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Alard von Kittlitz: „Das Internet produziert hundert Mal so viel Bullshit wie Papier“

Das Hamburger Café Pauline: Jung, aber irgendwo altmodisch. Wie sich herausstellt, ein wenig wie Alard von Kittlitz. Ein Journalist voller Kontrast: Junge, abenteuerliche Ideen und bodenständige, fast altmodische Werte. Von Kittlitz wollte immer schon „was mit Schreiben machen“. Sein Traum, Musiker zu werden, scheiterte an seinen eigenen Ansprüchen. Beim Schreiben ist er aber geblieben. Er studierte Philosophie, Geschichte und Management in Berlin, Paris und Cambridge. An Umzüge ist der Sohn eines Diplomaten gewöhnt. Er wurde 1982 in Jakarta geboren und lebte mit seiner Familie in Äthiopien und Indien. Seine journalistische Laufbahn begann 2009 mit einem Volontariat im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Nach seiner Tätigkeit in den Politikressorts bei der Frankfurter Allgemeinen und Frankfurter Sonntagszeitung wechselte er im Sommer 2013 zum Magazin Neon. Bei einem großen Americano und einem kleinen Glas Wasser stellt sich der Redakteur einem Gespräch über seinen Beruf, die Branche und Fluch und Segen einer offenen Zukunft.

VOCER: Herr von Kittlitz, Sie machen viel mit in ihrem Job: Für einen Artikel sind Sie zum Beispiel in den peruanischen Dschungel geflogen und haben dort mit einem Schamanen Drogen genommen. Wie war der Trip?

Das war eine heftige, aber auch eine sehr gute Erfahrung. Für mich. Andere Menschen finden es schrecklich.

Sie haben in Ihrer Zeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeiten Themen wie die AfD und Guttenberg behandelt. Heute schreiben Sie Texte über Google Town oder eben über peruanische Drogen im Selbstversuch. Fehlen Ihnen jetzt die politisch brisanten Themen?

Es fehlt immer irgendwas. Bei Neon kann ich nicht so leicht zeitnah über Politik schreiben, bei der FAZ wäre Ayahuasca für die Leser vielleicht nicht so interessant. Ich wollte zu Neon, weil ich gerne mehr Zeit für Texte haben wollte, als mir eine Tageszeitung bieten kann. Und bei Neon ist wirklich schön, dass ich mich bei meiner Themensuche nicht einschränken muss. Wenn ich für eine Geschichte nach Peru möchte oder nach San Francisco, dann geht das theoretisch.

Sie stehen noch am Anfang Ihrer journalistischen Laufbahn. Rundherum, bei Gruner+Jahr und in der gesamten Branche, verlieren Kollegen ihre Jobs. Wie fühlt sich das an?

Schön ist das nicht. Die Kollegen tun mir leid. Vielleicht macht das alles aus betriebswirtschaftlicher Sichtweise Sinn, aber die Vorstände müssen aufpassen, dass sie nicht am Ende die Kultur ihres Unternehmens soweit zusammenstutzen, dass das in sich selbst zusammenbricht. Es bringt aber auch nichts, die ganze Zeit darüber nachzudenken.

Über die Kollegen oder über die Branchensituation generell?

Es ist natürlich eine deutliche Aussage über die Qualität unserer Arbeit, dass diese Branche in der Krise ist. Ich glaube sehr wohl, dass wir als Branche wegen der Krise über die Qualität unserer Arbeit nachdenken müssen. Journalismus wird offensichtlich nicht als unverzichtbares Produkt erlebt. Was wir machen, ist anscheinend nicht so informativ oder so unterhaltsam, dass die Leute es unbedingt haben wollen. Wir behaupten als Branche gern, wir seien für die Demokratie unverzichtbar. Das scheinen die Leute anders zu sehen. Die Leute, von denen wir meinen, dass sie auf uns nicht verzichten können, sehen das anders. Das ist nicht nur deren, sondern auch unsere Schuld. Ich glaube, man muss darüber nachdenken, ob man nicht anders oder besser arbeiten kann.

Kein Grund also, für junge Journalisten, die Flinte ins Korn zu werfen?

Für mich selbst stellt sich die Frage nicht, weil ich nichts anderes machen will. Ich mache diesen Job zu gerne.

Sie sind allerdings auch nicht fest angestellt, sondern freier Journalist.

