Alles unter Kontrolle?
Der Fußballprofi Philipp Lahm muss im November 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 25.000 Euro zahlen, weil er der „Süddeutschen Zeitung“ ein kritisches Interview gegeben hat – an der Pressestelle seines Klubs, des FC Bayern München, vorbei. Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff und die Medienabteilung des Deutschen Fußball-Bundes ziehen ein Interview, das der „Zeit“-Journalist Steffen Dobbert während der WM 2010 mit Bierhoff geführt hat, komplett zurück – mit der Begründung, es hätte inhaltlich und sprachlich zu viel geändert werden müssen. Die Journalisten Erik Eggers und Mike Glindmeier erhalten (zunächst) keine Akkreditierung für die Handball-WM 2009 in Kroatien – offenkundig, weil sie zuvor zu kritisch über den Weltverbands-Präsidenten Hassan Moustafa berichtet haben.
Warum das Bild stimmen muss
Drei Beispiele, die bei allen Unterschieden eines gemeinsam haben: Sie illustrieren, wie groß das Bestreben des Sports ist, über sein Bild in den Medien zu wachen und es mitunter in seinem Sinne zu gestalten. Nicht immer. Und gewiss auch nicht in allen Sportarten gleichermaßen. Aber doch immer öfter. Und dann mit erheblichen Folgen für die Arbeit der Journalisten und damit auch die Wahrnehmung des Sports in der Öffentlichkeit.
Was in der Politik oder in der Wirtschaft zum Alltag gehört, ist längst auch in diesem Ressort angekommen. In Folge der ungeheuer gewachsenen Popularität des Sports und seiner gleichzeitigen Ökonomisierung ist die Berichterstattung zunehmend Zwängen unterworfen, die Sportjournalisten lange nicht kannten. Sport, das bedeutete immer auch Nähe. Die sich im schlechteren Fall in anbiedernder Kumpelei äußerte. Im besseren aber in einem ungezwungenen Verhältnis, in dem Akteure und Journalisten ein offenes Wort pflegten und so das transportierten, was den Sport als Medieninhalt so reizvoll macht: Emotionalität, Authentizität, Menschlichkeit.
Inzwischen ist der Sportjournalismus auf dem Weg, vieles von dieser Freiheit zu verlieren. An die Stars der Branche ist nur noch schwer heranzukommen. Darüber hinaus wachen PR-Agenten und Presseabteilungen oft über jedes Wort. An die Öffentlichkeit sollen am besten nur Aussagen gelangen, die nicht stören: Nicht den Betriebsfrieden und schon gar nicht das Hochglanzbild von heroischen Leistungen und großen Gefühlen, das der Sport so gern nach außen präsentiert. Und das sich für ihn finanziell auszahlt, sei es durch Werbeeinnahmen oder den Verkauf von Übertragungslizenzen.
Wie weit das Kontrollstreben geht
Die Liste der Kontrollmechanismen, die zusehends länger wird, lässt sich zusammenfassen unter den Punkten Zugangskontrolle, Kommunikation in Kanälen, Zitatkontrolle, Kommunikationsregeln und Agenda Setting durch die Akteure.
Zugangskontrolle
Dass der Sport versucht, den Zugang zu den Akteuren einzuschränken oder zumindest zu reglementieren, hat zunächst einen ganz profanen Grund. Es geht darum, den Zeitaufwand für Medienarbeit im Rahmen zu halten.
Zugangskontrolle äußert sich aber auch noch in anderer Form. So unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen und Zugangsmöglichkeiten für Journalisten danach, ob sie zu den Rechte- oder Lizenzinhabern gehören oder nicht. Bei Spielen der Fußball-Bundesliga etwa werden die übertragenden TV-Sender weit schneller und umfassender bedient als etwa schreibende Reporter. Und für die klub- bzw. verbandseigenen Medien öffnet sich ohnehin manche Tür, die anderen verschlossen bleibt. Auch wenn diese Hierarchien bislang noch nicht ausgereizt werden, ist es absehbar, dass hier eine Mehr-Klassen-Gesellschaft innerhalb des Sportjournalismus entsteht.
Im äußersten Fall kann die Zugangskontrolle, wie angedeutet, noch weiter gehen: bis hin zur Verweigerung der Akkreditierung als Konsequenz etwa für unliebsame Berichterstattung.
