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Alan Posener: Kampf dem alltäglichen Alarmismus

Es sind Empörungswellen, die Deutschland in den vergangenen Monaten und Jahren heimgesucht haben: Von Stuttgart 21 bis Pegida ranken sich Proteste durch das gesamte gesellschaftliche wie politische Spektrum, oft angefeuert im Web. „Die empörte Republik“ nennt das Alan Posener, Korrespondent für Politik und Gesellschaft bei der Welt-Gruppe. In seinem Buch, erschienen als E-Book Only bei Rowohlt, beleuchtet er auch die Aufmerksamkeitsökonomie und blickt dabei kritisch auf die Medienwelt. Ein Gespräch über die Wege und Wirtschaftlichkeit der Aufmerksamkeit.

Herr Posener, in „Die empörte Republik“ wenden Sie sich gegen den „alltägliche Alarmismus, den uns nicht zuletzt die Massenmedien in ihrer Sucht nach News und Schlagzeilen aufzwingen“, wie es in der Beschreibung des Buches heißt. Inwiefern hat das Internet dieses Problem beeinflusst?

Was mit dem Internet passierte, ist an und für sich positiv: Es hat die Hierarchie der Meinungen zerstört. Früher gab es zwei, drei Leitmedien, deren führende Journalisten eine gewisse Autorität hatten. Diese Autorität ist durch das Internet stark infrage gestellt worden, weil heute jeder seine Meinung online stellen und dafür Anhänger gewinnen kann. Das ist im Grunde genommen eine demokratische Entwicklung, über die man froh sein kann. Aber gleichzeitig stehen alle Angebote in der Konkurrenz mit Leuten, denen Hemmungen fehlen. Daher ist die Versuchung sehr groß, eine These oder eine Zeile anzuschärfen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Hinzu kommen SEO-Kriterien, mit denen man oben bei Google-News landen will. Das sind Aspekte, die sich gegenseitig hochschaukeln.

Wenn Sie von einer „Sucht nach News“ sprechen, steckt doch dahinter, dass man auf dem Laufenden gehalten werden will, was die Verlage etwa mit Eilmeldungen immer wieder anfeuern. Inwiefern hat diese „Sucht nach News“ Einflüsse auf das Nutzerverhalten?

Ich bemerke es ja an mir selbst: Ich steige in die U-Bahn ein und raus kommt das Smartphone, um zu scannen, was die Topmeldungen sind. Früher hat man eine Zeitung mitgenommen und einen Artikel ausführlich gelesen. Das war vielleicht einseitiger, aber ein in die Tiefe gehendes Studium. Ich glaube, dass dies ein aussterbendes Konsumverhalten ist. Und das bedeutet auch, dass man mit relativ wenig wirklichem Faktenwissen sehr schnell zu Meinungen kommt. Und das halte ich für gefährlich. Ich möchte aber nicht missverstanden werden: Ich beschwöre hier nicht die gute alte Zeit herauf, weil die sowieso nicht wiederkommt. Aber in der Natur des mobilen Lesens liegt das ausführliche Lesen einzelner Artikel nicht – auch wenn es durch das Internet per se möglich wäre.

Aber ist dann Ihrer These zufolge nicht das Geschäftsmodell des Online-Kiosks Blendle zum Scheitern verurteilt?

Nein. Ich habe selbst, als es Blendle nicht in Deutschland gab, das iTunes-Modell empfohlen. Wer das Artikel-Hopping gewohnt ist – und das ist jeder unter 50 – wird nicht zum Online-Abo zurückkehren. Sondern er wird allenfalls bereit sein, für einzelne, herausragende Stücke zu zahlen. Damit wären wir eben bei dem iTunes-Modell. Oder, weitergedacht, bei Flatrates mit breiter Auswahl à la Spotify oder iMusic.

Gerade um die Aufmerksamkeit der jungen Leser wird derzeit gebuhlt: Etwa von bento, ze.tt oder himate. Ist es nicht verrückt, noch mehr Angebote auf einen sowieso vollen Markt zu werfen?

Wissen Sie, die Leute haben Marktforschung betrieben. Die werden wahrscheinlich wissen, was sie tun. Früher gehörte es zum Erwachsenwerden, dass man mit 15 Jahren Die Zeit oder den Spiegel las, auch wenn man nicht alles verstand. Ich frage mich: Was soll das an einem Artikel sein, wie er in der normalen Zeitung steht, was einen 18-Jährigen nicht interessieren sollte? Ich verstehe nicht, was etwa bei Inhalten zum sogenannten „Islamischen Staat“ für einen 18-Jährigen anders gemacht werden sollte als für einen 58-Jährigen.

Das Problem mit der Aufmerksamkeit kennen aber nicht nur der Journalismus, sondern auch die Werbung. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist auch Native Advertisment, also redaktionelle Werbung, wie sie bei jüngeren Publikationen eingesetzt wird. Macht das den Journalismus kaputt? Oder macht es ihn – durch neue Geschäftsmodelle – besser?

Es hat schon immer Arten der unterschwelligen bis versteckten Werbung gegeben. Bestimmte Magazine, die sich mit Lifestyle befassen, sind einer ständigen unterschwelligen Korruption ausgesetzt. Ich mache ja selbst gelegentlich Reiseberichte und eine Zeitung kann keine Reise etwa in die Mongolei finanzieren. Das unterstützt – beziehungsweise finanziert faktisch – ein Reiseanbieter und wir schreiben es drunter aufgrund der journalistischen Sorgfaltspflicht. Das gilt etwa auch für Autos. Außerdem gab es immer schon Beilagen, die redaktionell miterstellt werden. Das ist problematisch, aber nichts Neues.

Gibt es denn sowas wie gutes „Aufmerksamkeitsgeheische“?

Ich bin ja ein großer Fan von Werbung. Ich bin gerne umworben. Das Problem aber ist – wie in allem – die Intelligenz oder Nichtintelligenz dabei. Viele Leute machen sich Sorgen, dass ihr Verhalten gläsern wird. Ich sage: So what. Das macht mir gar nichts. Intelligenterweise teilt mir Netflix mit, dass die zweite Staffel von „Fargo“ da ist, weil ich die erste gesehen habe. Und damit mir nicht unnützes Zeug, das ich nicht kaufen wollte und deshalb weggeklickt habe, angeboten wird, wünsche ich mir manchmal, ich wäre gläserner und die Werbung intelligenter.

Dieses Interview erscheint in Zusammenarbeit mit nextMedia.Hamburg.