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Das Ende des goldenen Zeitalters

1855 wanderte mein Urgroßvater Ernst Steiger im Alter von etwa 23 Jahren von Sachsen, aus einem Ort nahe Leipzig, nach New York aus. Er hatte eine Lehre bei einem Verleger und Buchhändler absolviert und begann nach seiner Auswanderung, deutschsprachige Bücher zu importieren und an die wachsende Einwanderergemeinde in New York zu verkaufen. Binnen kurzer Zeit verlegte er deutschsprachige Bücher und später auch Bücher in englischer Sprache. Er wurde 85 Jahre alt und übergab die Firma seinem Sohn. Sein Sohn jedoch, und auch dessen Sohn, mein Vater, hatten andere Interessen. Das Interesse meines Vaters beispielsweise galt der Buchführung und Finanzen. Das Buchgeschäft rückte also in den Hintergrund und es war an mir, die Leidenschaft der Familie für das veröffentlichte Wort wieder zu beleben.

In meinem Fall handelt es sich wahrlich um eine Leidenschaft. Ich vermute, wir teilen die Ansicht, dass Demokratien durch Wissen und Wahrheit florieren und Schaden erleiden, wenn das meiste, was die Menschen lesen, hören oder ansehen verfärbt und erfunden ist.

Die 41 Jahre, die ich im Print-Bereich tätig war, 15 davon bei der „Los Angeles Times“ und 26 beim „Wall Street Journal„, entfielen auf ein goldenes Zeitalter für Zeitungen, und für den Journalismus, in meinem Land. Wir hatten den Schutz des ersten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der es unter anderem dem Kongress verbietet, Gesetze zu erlassen, die die Meinungs- oder Pressefreiheit einschränken. Außerdem profitierten wir von einem starken, stabilen und sehr einträglichen Geschäftsmodell sowie der zunehmend akzeptierten Meinung, zumindest unter einigen der Mächtigen, dass es besser sei, Journalisten ihre Geschichte zu erzählen als zu versuchen, sie abzublocken oder einzuschüchtern.

Weniger Riskiobereitschaft

Der Aufstieg des Internets zerstörte dieses Geschäftsmodell, zumindest in den Vereinigten Staaten, insbesondere bei den großen und mittelständischen Zeitungen der Metropolen. Die Gewinnspanne ist dramatisch geschrumpft, was dazu führt, dass die Herausgeber weniger bereit sind, bei wichtigen aber schwierig zu belegenden Geschichten Risiken einzugehen und darauf drängen, Kosten zu senken, größtenteils durch Reduzierung der Belegschaft.

Die Veränderungen, die das Internet mit sich brachte, waren insgesamt gesehen nicht nur negativ. Viele würden in der Tat behaupten, dass die guten Aspekte die schlechten überwiegen. Die Öffentlichkeit erhielt Zugriff auf mehr Nachrichten, Informationen und Daten als jemals zuvor, und das schneller und günstiger – oft kostenfrei. Diese Fülle an Daten strömte aus einer Kombination aus traditionellen Plattformen, die für ihre neuen Webseiten Informationen am laufenden Band produzierten, und neuen Stimmen, die das Internet als Möglichkeit sahen, Gewinn zu machen oder zumindest einen Teil vom Kuchen zu ergattern.

Leute, die eine Meinung vertraten und unter dem alten System keine Möglichkeit hatten, sich Gehör zu verschaffen, konnten innerhalb von Minuten selbst zu Herausgebern werden, indem man sich einen Computer und einen Internetanschluss besorgte. Die Debatte wurde somit breitgefächerter und in einigen Fällen ergiebiger wie seit Generationen nicht mehr, vermutlich wie seit dem späten 18. Jahrhundert nicht mehr, als man leidenschaftlich die ursprüngliche Form der amerikanischen Verfassung diskutierte.

