Kürzlich stand eine Volontärin bei mir in der Tür. Demnächst sei für sie ja die Zeit in der Digital Unit gekommen, begann sie das Gespräch. Sie wirkte fast ein bisschen unglücklich darüber. Mich machte ihre zurückhaltende Freude stutzig. Bislang hatte ich unterstellt, dass alle Volontäre der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten geradezu nach ihren sechs Monaten in der Onlineredaktion der beiden Blätter lechzen. Schließlich ist das hier doch der Ort der Innovation, hier beschäftigen wir uns Tag ein Tag aus mit der Lebenswirklichkeit, dem Tempo und den Themen der jungen Zielgruppe. Also ein Heimspiel für alle Volontäre. Von wegen!

„Muss ich dann eigentlich auch diese Geschichten machen, die wie verrückt geklickt werden?“ Ihr Blick war beängstigt, ihre Worte waren es für mich ebenfalls. Die Argumentation ist mir nicht fremd. Immer wieder müssen sich Online-Journalisten den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nur die Themen bearbeiten, die vom Leser geklickt werden. Zum einen ist das so nicht haltbar, denn viele Themen werden nicht gelesen (oder nur die Überschrift, was aber keinen PI ausgelöst), und man hebt sie dennoch auf die Agenda, weil man sie für wichtig hält. Zum anderen sollten ja auch Print-Journalisten das als maßgebliche Idee im Kopf haben, wenn sie Geschichten recherchieren und schreiben. Den Leser soll es interessieren, nicht den Ressortleiter oder Chefredakteur. Aber ich schweife ab.

Themen von Stuttgart bis Sydney

„Ja, das ist der Sinn des Spiels“, fing ich an. „Dabei ist es vollkommen egal, ob es eine Bildergalerie mit den Wochenendtipps für Stuttgart ist oder einer Modenschau aus Sydney.“ „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, schien ihr Blick zu sagen. Ich fürchte aus: „Es kann ein kurzes Stück sein über die Kinderschokolade zur EM mit den Kinderbildern der deutschen Nationalspieler, die einigen Pegida-Anhängern nicht deutsch genug aussehen.“

Gewiss, das bestärkte eher ihre Befürchtungen.

„Das kann aber auch eine Reportage sein über den Studenten, der sich als Batman verkleidet und durch die Bars der Stadt schleicht. Es muss in jedem Fall den Leser interessieren, informieren und unterhalten.“

„Das heißt, es sind auch weiterhin Themen aus der Stadt wichtig?“

„Unbedingt! Wenn man sich die Statistiken anschaut, ist klar zu erkennen, was jeden Tag aufs Neue die Leser interessiert – Themen aus der Stadt. Wir sind hier ja nicht bei Spiegel Online oder der Süddeutschen Zeitung. Überregionale Themen findet ein Leser auch dort.“

Erleichterung machte sich in ihrem Gesicht breit.

„Das, was er nicht dort findet, sind die Themen aus Stuttgart und der Region. Das ist unsere Nische, egal ob gedruckt oder digital.“

Sie lächelte plötzlich. Na, das kann ja doch noch was mit uns werden.

Kein Sparkurs bei Volontären

Volontäre, die bislang bei den Stuttgarter Nachrichten oder der Stuttgarter Zeitung gearbeitet haben, hatten im Rahmen ihrer zweijährigen Ausbildung immer eine Station in der Online-Redaktion des jeweiligen Titels. Bei der Stuttgarter Zeitung waren es in der Regel sechs Monate, inklusive eines Ausfluges nach München zur Süddeutschen Zeitung. Der blieb auch den Volontären der Stuttgarter Nachrichten nicht verwehrt. Ihre Aufenthaltsdauer in der Online-Redaktion schwankte jedoch.

Mit Zusammenlegung der beiden Redaktionen zu einer Gesamtredaktion wurde auch die Ausbildung vereinheitlicht. Sechs Monate im Digitalen sind von Anfang an eingeplant. Diese Zeit umfasst die Online-Redaktion, eine Stippvisite im neu gegründeten Ressort Multimedia-Reportage und einige Wochen in der Online-Redaktion der Süddeutschen Zeitung. Künftig wird es sieben Volontäre in der Gemeinschaftsredaktion geben, bislang schwankte die Zahl zwischen fünf und sieben.

Reines Print-Volontariat ist realitätsfern

Den überwiegenden Teil ihrer Zeit verbringen die Volontäre damit in den Ressorts, die aber nicht nur für die gedruckte Zeitung arbeiten, sondern mit dem Start der Gemeinschaftsredaktion im April peu à peu die Devise „Online first“ in ihren Arbeitsalltag übernehmen. Beginnend bei der Recherche sollen beide Kanäle für jede Geschichte mitgedacht werden.

