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Beistellschwule und Dekolesben

„Du hast nicht nur mich, sondern auch mein Herz erobert!“ Das Riesenrad in London hat seinen höchsten Punkt erreicht, als Lukas Basti dieses romantische Liebesgeständnis macht. Aber bevor Lukas seinem neuen Lover im stilvollen Ambiente eines Schlosses den silbernen Ring überreichen kann, muss er noch einen bangen Moment überstehen: Wird seine Mutter Birgit der frisch aufblühenden Liebe ihren Segen geben?

Die Musikuntermalung wird dramatisch, das tränenreiche Finale der RTL-Kuppelshow „Mama Mia“ nimmt seinen Lauf. Und dann hat auch das schwule Paar den Weg in ein neues Glück gefunden. Oder zumindest auch die letzte Folge eines unfassbar peinlichen Scripted-Reality-Formats überstanden, mit dem RTL seinen unverkrampften Umgang mit dem Thema Homosexualität unter Beweis stellen wollte. Doch selbst dem abgehärteten Publikum des Kölner Senders war diese Show wohl zu schlicht, denn schon nach den ersten Folgen wurde sie aus der Primetime verbannt und im Nachmittagsprogramm abgeladen.

Der Auftritt von Lukas und Basti zeigt, dass Schwule und Lesben nicht nur in der Mitte der Gesellschaft, sondern auch in den Untiefen der deutschen Fernsehunterhaltung angekommen sind. Schon lange besteht kein Anlass mehr zu der Klage, Homosexuelle seien in den Medien nicht ausreichend repräsentiert.

Keine Vorabend-Soap kommt mehr ohne ein schwules oder lesbisches Beziehungsdrama aus, natürlich gehört ein schwules Paar mit adoptiertem Kind aus Vietnam in die „Modern Family„, der US-Sitcom, die zu den Lieblingssendungen auch der Familie Obama gehören soll. Die enttäuschte Liebe einer Frau zu einer anderen, die sich aber aus Frauen nicht so viel macht, wird als Mordmotiv im „Tatort“ gerne genommen. Und auf einen Kuss von Mann zu Mann muss man als Fernsehzuschauer auch nicht mehr bis Mitternacht warten, seit Carsten Flöter vor einem Vierteljahrhundert in der „Lindenstraße“ den Weg dorthin geebnet hat.

Wütende Protestbriefe

Damals soll es noch wütende Protestbriefe und Beschwerden bei den Aufsichtsgremien des WDR gegeben haben, heute ist ein schwules oder lesbisches Coming Out selbst im Kinderkanal kein Grund mehr zur Aufregung. Schwule, Lesben, Transmänner und -frauen müssen in den Medien angemessen repräsentiert werden. Das war die Forderung, die noch bis weit in die 70-er Jahre hinein an Intendanten und Redaktionen herangetragen wurde. Das Thema Homosexualität war bis dahin weitgehend tabu, nur vereinzelt wagte sich ein Sender mal an die Erforschung der Lebenswirklichkeit von Menschen, die dem eigenen Geschlecht zugetan waren.

Im „Aktenzeichen XY“ oder in den Regionalnachrichten war schon mal vom „Homo-Milieu“ die Rede, wenn ein unverheirateter Mann blutüberströmt in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Ganz mutig war es dann schon mal, in einer TV-Diskussionsrunde oder in einem Kommentar den Paragrafen 175 zu kritisieren, der Sex zwischen Männern unter Strafe stellte und erst 1994 ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Ab und zu durfte mal eine schrille Tunte eine Komödie aufpeppen oder eine strenge Lesbe für Probleme in einem Fernsehdrama sorgen, aber jenseits solcher Klischees hatten die Medien wenig zu bieten.

Erst allmählich wurden Themen wie das schwierige Coming Out von Jugendlichen oder die nicht heterosexuelle Orientierung von Prominenten in den Medien aufgegriffen, aber meist nur dann, wenn sie als Problem darstellbar waren. Eine soziale Minderheit kämpft um ihr Recht und fordert die Toleranz der Mehrheit ein, das war die Stoßrichtung solcher Beiträge und Sendungen. Und erst das Auftauchen von Aids brachte den öffentlichen Diskurs voran.