Ich möchte theoretisch schreiben können, für wen ich will. Das ist mein Luxus. Ich bin trotzdem ständig in der Redaktion. Betriebswissenschaftler, die glauben, dass man guten Journalismus haben kann, indem man nur noch mit Freien arbeitet, haben glaube ich eine viel zu hohe Meinung von uns. Was für ein Genie muss man denn sein, um alleine in der Stube hocken zu können und regelmäßig Kick-ass-Inhalte zu produzieren? So funktioniert das nicht. Man sitzt in der Redaktion, spricht miteinander, erarbeitet gemeinsam Ideen. Ich bewundere die Kollegen, die so frei arbeiten können, aber die können nicht der Maßstab sein. So sollten sich Vorstände nicht unsere Arbeit denken, so sind wir, glaube ich, nicht.

Welche Maßstäbe, welche Prinzipien sollten sich in der Branche denn verändern?

Viele von uns arbeiten ja leider auch nicht mehr dafür, dass sich unsere Publikation trägt, sondern letztlich dafür, dass Aktienbesitzer eine hübsche Rendite erhalten. Vielleicht ginge es der Branche besser, wenn es anders wäre. Ich weiß nicht, wie notwendig die Kürzungen wären, wenn die Verlagswelt anders strukturiert wäre. Zugleich finde ich, dass wir in der Branche zu viel jammern. Wir sollten mehr darüber reden, was gute Arbeit ist. Wenn ein Kollege etwas Tolles gemacht hat. Wir müssen versuchen, dafür häufiger Anlass zu geben. Das würde eher helfen als das Klagen aus Angst.

Mit das Schwierigste am journalistischen Beruf ist es, gute Themen zu finden. Woher stammen Ihre Ideen?

Immer unterschiedlich. Ich glaube, jeder hat da seine kleinen Betriebsgeheimnisse. Aber ich finde wirklich viel im Netz. Es gibt zum Beispiel so viele Leute, die in Foren gute Geschichten erzählen, die nie nachrecherchiert worden sind. Wenn man sich ein wenig auskennt, kann man da was finden.
Und über Gespräche. Mit Freunden, die nicht Journalisten sind! Über Nachdenken. Und über Bücher. Ich lese erbärmlich wenig Presse. Aber es gibt auch so wenige Sachen, von denen ich denke, dass ich sie verfolgen muss, weil sie so aufregend sind.

Ein Monatsmagazin lässt auch viel Spielraum, verglichen mit einer Tageszeitung.

Aber man muss anders erzählen. Als ich Volontär war, hat Markus Jauer, der seine wöchentliche, ausgeruhtere Seite fantastisch betreut hat, meine Vorschläge oft abgelehnt: „Es fehlt die Geschichte!“ Das ist im Magazin finde ich noch viel wichtiger. Es reicht nicht zu sagen, ich finde einen Themenkomplex interessant. Die Geschichte muss man finden. Und das passiert einem nicht oft. Ein richtig gutes Thema, ein richtig guter Protagonist – und ich bin genau zum richtigen Zeitpunkt da. Dazu braucht man immer auch Glück.

Sie haben bereits einige Preise gewonnen. Womit, meinen Sie, haben Sie die verdient?

Ich habe die nicht verdient, die habe ich gewonnen. Über Journalistenpreise kann man lange reden. Es ist schön, wenn man einen gewinnt, es ist schon schön, wenn man nominiert wird. Aber man kann nicht wirklich was tun, um sie zu gewinnen. Und man kann nicht sagen, dass man sie verdient hätte. Weil es keine klaren Standards dafür gibt, wonach sie vergeben werden.

Solche Preise sind ja sicherlich auch eher für die Kollegen, als für den Leser, oder?

Natürlich sind Journalistenpreise für Journalisten und nicht für Leser. Keiner springt morgens aus dem Bett, um zu checken, wer denn gestern den Axel-Springer-Preis gewonnen hat. Nobody gives a shit.

Und eine Erwähnung in der Titanic, ist das nicht fast schon ein Ritterschlag?

Ich war so aufgeregt, als mir gesagt wurde, dass was in der Titanic steht. Ich hab mich wahnsinnig gefreut. Und dann fand ich es so… Naja, also, die können das bestimmt noch besser. Die fanden meinen Namen lustig, [Alarm vom Kitzler, A.d.R.] das kenne ich eher aus der Grundschule. Vielleicht bin ich aber auch gar nicht satisfaktionsfähig. Wahrscheinlich war das deren tatsächliche Beleidigung. Dass man inhaltlich sowieso nichts Interessantes bei mir finden kann.

Woran hätten sie sich Ihrer Meinung nach aufhängen können? Wo sind Ihre Schwächen?