Drastische Kürzungen

Die negativen Aspekte waren jedoch wichtig. Zeitungen und Radio- und Fernsehanstalten, die früher ihre Korrespondenten rund um den Globus schickten, nahmen drastische Kürzungen vor; in einigen Fällen sogar bis auf Null. Das amerikanische Publikum musste sich von nun an auf beliebigere, weniger geschulte und häufig nicht redigierte Quellen verlassen. Noch wichtiger ist allerdings der Punkt, dass die Infrastruktur der investigativen Berichterstattung, oder des „verantwortlichen Journalismus“, wie es manchmal auch genannt wird, dramatisch schrumpfte. Die Bedenken wuchsen, dass Fehlverhalten, über das früher nicht so ausführlich gesprochen worden wäre – und noch weniger vollzogen wurde – aus Angst, in den Medien zur Schau gestellt zu werden, jetzt in den Hauptstädten der Bundesstaaten, in den Büros der Führungskräfte und in anderen Hochburgen der Macht hingebungsvoll praktiziert wurde.

Was also sollte man tun, um einen Teil der verlorengegangenen investigativen Berichterstattung zu ersetzen? Frühe Vorschläge beinhalteten eine erzwungene Wiedereinsetzung des alten Modells und erwiesen sich als Reinfall. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, um dies näher zu erläutern:

Ein Vorschlag war die Forderung von umfangreichen staatlichen Subventionen für Zeitungen und möglicherweise auch für Fernsehnachrichtensender. In Europa gibt es eine Tradition der staatlichen Unterstützung. In den USA erfolgt dies hingegen nur in sehr begrenztem Ausmaß. Eine umfangreiche, neue und unmittelbare staatliche Unterstützung des Journalismus wird es nicht geben, nicht jetzt und vermutlich niemals. In einem Zeitalter der krankhaften Angst vor Haushaltsdefiziten wird der amerikanische Steuerzahler nicht zustimmen, Journalisten einen Haufen Geld zur Verfügung zur stellen, insbesondere da wir zurzeit nicht gerade sehr beliebt sind.

Verworfene Ideen

Eine zweite Idee war, die „New York Times“ und einige andere hochwertige Zeitungen und Magazine in gemeinnützige Organisationen umzuwandeln und sie über eine Stiftung zu finanzieren. Diese Idee wurde verworfen, sobald den Leuten bewusst wurde, wie viel Geld hierfür benötigt werden würde. Die finanzielle Unterstützung hätte vier Milliarden Dollar betragen müssen, nur um alleine die Kosten der Nachrichtenredaktion der „New York Times“ zu decken. Nicht einmal in Amerika gibt es sehr viele Leute, die so viel freies Geld haben.

Diejenigen unter Ihnen, die die Nachrichten aus den Vereinigten Staaten verfolgen, fragen sich möglichweise: Und was ist mit Jeff Bezos? Was ist mit Pierre Omidyar? In der Tat sind diese beiden Multimilliardäre vor kurzem angetreten, um mit erheblichen Investitionen in einer Größenordnung von jeweils einer Viertelmilliarde Dollar in den seriösen Journalismus einzusteigen. Bezos hat die „Washington Post“ gekauft und Omidyar hat unter anderem den „Guardian„-Kolumnisten Glenn Greenwald und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras verpflichtet, beides namhafte Journalisten, die eine führende Rolle in der Berichterstattung von Edward Snowdens Enthüllungen zu den amerikanischen und britischen Überwachungs- und Spionagepraktiken spielten. Omidyar plant, sie als Speerspitzen in einer noch nicht vollständig definierten Nachrichtenorganisation einzusetzen.

So groß sie zwar sind, entsprechen diese Aktionen jedoch nicht annähernd der Größenordnung, die so sehnsüchtig von den Befürwortern der Herstellung der alten Ordnung im US-amerikanischen Journalismus gewünscht wird. Es wird keine Lösung geben, die alle Probleme auf einen Schlag löst, kein einziges neues Modell, geschweige denn eine Rückkehr zum alten Modell.