Nach einer kurzen Schockstarre, die viele befürchten ließ, jetzt beginne eine neue Ära der Unterdrückung, setzte sich die Erkenntnis durch, nur der offene und vorurteilsfreie Umgang mit Homosexualität trage zu einer wirksamen Prävention bei. Und natürlich griffen auch die privaten Medien, die sich nicht mit Kirchenvertretern in ihren Aufsichtsgremien herumschlagen mussten, diese Thematik auf.

Bizarre Erlebnisse

Hin und wieder führte das zu bizarren Erlebnissen vor dem Bildschirm, etwa wenn in einer Nachmittags-Talkshow junge Bahnhofsstricher vom Moderator angekündigt wurden und die älteren Damen im Publikum heftig applaudierten. Gerade im Trash-TV ging es voran. Die dort gepflegten Sendeformate der künstlichen Inszenierung, gerne auch unter Zuhilfenahme aufgedonnerter Klischees, machten aus der problembeladenen sexuellen Minderheit eine schrille Meute, die sich gut in seichte Unterhaltung integrieren ließ.

Inzwischen kommt kaum noch eine Fernsehserie ohne einen Beistellschwulen oder eine Dekolesbe aus, in den zahlreichen Quasselbuden der Nation werden Ehegattensplitting und Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare rauf und runter verhandelt und selbst die Bundeskanzlerin muss sich in einer Wahlsendung mit dem ihr offensichtlich unangenehmen Thema auseinandersetzen.

Auch die Stoßrichtung der Beschwerden von Betroffenen scheint sich zu verändern. Denn nicht immer sind die Schwulen und Lesben, die im Fernsehen vorkommen, edel, hilfreich und gut. Sie dürfen inzwischen sogar mal die Bösen sein: hinterhältig, gemein und kriminell. Ein „Tatort“, der vor einiger Zeit ein lesbisches Mordkomplott zum Thema hatte, sorgte für Protest. Und manche, die sich da beschwert hatten, hätten wohl am liebsten eine Gegendarstellung verlangt.

Keine Schmuddelecken mehr

Aber ist das nicht letztlich ein erfreuliches Ergebnis aller Kämpfe gegen das Totschweigen von Homosexualität in der bleiernen Zeit des Paragrafen 175? Es ging doch nicht darum, eine Sonderrolle oder gar so etwas wie einen Schutzraum für Schwule und Lesben zu erreichen. Wenn Heterosexualität nicht mehr die Norm ist, wenn in einer Sendung zum Thema Eifersucht ganz selbstverständlich und ohne besondere Erwähnung auch Schwule und Lesben ihre Erfahrungen schildern und wenn der Gewinner einer Quizsendung am Ende seinem Mann um den Hals fällt, dann gibt es keine Schmuddelecken mehr, in die das Thema abgedrängt werden kann.

Schwule oder lesbische Rollenmodelle werden immer öfter in Handlungsstränge von Serien oder filmischen Erzählungen nebenbei eingeflochten, ohne dass die sexuelle Orientierung noch groß thematisiert wird. Was aber auch oft dazu führt, dass sie zwar nicht mehr als Opfer dargestellt, dafür aber ebenso realitätsfern idealisiert werden. Wer noch vor wenigen Jahrzehnten eine vorurteilsfreie Darstellung von Homosexualität gefordert hat, reibt sich heute die Augen, wenn „Bauer sucht Frau“ schon auch mal „Bauer sucht Mann“ heißen kann. In der Regel bleibt es aber dabei, den stubenreinen Schwulen und die schwiegermüttertaugliche Lesbe in die Wohnzimmer zu lassen.

Für den Mut, auch einmal in Darkrooms hineinzuleuchten oder eine Fetischparty zum Drehort zu machen ohne den voyeuristischen Blick, reicht es noch nicht. Aber im Mainstream surfen Schwule, Lesbe und Transmenschen schon munter mit. Längst sind sie auch in der Werbung für Autos und Möbel angekommen – kein Unternehmen, das hat gerade erst die Aufregung um Barilla gezeigt, kann es sich noch leisten, mit einem Familienbild von vorgestern dagegen anzukämpfen. Aber spätestens die Olympia-Berichterstattung aus Sotschi wird zeigen, dass noch viel zu tun bleibt.