Ich mache immer wieder dieselben Fehler. Die Texte gehen oft viel zu langsam los, manchmal mäandern sie irgendwohin aus. Ich finde mich recherchefaul. Ich habe sowieso selten das Gefühl, dass der Text gut ist. Eigentlich fast nie. Aber ich schreibe trotzdem sehr gerne. Ich will trotzdem besser werden. Ich freue mich trotzdem, wenn ein Text gedruckt wird.

Gerade im Feuilleton arbeitet man viel mit meinungslastigen Darstellungsformen. Wie wichtig ist da ein gesunde Portion Arroganz? Muss man zu einem gewissen Grad Arschloch sein, um gute Texte zu schreiben?

Als ich bei der FAZ angefangen habe, da saßen da die ganzen Großmuftis. Die wirkten alle so unerschütterlich. Ich dachte echt, die wissen alles. Dass es keine Lücken gibt in deren bodenloser Bildung. Mir hat das richtig Angst gemacht.

Woher nimmt man dann den Mut?

Man muss am Ende eben doch von sich und seinen Ideen überzeugt sein. Wenn du am Ende wirklich nicht glaubst, dass die Sachen, die dir einfallen, interessant sind, oder du glaubst, jemand anders könnte sie besser erzählen als du selber, dann musst du es wahrscheinlich lassen.

Also braucht man schon eine gesunde Portion Selbstvertrauen als Journalist?

Ich habe einmal zufällig einen Kollegen auf dem Gang beobachtet, der merkte nicht, dass ich hinter ihm her ging. Das war auf dem Weg in die Konferenz und der machte Schattenboxen. Der ist da reingegangen, um alle fertig zu machen. Der wollte die besten Themen vorschlagen und die witzigsten Ideen haben. Der war aber kämpferisch, nicht arrogant. Arroganz ist eigentlich immer vulgär, oder?

Früher im Feuilleton und jetzt bei der Neon bewegen Sie sich ja sehr stark in der Populärkultur. Ist es in Ihren Augen noch zeitgemäß, das im Print zu tun?

Ich finde das Internet als Ort zum Lesen leider meistens noch so wahnsinnig unästhetisch! Das ist alles so hässlich, mit dieser blinkenden Werbung. Und die andere Sache ist – es ist völlig egal, dass es im Netz wahnsinnig gute Arbeit gibt. Als Medium ist es so schnell, dass es notgedrungen hundert Mal so viel Bullshit produziert wie Papier. Ich finde Print schöner, und ich finde da im Schnitt die besseren Texte. Also fühle ich mich da hin gezogen.

Sie sind auch kaum im Internet zu finden. Sie twittern nicht, Sie sind als Journalist nicht auf Facebook vertreten, ein alter Blog liegt brach …

Ich schreibe aber immer mal wieder was.

Ja, den Neon-Blog. Ist das notgedrungen? Gehört das zur Jobbeschreibung?

Nee, das finde ich super. Im Internet kann man besser rotzen. Das hat ja auch seinen Sinn. Die Neon ist als Monatsmagazin langsamer. Da entsteht eine Distanz zu den Gedanken, man kann alles durchdenken. Für den Blog habe ich nicht so viel Zeit und ich will dafür auch nicht so viel Zeit haben. Weil es schön ist, wenn die Texte eine gewisse Unmittelbarkeit haben.

Ihre gleichaltrigen Kollegen Tilo Jung und Daniel Bröckerhoff, zum Beispiel, machen ja genau das Gegenteil. Die machen sich gläsern, arbeiten online, suchen das Feedback.

Ich selbst glaube nicht an Transparenz. Ich verstehe den Sinn nicht. Am Ende kann ich nicht in den Kopf von Thilo Jung reingucken, ich weiß doch nicht, welche Intentionen er wirklich hat. Bestimmt gute. Aber ich will so oder so versuchen, jeden Text gegen den Strich zu lesen. Transparenz ist für mich keine Voraussetzung für guten Journalismus.

Worauf kommt es stattdessen an?

Auf so etwas wie Verletzlichkeit vielleicht. Das hat mir mal Volker Zastrow erklärt, ich hoffe, ich habe ihn richtig verstanden. Ein guter Text ist angreifbar. Irgendwie ist es doch wirklich völlig wahnsinnig, Journalist sein zu wollen. Zu glauben, dass das, was man denkt und schreibt, gelesen werden sollte. In guten Texten wird dieser Wahnsinn nicht versteckt. Das ist dann verletzbar. Das ist die interessantere Transparenz, finde ich.