Glamouröse Ausflüge

Stattdessen sind die Schachzüge von Bezos und Omidyar glamouröse Ausflüge in das, was ich als das neue Ökosystem der Nachrichten bezeichne; ein Umfeld bestehend aus kleinen, mittelgroßen und großen Bemühungen, die darauf abzielen, einen Nutzen aus all dem zu ziehen, was das Web zu bieten hat. Hierzu gehören alteingesessene Plattformen wie Zeitungen, Zeitschriften sowie das Netzwerk von Fernsehanstalten und Kabelsendern, neue Unternehmen wie die „Huffington Post“, „Gawker“, „Politico“, „Salon und Slate“, soziale Medien wie Facebook, Twitter, Tumblr und Reddit und viele andere. Auch das öffentliche Fernsehen und Radio zählen hierzu. Einige sind gewinnorientiert, andere philanthropischer Natur. Einige werden erfolgreich sein, andere werden scheitern. Einige werden scheitern, nachdem sie eine Zeit lang unglaublich erfolgreich waren, und einige gescheiterte Unternehmungen enthalten die Saat für den zukünftigen Erfolg von jemand anderem. Das, was alle gemeinsam haben, ist eine Umgebung geprägt von explosionsartigen Veränderungen, die stark technologiegetrieben sind.

Ich sollte anmerken, dass weder Jeff noch Pierre ihre Aktionen als Wohltätigkeit sehen. Beide werden danach streben, gewinnbringend zu arbeiten. Sie gehen davon aus, dass sie eine Zeit lang Geld verlieren werden, aber sie werden Erfahrungen machen, von denen sie hoffen, dass diese letztendlich dazu beitragen, dass ihre Unternehmen mehr Geld einbringen als sie kosten. Omidyar, der geholfen hat, nichtkommerzielle Nachrichtenorganisationen zu unterstützen, sagte einmal zu mir, dass er viel mehr an der kommerziellen Seite interessiert ist, nicht weil er mehr Geld braucht, sondern weil eine gewinnorientierte Unternehmung Wettbewerb und Wetteifer anlockt. Er glaubt, dass so viel schneller eine entscheidende Menge neuer, für die Gesellschaft nützlicher Nachrichtenaktivitäten entstehen würde.

Wenig Optimismus

Als ich vor drei Jahren zuletzt in Deutschland war, hatte es den Anschein, dass viele der Journalisten und Herausgeber, die ich hier traf, das Gefühl hatten, sie seien ein Stück weit vor den Problemen, unter denen die US-amerikanischen Medien heute leiden, geschützt. Ihre starken Verlagshäuser unter dynamischer Führung und ihre innovativen Redakteure und Reporter würden die Rettung sein. Immerhin hatten sie die Bedeutung und die Möglichkeiten des Internets im Hinblick auf das Erzählen von Geschichten und die Kommunikation früh erkannt und ergriffen, und es gleichzeitig geschafft, die Werbeeinnahmen im Print-Bereich aufrecht zu erhalten. Warum konnte das nicht so bleiben?

Was ich jetzt höre, klingt etwas weniger optimistisch. Deutsche Nachrichtenplattformen fürchten und erfahren in einigen Fällen ein Versickern der Werbeeinnahmen. Kostendruck führt zu Stellenabbau, was wiederum die Qualität des Nachrichtenprodukts gefährdet.

Ich gebe nicht vor, das Wirtschafts- und Geschäftsmodell für die deutschen Medien genau beschreiben zu können und sagen zu können, in welche Richtung es geht. Als College-Student konnte ich Goethe und Schiller auf Deutsch lesen, zugegebenermaßen mit einem Deutsch-Englisch-Wörterbuch direkt daneben. Heute fällt es mir schwer, eine deutsche Zeitung zu lesen. Ich bin also sicher nicht derjenige, der Ihnen einen Entwurf für die Neuaufstellung der deutschen Medien präsentiert.

Von den USA lernen

Was ich aber tun kann, ist über Dinge zu sprechen, die in den USA versucht wurden oder versucht werden und von den positiven wie auch negativen Erfahrungen mit diesen Dingen zu berichten, in der Hoffnung, dass dies für Ihre Kalkulationen hilfreich ist. Folgendes möchte ich Ihnen vorstellen, ohne bestimmte Reihenfolge:

Bezahlschranken und „Metering“ (Bezahlmodell basierend auf der Anzahl der gelesenen Artikel): Bedingt durch sinkende oder schrumpfende Werbeeinnahmen haben Zeitungen und andere Nachrichtenorganisation versucht, mehr Geld direkt von den Lesern zu bekommen. Dies erfolgte zum einen durch eine Erhöhung der Abonnentenpreise im Print-Bereich, ironischerweise für die treuesten Leser, und zum anderen durch die Maßnahme, die Leser der Webseitenausgaben dazu anzuregen, sich zu registrieren und für die Inhalte zu zahlen, entweder im Voraus oder nachdem sie eine bestimmte Anzahl an Artikeln pro Monat angeklickt haben.

