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Alaska Dispatch: Vom Küchentisch-Blog zum Nachrichtenplatzhirsch

Illustration: Christiane Strauss

Wer hierzulande an Alaska denkt, dem kommen wahrscheinlich als erstes schneebedeckte Wälder, Eisbären und Goldgräber in den Sinn. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an Sarah Palin. Tatsächlich vereinigt der nördlichste und flächenmäßig größte US-Staat viele Gegensätze in sich. Hier findet sich die Jahrhunderte alte Kultur der Ureinwohner ebenso wie Rohstoffvorkommen für den globalen Ressourcenhunger. Der Staat ist viermal so groß wie Deutschland, hat aber nur rund 700.000 Einwohner, von denen die meisten in Anchorage leben, dem wirtschaftlichen Zentrum Alaskas. Wie man es in dieser Umgebung vom kleinen Blog zum Nachrichtenplatzhirsch schafft, haben Herausgeberin Alice Rogoff und Chefredakteur Tony Hopfinger vom Alaska Dispatch erzählt.

VOCER: Frau Rogoff, Herr Hopfinger, mit dem Alaska Dispatch berichten Sie voller Herzblut von der so genannten „Last Frontier“, dem nördlichsten Bundesstaat der USA. Warum sollte man Alaska mehr Aufmerksamkeit schenken und welches Bild wollen Sie von diesem Ort vermitteln?

Alaska Dispatch-Chefredakteur im Gespräch mit Herausgeberin Alice Rogoff

Alaska Dispatch-Chefredakteur Tony Hopfinger und Herausgeberin Alice Rogoff.

Alice Rogoff: Alaska ist ein Ort der Extreme – nicht nur hinsichtlich der Geografie und des Wetters, sondern auch des extremen Reichtums, extremer Armut, eines tiefen Grabens zwischen Stadt und Land, lebendiger Kulturen und komplexer sozialer Themen. In diesem Staat finden sich wichtige Geschichten, aus denen Leser lernen können, egal wo sie leben. Alaska vertritt auch die Präsenz der Vereinigten Staaten in der Arktis, einer Region, die in den kommenden Jahren noch viel wichtiger werden wird angesichts von Klimaveränderungen, baulicher Erschließung und Infrastrukturausbau. Wir wollen unseren Lesern weltweit zeigen, dass Alaska mehr ist als nur schöne Landschaften und wilde Tiere. Es ist ein komplizierter, schöner, herausfordernder, sich stets verändernder Ort voller faszinierender Menschen.

In Ihrer Selbstbeschreibung heißt es, Sie sind angetreten, um die „journalistische Lücke“ zu füllen, die andere Medien in Alaska hinterlassen haben. Was sind Storys, die der Dispatch bekannt gemacht hat?

Tony Hopfinger: Eines unserer ersten Projekte in 2009 war eine investigative Serie über einen Zwischenfall im Ort Point Hope, ein Dorf mit 675 Einwohnern im Nordwesten Alaskas. Die Bewohner waren beschuldigt worden, Rentierfleisch verschwendet zu haben. Die Alaska State Trooper [die Staatspolizei, Anm. d. Red.] nannten es einen der schlimmsten Fälle mutwilliger Verschwendung überhaupt. Aber es war mehr dran an der Geschichte, als berichtet wurde. Wir schickten also eine Reporterin in den Ort, um die Hintergründe zu erforschen, mit den beteiligten Familien zu sprechen und den Lesern ein tiefergehendes Verständnis der Geschichte zu geben. Unsere Berichterstattung hat ein erneutes öffentliches Interesse an dem Fall ausgelöst.

Warum ist es für Alaska und die USA wichtig, eine Nachrichtenquelle mit Sitz in Alaska zu haben?

Tony Hopfinger: Niemand versteht Alaska besser als die Alaskaner. Es ist schwierig für einen Reporter von außerhalb, hierherzukommen und das Leben in seiner Komplexität zu verstehen und dann darüber in einer Weise zu berichten, die den Gegebenheiten gerecht wird. Journalisten aus Alaska kennen den Staat einfach besser und sind eher in der Lage, Kontext zu liefern, um Leser in Alaska und weltweit besser zu informieren.

