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Schluss mit dem Ellenbogen-Journalismus!

Drei Medienmacherinnen aus Hamburg, München und Berlin wollen mit ihrem neugegründeten Non-Profit-Unternehmen der Ellenbogenmentalität in ihrer Branche entgegen wirken und für mehr Zusammenhalt unter Journalisten sorgen. Mit einer globalen Plattform, die Couchsurfing mit Kooperation kombiniert. Ein kommentiertes Gespräch mit Tabea Grzeszyk, Tamara Anthony und Sandra Zistl von Hostwriter.


VOCER: Wie viele große Ideen entstand auch eure, weil ihr genau so ein Produkt wie Hostwriter vermisst habt – erzählt doch mal!

Tabea: Für mich war der ausschlaggebende Punkt, als ich mal privat Couchsurfing in Syrien gemacht habe und dort bei einem Pärchen in einem Vorort von Damaskus war, in dem viele irakische Flüchtlinge wohnten. Ich habe viele Dinge erfahren und gelernt durch diese Vernetzung und diesen Zufall. Da kam die Idee: Wie wäre es, wenn man so etwas wie Couchsurfing für Journalisten entwickelt, man also bei einem lokalen Journalisten unterkommt? Ein Kollegen-Kontakt kann einem in einem fremden Land so sehr helfen! Vielleicht bekommt man einfach nur die ersten Telefonnummern, ein paar Tipps. Oder vielleicht zieht man ja auch auf eine gemeinsame Recherche los, findet neue Ideen für Themen.

Sandra: Auf unseren Reisen mit journalists.network, worüber wir drei Gründerinnen uns kennen, haben wir außerdem die wichtige Erfahrung gemacht: Bei gemeinsamen Recherchen kommt man sich nicht zwingend in die Quere, es entstehen vielmehr die besseren Geschichten. Deshalb soll Hostwriter auch viel mehr sein als Couchsurfing für Journalisten.

Was konkret?

Tabea: Der zentrale Gedanke ist die Vernetzung von Reportern weltweit: Wir entwickeln eine Suchmaschine für lokale Journalisten, mit denen man sich austauschen kann. Dabei kann man nach Orten suchen und nach Themen oder Stichwörtern. Erst mal ermöglicht das mir also, Kollegen weiß Gott wo zu finden – quasi ein eigenes Korrespondentennetz. Zusätzlich gibt es den Aspekt, dass Kollegen sich finden können, die ähnliche Interessen haben oder zu einem ähnlichen Thema recherchieren. Sie können sich austauschen, ihre Ergebnisse ergänzen  – und zusammen die besseren Geschichten erzählen!

Tatsächlich überlegt das Trio an genau diesem Punkt aber noch. Couchsurfing für Journalisten, das sei erst einmal verständlich, meinen sie, weswegen sie bei der Beschreibung ihrer Idee gerne mit diesem Aspekt anfangen. Gleichzeitig sei es irreführend, denn es gehe eben nicht darum, dass Journalisten „für Umme auf der Couch anderer pennen können“, wenngleich den Damen bewusst ist, dass dies ein reizvolles Nutzungskriterium für Hostwriter sein könnte.

Tamara: Diese Vernetzung hat dann den Zweck, zu kooperieren anstatt sich als Konkurrenz zu verstehen. Und das kann auch den Journalismus vor Ort stärker machen anstatt dass er wie so oft aus einer Art Vogel-Weltall-Perspektive kommt. Im Grunde ist Hostwriter eine Suchmaschine für Journalisten, die zu bestimmten Themen recherchieren und in anderen Ländern Journalisten finden wollen, die ähnliche Themen bearbeiten oder helfen können. Wenn man also zum Beispiel „Rana Plaza“ und als Ort Bangladesch eingibt, dann sollte man also einheimische Journalisten in Bangladesch finden, die sich mit dem eingestürzten Textil-Fabrikgebäude beschäftigen – und weil sie bei Hostwriter sind, kann man von einer Grundbereitschaft für Kooperation rechnen!

Das Team von Hostwriter: Tamara, Sandra und Tabea

Das Team von Hostwriter: Tamara, Sandra und Tabea

Das heißt, es soll durch Hostwriter auch ein besserer (Auslands)Journalismus entstehen?

Tamara: Absolut! Viele Geschichten werden in Zeiten einer weltweiten Wirtschaft immer globaler. Damit der Journalismus mit dieser globalisierten Welt mitkommt, müssen wir Journalisten uns vernetzen. Mit Hostwriter sollen Journalisten aus verschiedenen Teilen der Welt mit gemeinsamen Kräften besser berichten können.

Tabea: Dazu kommt die traurige Situation der Medienbranche generell, in der zum Beispiel je nach Medium ein Kollege für einen halben Kontinent zuständig ist. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass die Nachrichten vielleicht noch bestückt werden, wir also die Hauptsachen noch mitbekommen, aber die kleinen Geschichten aus Ländern wie Bosnien oder Tansania wegfallen.

Wieder betonen die drei an dieser Stelle die Kooperation. Hostwriter sei keine „Kampfansage“ an, sondern eine Ergänzung von klassischer Korrespondentenarbeit.