Dies funktioniert besser für hochwertige Publikationen mit einzigartigem Inhalt als für Webseiten, die hauptsächlich eine Ansammlung von Berichten anbieten, die die Nachrichtenagenturen zur Verfügung stellen. Das „Wall Street Journal“, die „New York Times“ und die „Los Angeles Times“ hatten Erfolg mit diesem Ansatz, und insbesondere die „New York Times“ setzt stark auf ihr Geschick, eine Vielzahl von Paketen sowohl im Ausland als auch in den USA zu verkaufen.

Mark Thompson, der neue Geschäftsführer der „Times“, frisch eingetroffen nach seiner Position als Geschäftsführer der britischen BBC, hat Bemühungen initiiert, mehrere neue Einnahmequellen direkt bei den Lesern zu ermitteln. Die Bandbreite reicht von der Gewinnung einer hochwertigen Leserschaft außerhalb des Heimatlandes, so wie es der „Guardian“ gemacht hat, bis zur Entwicklung einer kostengünstigeren, abgespeckten Version des gesamten Online-Nachrichtenpaketes der „Times“, die noch vor der Fertigstellung von einigen Zynikern bereits als „Times Lite“ bezeichnet wird.

Erfolglose Anstrengungen

Längst nicht alle Bemühungen, die die Leser dazu bewegen sollen, mehr für das zu zahlen, was sie lesen, sind auch erfolgreich. Einige, wie beispielsweise die „Dallas Morning News„, sind ins Straucheln geraten, da die Bezahlschranken die Stammleserschaft zu stark reduziert, die wichtig für die Anzeigenverkäufe ist. Der Trick besteht darin, die Gratwanderung zu schaffen, also eine ausreichend große Leserschaft zu gewinnen, um die Werbebanner-Klicks zu maximieren und gleichzeitig Leser zu blockieren, wenn sie kein kostenpflichtiges Abo abschließen, nachdem sie eine gewisse Anzahl von Beiträgen in einem bestimmten Monat gelesen haben.

Das so genannte „Metering“ ist hilfreich hier. In Zeiten, in denen eine große Nachfrage nach Werbeschaltungen besteht, können zum Beispiel Nachrichtenseiten, die mit einer entsprechend ausgereiften Technologie ausgestattet sind, es den Lesern ruhig ermöglichen, die Anzahl der Beiträge, die sie augenscheinlich kostenfrei pro Monat lesen dürfen, zu überschreiten. In Monaten mit geringer Nachfrage hingegen wird streng reglementiert und den Lesern diese Überschreitung nicht ermöglicht, es sei denn sie registrieren sich für ein kostenpflichtiges Abo-Modell.

Ein schmaler Grat

„Native Advertising“: Diesen Begriff hatte ich zugegebenermaßen bis vor wenigen Monaten noch nie gehört, auch wenn das Konzept bekannt ist. Bei amerikanischen Zeitungen und Magazinen war dieses Konzept jahrzehntelang als „Advertorial“ bekannt – also eine redaktionell aufgemachte Anzeige – ein Kunstwort, das sich aus „Advertising“ (Anzeige) und „Editorial“ (redaktioneller Artikel) zusammensetzt. Egal welchen Begriff man verwendet, „Native Advertising“ oder „Advertorial“ – die Idee besteht darin, Inhalte zu präsentieren, die auf den ersten Blick wie ein Artikel aussehen oder offensichtlich wie eine Schlagzeile anmuten, die den Leser in Wirklichkeit zu einer Anzeige oder einem Beitrag eines Werbekunden mit dem Zusatz „präsentiert von“ weiterleitet.

Alteingesessene Publikationen haben über die Jahre feste Regeln entwickelt, was gegeben sein muss, um sicherzustellen, dass die User sofort erkennen können, dass es sich um werbeunterstützte Inhalte handelt und somit nicht in die Irre geführt werden und denken könnten, sie würden einen redaktionellen Beitrag lesen, der ausschließlich dazu dient, die Leser zu informieren. Hierzu gehört, werbeunterstützte Inhalte sorgfältig zu kennzeichnen, wie zum Beispiel durch Zusätze wie „Dieser Bereich enthält bezahlte Werbung“ oder ganz einfach „Anzeige“. Das Internet bietet jedoch Neuland. US-amerikanische Webseiten wie beispielsweise das enorm erfolgreiche „BuzzFeed“ sind wahre Experten auf diesem Gebiet und bewegen sich spielerisch auf diesem schmalen Grat. Möglicherweise überspannen sie den Bogen auch.