Ein reines Print-Volontariat im Jahr 2016 zu beginnen, halte ich für komplett an der Realität vorbei. Die Gegenwart ist längst digital getrieben. Die Zukunft wird nicht anders sein. Letztendlich kommt es nicht darauf an, auf welchem Kanal man den guten Journalismus vertreibt, sondern dass man ihn für jeden Kanal gerecht erzählen kann.

Das Lokale braucht das Digitale

In den meisten großen Verlagshäusern ist der Umkehrschwung zum Digitalen schon geglückt oder zumindest in vollem Gange, auch bei den Mittelständlern der Branche hat der Kanal-Wechsel eingesetzt. Schwer tun sich die kleinen Verlagen. Aus zwei Gründen: Zum einen sind sie nicht in der Zwangslage: Ihre Abonnenten sind treu und älter, dem Print zugewandt. Und ihnen fehlen die Finanzen, um neben dem Print-Geschäft das Digitale aus dem Boden zu stampfen, eine Online-Redaktion aufzubauen. Während viele mittelständische Verlage die noch vorhandenen Gewinne aus dem Print-Geschäft jetzt reinvestieren – und zwar in die digitale Zukunft – sitzen viele kleinere Verlage den Modernisierungsdruck aus. Ein paar Jahre geht das womöglich noch gut. Aber warum nicht jetzt das Herz – und das Geld (so lange noch vorhanden) – in die Hand nehmen und eine Zukunft schaffen – für die Leser und für den journalistischen Nachwuchs. Und die einen wie die anderen sind sowohl digital als auch lokal unterwegs.

Lokal ist Trumpf

Den Einstieg im Journalismus über das Lokale zu wählen, halte ich für optimal. Womöglich nur, weil es meinem eigenen Werdegang entspricht. Als Studentin habe ich an den Wochenenden für die Münstersche Zeitung geschrieben. Nie werde ich meinen allerersten Termin vergessen: Sonntagmorgens, 10 Uhr, eine Versammlung eines Karnevalskorps. Ich stand vor bierbäuchigen Männern in blau-weißer Uniform und wusste nicht, was ich hier mit Block und Kamera (Film noch von Hand entwickelt) anfangen sollte. Geschadet hat mir dieses „nah dran am Leser“ nicht. Im Gegenteil. Ich habe meine Studentenstadt sehr gut kennengelernt. Auch Hamburg hätte ich ohne mein Volontariat bei der Hamburger Morgenpost nie von so vielen Seiten erlebt.

Dabei wollte ich – wie wohl sehr viele junge Journalisten – nach dem Studium an eine Journalistenschule und dort das Handwerkszeug lernen. Natürlich lernt man auch dort, wie in jeder Politik-Redaktion, in jedem Wissenschafts-Ressort oder bei einem Magazin. Aber das Lokale ist die Basis für vieles, was im Redakteursleben auf einen zukommt und somit darf man seine Lehrjahre dort nicht unterschätzen – egal ob in Aurich, Köln oder München.

Altersarmut und Audioslideshows

In der Lokalredaktion lernt man die gesamte Bandbreite der Formen – von der Meldung über den Kommentar bis hin zur Reportage. Recherchieren und redigieren sollte ebenso Teil der Ausbildung sein wie in der Online-Redaktion das Verfassen von schnellen Meldungen und das Schreiben eines Newstickers. Und während in einer Printredaktion das Blattmachen zumindest mal erklärt worden sein sollte, ist es in der Online-Redaktion ebenso wichtig, dass ein Volontär die Homepage mal fahren darf, erklären kann, warum Texte SEO-gerecht aufbereitet werden müssen und wie ein Video geschnitten wird.

Die meisten Volontäre haben sich in den vergangenen Jahren als extrem online-affin erwiesen. Alle konnten sich in der Online-Redaktion ein eigenes Projekt suchen. Daraus entstand beispielsweise die heute als feste Rubrik institutionalisierte Kolumne „Stadtkind“, die sich um alles dreht, was 25- bis 35-Jährige bewegt. Momentan sitzt ein Kollege an Audioslideshows von Stuttgartern, um der Stadt jenseits aller Politiker und Fußballspieler ein Gesicht zu geben. Und die Kollegin, die erst so zögerlich ihre Zeit in der Digital Unit beäugte, sitzt an einer datenbasierten Recherche über Altersarmut. Das ist sehr viel besser als mit angetrunkenen Westfalen am Sonntagmorgen über Sinn und Zweck des Karnevals zu diskutieren.


In der kommenden Woche schreiben an dieser Stelle Marianna Deinyan und Christian Fahrenbach zur Diversity in der Journalistenausbildung. Woran liegt es, dass kulturelle Vielfalt in Redaktionen die Ausnahme ist? Welche Folgen hat das? Und wie sollten Ausbilder dieses Problem angehen?