Sandra: In anderen Ländern ist die Lage von Journalisten ja noch anders, ihnen ist es zum Beispiel gar nicht möglich nach Deutschland zu reisen und zu berichten. Auch hier soll Hostwriter Abhilfe schaffen. Gemeinsame Recherchen können entweder dazu führen, dass zwei oder mehr Journalisten zum gleichen Thema berichten oder gemeinsam eine Reportage, ein Feature, eine Dokumentation veröffentlichen. Wenn beispielsweise einer für Print, einer für Radio und einer fürs Fernsehen arbeitet, kommt man sich nicht in die Quere. Ein anderes Beispiel: Eine Story, die für ein tunesisches und einem deutsches Medium von zwei unterschiedlichen Menschen aufgeschrieben wurde, wird ihren Verkaufswert auf keinen Fall schmälern.

Was hat euch bewogen, Hostwriter als Non-Profit-Unternehmen aufzuziehen?

Tabea: Wir handeln da ganz im Sinne von Start-ups gerade aus den frühen Tagen des Internets, wir sehen vor allem die emanzipatorische Kraft des Netzes. Es geht uns darum, Journalisten zu helfen und alternative Strukturen für den Journalismus aufzubauen, um mit Hostwriter auch selbst bessere Geschichten erzählen zu können. Unser Geld verdienen wir nicht als Unternehmerinnen, sondern weiterhin als Journalistinnen.

Tamara: Ich glaube, Hostwriter for profit aufzubauen, wäre auch wesentlich schwieriger. Wir bräuchten dann ein Bezahlsystem, müssten Kapital suchen und ganz anderes Marketing machen. Das wäre neben unserer Arbeit als Journalistinnen gar nicht zu stemmen.

Non Profit anders, als gelegentlich missverstanden – heißt nicht, dass Hostwriter gar kein Geld einnehmen darf. Es braucht sogar Geld und eine langfristige Finanzierungsstrategie. Aber zunächst will das Trio auf der Grundlage von Stiftungsfinanzierung arbeiten, um das Projekt in Ruhe aufbauen zu können. Den Anfang machten zwei Stipendien des VOCER Innovation Medialab*, nun konnte das Team eine Anschlussfinanzierung durch die Medienstiftung Hamburg/Schleswig-Holstein sichern. Und neben der finanziellen Frage geht es aktuell vor allem um die Partnersuche: Es braucht internationale Kooperationen, zum Beispiel mit Journalistenverbänden, um eine kritische Masse an kooperationswilligen Reportern zu finden.

Einen „Plan bis 2030“ für ihr „Baby“ haben sie nicht, sagen die drei. Aber zumindest bis 2015?

Tabea: Es gibt bei der Frage der Finanzierung noch viele offene Fragen, mit denen wir uns jetzt nach unserer Gründung als gemeinnütziger Unternehmergesellschaft (gUG) auseinandersetzen müssen. Wir wollen da auch sehr offensiv die Journalisten in den Findungsprozess einbinden, die Hostwriter nutzen werden.

Obwohl die Seite noch nicht mal fertig ist, seid ihr schon sehr in der Öffentlichkeit präsent mit eurer Idee und sehr offen für Kritik. Ist das diese berühmte Start-up-Mentalität?

Tabea: Unser Antrieb ist, dass wir alle drei unbedingt diese Plattform auf die Beine stellen wollen und da wir nun mal die Antwort auf manche Fragen selbst nicht haben, sind wir offen für alle konstruktive Kritik. Das Start-up-Motto „Always Beta“ empfinde ich als etwas sehr Positives, weil wir eben vieles erst einmal ausprobieren können. Wir werden in unserem neuen Blog, das kommende Woche startet, den Austausch ganz bewusst, Stichwort Fehlerkultur.

Tamara: Ich habe das Gefühl, es gibt im Journalismus so eine Art Start-up-Gemeinschaft, aus der man Hilfe bekommt. Seit wir unser Vorhaben verfolgen, habe ich etwas mir total Neues erlebt: dass selbst Leute, die wir gar nicht kennen, uns wirklich helfen wollen bei der Umsetzung. Diese Hilfsbereitschaft statt Missgunst macht auch viel offener.

Zum Beispiel?

Tabea: Wir haben uns zum Beispiel mit dem Berliner Unternehmer Frederik Fischer getroffen, der mit anderen die Twitter-Suchmaschine macht und damit gerade durchstartet. Er hat uns tolle Tipps gegeben, zum Beispiel, dass wir bei der Kommunikation noch zu kompliziert denken und uns lieber auf einen Aspekt herauspicken sollen.

Ihr habt die Idee sehr lange auf eigene Faust und im Kleinen verfolgt, bevor ihr eine Chance bekamt, Hostwriter umzusetzen. Wie denkt ihr über die Gefahr, scheitern zu können?

Tamara: Mir macht das keine Sorgen, weil ich vollkommen überzeugt bin von der Idee. Und im schlimmsten Fall nutzt es eben nur ein paar wenigen Leuten. Aber allein dafür hat sich der Versuch dann schon gelohnt.

Hostwriter hat noch ein anderes Alleinstellungsmerkmal, das man ruhig mal erwähnen kann: Es wird gegründet von drei Frauen (und hinter den Kulissen auch programmiert von einer Frau). Euer Tipp für Journalistinnen, die mit dem Unternehmertum liebäugeln?

Sandra: Das ist ein Tipp, den ich nicht nur Journalistinnen geben möchte, sondern allen Menschen mit guten Ideen: Glaubt an eure Ideen und verfolgt sie. Die Welt wartet darauf.


Disclosure: Die Autorin ist Geschäftsführerin des VOCER Innovation Medialabs, in dem Sandra Zistl und Tabea Grzeszyk noch bis Ende Oktober offiziell eingebunden sind, und war an der Auswahl ihres Projekts für das Stipendium beteiligt.

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