Kommunikation in Kanälen
Der Versuch, die Kommunikation in Kanäle zu lenken, ist mittlerweile bei praktisch jeder Sportveranstaltung zu beobachten. Mixed Zone und Pressekonferenz sind die institutionalisierten (und mitunter ritualisierten) Gelegenheiten zur Kontaktaufnahme zwischen Journalisten und Athleten. Reporter, die zum Beispiel die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bis in die neunziger Jahren bei großen Turnieren begleiteten, schwärmen noch heute von den Arbeitsmöglichkeiten, die sie damals hatten. Spieler und Trainer waren beinahe Tag und Nacht „greifbar“, auch weil lange üblich war, dass Mannschaft und Journalisten im selben Hotel wohnten. Heute wäre so etwas undenkbar. Der Kontakt beschränkt sich weitestgehend auf die von der Medienabteilung des DFB vorgegebenen Kanäle.
Die Pressestellen argumentieren, dass die Schaffung dieser Kanäle eine Serviceleistung sei. Zugleich aber werden sie in vielen Fällen auch den positiven Nebeneffekt sehen, dass eine kanalisierte Kommunikation leichter zu kontrollieren ist als eine offene.
Zitatkontrolle
Die Zitatkontrolle betrifft bislang vor allem Wortlautinterviews. Hier hat sich auch im Sport längst die Forderung nach Autorisierung durchgesetzt. Und nicht immer geht es dabei nur um Kleinigkeiten wie geglättete Formulierungen oder sachliche Richtigstellungen. Es gibt genügend Beispiele von Interviews, die an den Schreibtischen der Pressestellen oder Berater regelrecht umgeschrieben worden sind. Wie ein extremer Fall von Einflussnahme aussehen kann, den so oder so ähnlich wohl jede Redaktion gelegentlich erlebt, hat die „taz“ für ein Gespräch mit der Fußballspielerin Lira Bajramaj dokumentiert.
Hin und wieder werden Gespräche sogar ganz zurückgezogen. Der Grund besteht dann meist darin, dass die Sportler oder ihre Berater im Nachhinein nicht zufrieden sind mit dem Bild, das das Interview transportiert. So war es auch beim eingangs erwähnten Bierhoff-Beispiel, das vom Journalisten Dobbert ebenfalls ausführlich beschrieben wurde.
Zuletzt deutete sich an, dass die Zitatkontrolle auch in bislang wenig bis kaum reglementierten Bereichen eine wachsende Rolle spielen könnte, etwa bei einzelnen Zitaten, die aus einem (persönlichen) Gespräch in einen journalistischen Text eingebettet werden sollen, oder bei den Gesprächen in den Mixed Zones.
Kommunikationsregeln
In engem Zusammenhang mit der Zitakontrolle stehen (vertraglich) festgeschriebene Kommunikationsregeln für den Kontakt mit Medienvertretern. Im Muster-Lizenzspielervertrag der Deutschen Fußball Liga (DFL) etwa wird, wie der „Kicker“ im September 2010 berichtete, für praktisch jede öffentliche Äußerung zu Klubangelegenheiten eine vorherige Zustimmung verlangt. In eine ähnliche Richtung, die Wahrung der Hoheit über das eigene Bild, gehen auch die Social-Media-Richtlinien, die einige Fußballklubs vorgegeben haben.
Insbesondere im Bereich Social Media gibt es ein weiteres Motiv für eine Reglementierung. So sollen Sportler über ihre individuellen Kanäle keine Inhalte verbreiten, die in Konkurrenz zu den Angeboten der Lizenznehmer, die für ihre Rechte viel Geld bezahlen, treten könnten. Dahin zielen beispielsweise die Richtlinien des Internationalen Olympischen Komitees oder die der amerikanischen Profi-Ligen. In NBA und NFL ist die Handy-Nutzung für eine bestimmte Zeit vor dem Anpfiff bis zu den letzten offiziellen Mediengesprächen nach dem Spiel untersagt.