Keine Gewinne

Philanthropie: Genau diesen Bereich besetzt natürlich meine eigene Organisation „ProPublica“ im Nachrichten-Ökosystem. Wir zählen zu den größten Organisationen in diesem Bereich, gelten aber mit einem Jahresetat von zehn Millionen Dollar und etwa 40 Journalisten nach wie vor als „kleiner Laden“ innerhalb der Bandbreite aller amerikanischen Nachrichtenredaktionen. Beim „Wall Street Journal“ hingegen standen mir für den Bereich Nachrichten ein Budget von 100 Millionen Dollar und mehr als 700 Mitarbeiter zur Verfügung.

Egal wie erfolgreich wir bei „ProPublica“ sind – unser Konzept ist nicht darauf ausgerichtet, jemals Gewinne zu erzielen.

Der erste Grund hierfür ist, dass wir uns ganz klar auf die teuerste Art der Berichterstattung konzentrieren, nämlich eine Arbeit, die darauf abzielt, Machtmissbrauch und das Versagen, das öffentliche Interesse aufrechtzuerhalten, aufzudecken und zu enthüllen. Die hohen Kosten ergeben sich aus der Tatsache, dass diese Art von Arbeit einen enormen journalistischen Zeitaufwand erfordert, häufig auch verbunden mit beträchtlichem Reise- und Rechercheaufwand.

Nutzen rechtfertigt Kosten

Unsere beiden Projekte, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurden, kosteten zum Beispiel jeweils über 400.000 Dollar. Soweit ich weiß liegt das meiste, was ein US-amerikanisches Medienhaus jemals einem freien Mitarbeiter für eine Geschichte gezahlt hat, viel, viel niedriger, eher in der Gegend von 30.000 Dollar. Der Nutzen für die Öffentlichkeit rechtfertigt die Kosten jedoch allemal. Die Beiträge von „ProPublica“ über den Betrug am Markt für Hypotheken und deren Finanzderivate generierte hunderte von Millionen Dollar an Geldstrafen, die an den amerikanischen Fiskus gezahlt wurden und hat somit zumindest weitgehend die Branche davon abgehalten, sich strengeren Vorschriften zu entziehen, die darauf ausgerichtet sind, die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung des Finanzdesasters von 2008 zu reduzieren.

Der zweite Grund, warum wir niemals danach streben werden, Gewinne zu erzielen, ist der, dass wir vorrangig das Ziel verfolgen, etwas zu bewirken. Wir hoffen, dass indem wir Korruption in allen Bereichen aufdecken – in der Regierung, der Wirtschaft, in Gewerkschaften, in der Gesundheitsfürsorge, der Bildung und an den Gerichten – der Öffentlichkeit mit unserer Berichterstattung die Hilfsmittel in die Hand geben, die dazu beitragen, Veränderungen herbeizuführen. Aus diesem Grund veröffentlichen wir all unsere Arbeiten kostenfrei auf unserer Webseite und wir stellen sie auch Partner-Plattformen kostenfrei zur Verfügung, die uns helfen können, jede Geschichte dem bestmöglichen Publikum zugänglich zu machen. Für uns ist dies der beste Weg, etwas zu bewirken, nicht der Weg zum Streben nach Gewinn.

Spendenfinanzierter Journalismus

Der Bereich des nichtkommerziellen Journalismus wächst. Einige, wie die äußerst erfolgreiche „Texas Tribune“ in Austin, helfen den Menschen, einen deutlich besseren Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrer Nachbarschaft und ihren Regionen zu behalten, und wenden weniger Zeit für „verantwortlichen Journalismus“ auf. Aber es gibt jetzt auch Dutzende von nationalen, regionalen oder lokalen Nachrichtenorganisationen in den Vereinigten Staaten, die durch Spenden unterstützt werden und einen deutlichen Schwerpunkt auf der investigativen Berichterstattung haben.