Sie haben 2010 einen Reporter quer durchs Land geschickt, um über die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zu berichten. Warum war es für Alaska wichtig, dass jemand vor Ort war für dieses so weit entfernte Ereignis?

Tony Hopfinger: Als die Explosion der „Deepwater Horizon“ geschah, erkannten wir darin sofort eine Geschichte, die für die Menschen in Alaska wichtig und vertraut war. Bis heute spüren Menschen und Wirtschaftszweige in unserem Staat sehr deutlich die Folgen der Ölpest 1989 nach dem Untergang der „Exxon Valdez“. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko kam zu einem Zeitpunkt, als Öl- und Gasfirmen anfingen, Offshore-Bohrungen in der alaskanischen Arktis vorzunehmen. Deshalb sahen wir das als eine Geschichte an, die bedeutend war für Alaskas Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und wir fanden es wichtig, unseren Lesern eine unmittelbare Sicht auf das Geschehen mit einem Bezug zu Alaska zu bieten.

Der Staat ist ziemlich konservativ geprägt, und vielen Europäern scheinen US-Medien in ein liberales und ein konservatives Lager getrennt zu sein. Wo verortet sich der Dispatch in der US-Medienlandschaf?

Tony Hopfinger: Als Publikation beziehen wir nicht Stellung. Wir haben beispielsweise nie einen Leitartikel ohne Autorennennung gehabt oder einen politischen Kandidaten empfohlen. Das sind zwei Wege, wie Zeitungen einen Ruf als entweder „liberal“ oder „konservativ“ bekommen. Unser Ziel ist es, eine große Breite an Meinungen aus allen Perspektiven zu verbreiten. Wir wollen unseren Lesern so viele Informationen und Sichtweisen wie möglich liefern, damit sie sich ihre eigene Meinung bilden können.

Wie hat sich der Alaska Dispatch von einem kleinen Blog zu einem etablierten Nachrichtenmedium entwickelt und wie sieht seine Reichweite heute aus?

Tony Hopfinger: Am Anfang waren wir eine kleine Nachrichtensite, die ich von meinem Küchentisch aus betrieben habe. 2009 wurde ich Alice vorgestellt. Sie wollte neuen Journalismus in Alaska finanzieren und wir hatten ein solches neues journalistisches Angebot und brauchten eine Finanzierungsmöglichkeit. Sie wurde Mehrheitseignerin und wir stellten unsere ersten Reporter und Redakteure ein. Seitdem ist unsere Leserschaft stetig gewachsen und mittlerweile sind wir die am zweithäufigsten gelesene Nachrichtenquelle nach den Anchorage Daily News, die wir inzwischen allerdings übernommen haben. Zusätzlich haben wir außerhalb des Staates noch einmal so viele Leser.

Viele Nachrichtensites kämpfen ums Überleben, manche haben Paywalls eingeführt oder werden von größeren Unternehmen getragen. Wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell?

Alice Rogoff: Unser Geschäftsmodell setzt auf Anzeigeneinnahmen. Wir zählen auf die Unterstützung von Unternehmen und Organisationen, die mit ihren Werbedollars die Nachrichten finanzieren. Jetzt, da mit den Anchorage Daily News ein Printprodukt dazugekommen ist, können wir Anzeigenkunden noch mehr Möglichkeiten anbieten, ihre Kunden zu erreichen.

Was sind die Folgen der Übernahme der Anchorage Daily News durch den Dispatch? Werden die beiden Medien komplett vereint werden oder separat fortbestehen?

Tony Hopfinger: Für unsere Leser wird sich wahrscheinlich kaum etwas ändern. Printabonnenten werden auch weiter jeden Tag ihre Zeitung bekommen. Wir planen aber, die beiden Websites zusammenzulegen und auch unsere zwei Redaktionen werden in eine übergreifende Nachrichtenzentrale übergehen.

Was wird sich auf der strukturellen Ebene nach der Übernahme verändern?

Alice Rogoff: Zu diesem Zeitpunkt ist es noch zu früh, um über strukturelle Veränderungen zu sprechen. Es ist klar, dass unser Unternehmen um einiges größer werden wird und wir werden unsere Struktur dementsprechend anpassen, um sicherzustellen, dass die Organisation reibungslos funktioniert.

Übersetzung aus dem Englischen: Jan Ewringmann