten anbieterübergreifend zu analysieren? In Zeiten von Apple, Amazon, Facebook und Google, die alle ihre eigenen Süppchen kochen, ist das schwer vorstellbar. An das Internet der Dinge möchte man noch gar nicht denken.
Wie siehst du das? Schreib mir auf Twitter @DaviidStreit, welche Use-Cases für dich funktionieren.