Abschied von „Mister Fake News“
Als Jonathan Stuart Leibowitz, besser bekannt als Jon Stewart, im Januar 1999 auf dem Moderatorenstuhl der Late-Night-Talkshow „The Daily Show“ Platz nahm, dürften die wenigsten geahnt haben, wie sich die spätabendliche Sendung entwickeln würde, Jon Stewart eingeschlossen. 16 Jahre und mehr als zweieinhalbtausend Folgen später kann das Team der „Daily Show“ auf eine Karriere mit zahlreichen Fernseh- und Journalismuspreisen zurückblicken.
Zu den Gästen gehörten neben Top-Stars aus der Film- und der Musikbranche zahlreiche Größen der US-amerikanischen und internationalen Politik, darunter die (Ex-)US-Präsidenten Bill Clinton, Jimmy Carter und Barack Obama, US-Außenministerin Hillary Clinton, US-Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius, Pakistans Ex-Präsident Pervez Musharraf (damals noch im Amt), die US-Kongressabgeordnete Nancy Pelosi sowie die britischen Premiers Tony Blair und Gordon Brown.
Wenn Jon Stewart jemanden mit beißendem Spott in seiner Sendung zerlegte, war es kurze Zeit später ein Thema in Blogs und Feuilletons.
Der 24-hour news cycle füttert die „Daily Show“
Wie hat eine halbstündige Sendung unter Führung eines einstigen MTV-Moderators auf dem kleinen Spartenkanal Comedy Central das geschafft? Grundlage für den Erfolg der Daily Show war der so genannte „24-hour news cycles“. Kabelsender wie CNN, MSNBC oder Fox News versorgen seit Mitte der 1990er (CNN schon etwas eher) das US-Publikum rund um die Uhr mit Nachrichten. „Breaking news“ müssen nicht mehr einen Sendetermin oder Redaktionsschluss abwarten. In den Sendungen so genannter „Pundits“ prägen politische Kommentatoren das Programm mit ihrer persönlichen Sicht.
Unter dem Druck, im Konkurrenzkampf als Erster zu berichten und das Publikum mit immer neuen Gimmicks und Superlativen bei der Stange zu halten, hat die journalistische Qualität gelitten (beispielhaft sei auf diesen Ausschnitt von MSNBC verwiesen). Um sich Publikum und Politik anzubiedern und aus der Masse herauszustechen, werden Prinzipien wie Sorgfalt, Ausgewogenheit und Neutralität häufig mit Füßen getreten. Die Spaltung der US-Politik in zwei große Lager entlang der Parteilinien, spiegelt sich auch in den Medien wider: CNN und MSNBC sind eher auf Seite der liberalen Demokraten, Fox News hält es eher mit den konservativen Republikanern.
An dieser Dysfunktionalität setzt die Arbeit der „Daily Show“ an. Mithilfe von kommentierten Einspielern werden Medien mit ihren eigenen Wendehalsmanövern, Parteilichkeit und Tatsachenverzerrungen konfrontiert.
Die „Daily Show“ nimmt neben den Nachrichtensendern aber auch andere Medien, Organisationen und Politiker unter die Lupe. Mit peniblem Fact-Checking und unbequemen Fragen in Interviews mit Studiogästen zeigte Jon Stewart die regelmäßige Heuchelei von Medienpersönlichkeiten auf.
Stewarts Lieblingsziele: konservative Politiker und Medien
Eine besondere Hass-Liebe verbindet Stewart mit dem Sender Fox News und der Republikanischen Partei. Beide zählten zu den häufigsten Zielen seiner Kritik. Nicht weil sie die einzigen waren, die Fehler machten, sondern weil sie förmlich danach riefen, dass man sich über sie lustig machte.
Seine Hochzeit erlebte Stewart folglich während der Amtszeit von Präsident George W. Bush. Die flexible Handhabung der Wahrheit, die fragwürdigen Motive politischer Akteure hinsichtlich der Einmärsche in den Irak und Afghanistan, zweifelhafte Maßnahmen im „Krieg gegen den Terror“ und der Umgang mit politischen Gegnern – alles Themenbereich bei denen auch renommierte Medien wie selbst die ehrwürdige New York Times häufig nicht gut aussahen – boten ein wahres Füllhorn an Material für den Satire-Fleischwolf.
Mit Beginn der Präsidentschaft von Barack Obama verlagerte sich der Fokus hingegen mehr auf die Kritiker der Regierung (Stichwörter: Gesundheitsreform, Bengasi, Obamas Geburtsurkunde), auch wenn diese selbst nicht von Kritik verschont blieb. Wiederholt kam daher der Vorwurf auf, Stewart und sein Team seien selbst nicht objektiv und ausgewogen. Die Standardantwort darauf lautete: Wir sind keine Journalisten, wir machen nur Unterhaltung.
Der aus New Jersey stammende Komiker, der seine Karriere mit Stand-up-Auftritten begann, beließ es aber nicht bei Medien-, Politik- und Gesellschaftskritik. Wiederholt mischte er sich persönlich ein. Etwa als er den Umgang mit Rettungskräften, die nach den Anschlägen des 11. Septembers im Einsatz waren, anprangerte und dazu beitrug, Abgeordnete zu mobilisieren, ein Gesetz zu deren Versorgung zu verabschieden. Am 30. Oktober 2012 folgten etwa 200.000 Menschen seinem gemeinsam Aufruf mit Satire-Kollege Stephen Colbert, bei der „Rally to Restore Sanity and/or Fear“ ein Zeichen für einen vernunftbasierten Diskurs zu setzen.
Jon Stewart präsentierte sich gerne als Stimme der Vernunft in einer Gesellschaft, die sich zwischen Extremen zerreibt. Er trat als Anwalt der kleinen Leute auf, deren Interessen gegenüber dem undurchschaubaren Geflechts von Konzernen, Politik und Medien auf der Strecke bleiben. Obwohl er selbst zuletzt zwischen 25 und 30 Millionen US-Dollar verdiente, setzte er sich beispielsweise für eine allgemeine Krankenversicherung und gerechtere Besteuerung von Reichen ein.
Bei aller Würdigung seiner Arbeit sollte jedoch nicht vergessen werden, dass auch Jon Stewart ein fehlbarer Mensch ist und keine heilige Personifizierung liberaler Werte. In seiner vorletzten Sendung hat er zudem deutlich gemacht, dass Satire allein nicht genügt, um Missstände aus der Welt zu schaffen. Ein politisches Amt hat er – auch wenn viele Fans dies wohl gerne gesehen hätten – nie angestrebt. Nach anderthalb Jahrzehnten des Sichtens von Nachrichtenmaterial und publikumswirksamer Entrüstung will er sich nun seiner Familie widmen. Am 6. August 2015 lief die „Daily Show“ zum letzten Mal mit der Ergänzung „with Jon Stewart“ im Titel.
Künftig wird der Südafrikaner Trevor Noah die Sendung moderieren. Ob der junge Comedian den Erwartungen gerecht werden kann, bleibt abzuwarten. Auf dem Bezahlsender HBO hat sich mittlerweile „Daily Show“-Alumnus John Oliver als Nachfolger in Stellung gebracht. In seiner montäglichen Sendung Last Week Tonight nimmt er unter anderem den Fußballverband Fifa, die thailändische Regierung, den „Miss America“-Wettbewerb, Massentierhaltung und Gegner der Netzneutralität aufs Korn. Wie sein ehemaliger Chef ist Oliver bissig bis zur Respektlosigkeit, recherchiert Fakten, empört sich – und sorgt bei alledem für kluge Unterhaltung. Man könnte sagen, er hat von einem der Besten gelernt.