Wir stellen fest, dass mehr Stiftungen und einzelne Wohltäter bereit sind, es in Erwägung zu ziehen, an solche Unternehmen zu spenden, deutlich mehr als noch vor fast sechs Jahren, als wir unsere Arbeit aufnahmen. In den ersten Jahren kam mehr als 90 Prozent unserer finanziellen Mittel von der Familienstiftung, die unsere Gründung unterstützte – die Sandler Foundation. In diesem Jahr gehen wir davon aus, dass sich ihr Anteil auf etwa 30 Prozent reduzieren wird. Das liegt nicht daran, dass die Sandlers uns weniger gern haben oder wir sie. Sie sind mit großem Abstand immer noch unsere wichtigsten Spender. Wir zählen auf sie, und insbesondere auf Herbert Sandler, unseren Vorstandsvorsitzenden, und ihren weisen Rat. Wir sind uns alle einig, dass eine Streuung unserer Unterstützerquellen wichtig ist, um eine nachhaltige Organisation zu erschaffen.

Berichterstattung von Universitäten

Der Nonprofit-Nachrichtensektor erfährt auch einen immer größeren Auftrieb durch die Berichterstattung an den Universitäten. Universitäten, insbesondere die mit einer Journalistenschule oder einem Institut für Journalistik oder einer interessierten juristischen Fakultät haben bereits zum größten Teil die Infrastruktur, die erforderlich ist, um hochwertige Reportagen zu produzieren. Sie verfügen über die Infrastruktur, also hochwertige Computernetzwerke und in einigen Fällen beträchtliches Videopotenzial. Sie haben professionelle, erfahrene Professoren, die die Arbeit anleiten und Studierende, die helfen, sie auszuführen. Sie haben auch Anwälte, die helfen, das Risiko, wegen Verleumdung verklagt zu werden, zu reduzieren und bei alltäglicheren Themen beratend zur Seite stehen können.

Damit komme ich zurück zu einer fundamentalen Disjunktion zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Ansätzen zur Wiederherstellung einer gesunden Versorgung mit investigativem Journalismus. Viele derer, die auf der gewinnorientierten Seite stehen, möchten mithilfe von neuen Einnahmenquellen und erhöhter Effizienz die breitaufgestellten Nachrichtenorganisationen stärken. Auf diese Art und Weise, so glauben sie, werden diese Nachrichtenredaktionen genügend wirtschaftliche Stärke entwickeln, um faktisch den teuren investigativen Journalismus zu subventionieren und ihn in ihre Nachrichtenbeschaffung zu integrieren.

Gewinnstreben oder Nonprofit?

Diejenigen, die auf der Nonprofit-Seite stehen, behaupten, dass die Lücke, die sich im tiefergehenden investigativen Journalismus bildet, so groß ist, dass wir spendenfinanzierte Organisationen wie „ProPublica“ brauchen und dass Sie Ihr eigenes investigate!-Programm mit speziellen Fördergeldern für Reporter hier in Deutschland brauchen, um anzufangen, diese Lücke umgehend zu schließen. Wir können nicht warten. Dieses Argument zielt auf den Nutzen von neuen, elektronischen Versionen von breit aufgestellten Nachrichtenorganisationen ab, damit auch der Sektor des investigativen Journalismus erreicht wird.

Wie lautet also die Antwort – Gewinnstreben oder Nonprofit? Die Antwort, so glaube ich, lautet, dass wir beide Ansätze ausprobieren müssen und hoffen, dass beide funktionieren. Es steht so viel auf dem Spiel. Wenn Demokratien florieren sollen, müssen sie mit gesunden Mengen an tiefgehenden, präzisen Informationen aufrechterhalten werden. Ohne dies ist das Risiko zu groß, dass sie von der rohen Macht oder unterschwelligen Gerissenheit ihrer Fraktionen unterminiert werden. In meinen Augen ist dies nicht tragbar.


Diese Rede hat Paul E. Steiger am 21. Oktober 2013 bei einer gemeinsamen Veranstaltung von „Stern“, investigate! e.V. und VOCER gehalten.

Die Originalversion können Sie hier lesen.

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Foto: Dominique Kreuzkam