Agenda Setting durch die Akteure
Sportler, Vereine und Verbände reagieren nicht nur mit Kontrollmaßnahmen auf journalistische Berichterstattung, sie versuchen bisweilen auch aktiv und vorausgreifend, die Berichterstattung in eine von ihnen gewünschte Richtung zu lenken, bestimmte Themen zu lancieren, andere zu verhindern. Solche Agenda-Setting-Ansätze, wie man sie in der Politik oder in der Wirtschaft längst kennt, sind im Sport etwa bei der Auswahl des Personals für Pressekonferenzen oder bei der Verbreitung von Statements oder kompletten Interviews über die hauseigenen Medienkanäle zu beobachten. Auch hier argumentieren die Pressestellen gern mit der Serviceleistung. Zugleich aber haben sie so die Möglichkeit, heikle Themen entweder ganz zu umschiffen oder zumindest weitgehend zu kontrollieren.
Darüber hinaus gibt es auch im Vorfeld von Interviews immer mal wieder den Versuch, das Gespräch an inhaltliche Bedingungen zu knüpfen. Sei es, um unliebsame Themenbereiche von vornherein auszuschließen, oder umgekehrt, um die Berücksichtigung bestimmter Aspekte sicherzustellen, zum Beispiel die Zusammenarbeit mit einem Sponsor.
Welcher Spielraum dem Sportjournalismus bleibt
Wie groß ist das Ausmaß des beschriebenen Kontrollstrebens in der Praxis? Ist der Sportjournalismus schon ein weitgehend kontrollierter Journalismus? Diese Fragen sind nicht pauschal und eindeutig zu beantworten. Manche restriktiv wirkende Maßnahme ist gewiss eher organisatorisch oder logistisch motiviert. Viel hängt auch davon ab, welchen Ausschnitt der Sportwelt man betrachtet. Freiräume jedenfalls gibt es nach wie vor, insbesondere dort, wo der Sport noch nicht zum Spektakel für das Fernsehen geworden ist. Und auch in prominenteren Sportarten lassen sich immer Beispiele für einen souveränen und ungezwungenen Umgang mit den Medien finden.
Zugleich lässt sich jedoch beobachten, dass der Versuch, das mediale Bild zu beeinflussen, zunimmt, und zwar vor allem dort, wo viel Geld im Spiel ist, sei es in Form von Werbeerlösen oder von Übertragungsrechten. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob und inwieweit speziell in den Mediensportarten ein geschlossenes System der Berichterstattung entsteht, in dem einige wenige, die für das Recht zu berichten viel Geld bezahlen oder dem Sport institutionell verbunden sind, exklusive Zugangsmöglichkeiten besitzen, während andere außen vor bleiben.
In letzter Konsequenz könnte diese Entwicklung so weit führen, dass Sport und Journalismus nicht mehr unterschiedliche Systeme darstellen, sondern in dem des Sport-Entertainments aufgehen. Schon jetzt produziert der Sport seine Bilder mitunter selbst. Insbesondere bei Großereignissen wird das Fernsehbild von einem Host Broadcaster zur Verfügung gestellt, der im Auftrag – und damit zu den Bedingungen – der Veranstalter arbeitet. Welche Folgen das haben kann, illustriert beispielhaft der Medien-Eklat bei der Fußball-EM 2008, als die Fernsehzuschauer nichts von den bengalischen Feuern und dem Platzsturm eines Fans während eines Vorrundenspiels sahen, weil die Bildregie, die bei einer Tochterfirma des europäischen Verbandes (Uefa) lag, diese Szenen nicht zeigte. Weit stärker noch geriet die selektive und bisweilen manipulative Regie bei der EM 2012 in den Fokus einer medienethischen Debatte.
Sich den Spin-Doktoren widersetzen
Ein Sportjournalismus, der seinen Namen verdient, darf der (Selbst-) Inszenierung des Sports nicht erliegen. Er muss versuchen, sich weiterhin selbst ein Bild zu machen. Im Fall der hier beschriebenen Kontrollmechanismen bedeutet das eine stete Abwägung: Wie weit kann man sich guten Gewissens darauf einlassen, und wann kommt der Punkt, an dem man sich auch mal den Interessen des Sports und seiner Spin-Doktoren widersetzen muss? Nicht jede Bedingung, nicht jeder Änderungswunsch muss einfach hingenommen werden. Und wenn die Forderungen ein verträgliches Maß überschreiten, bleibt immer noch die Möglichkeit, das öffentlich und transparent zu machen, oder in letzter Konsequenz sogar auf eine Veröffentlichung ganz zu verzichten.
Eine entscheidende Frage jedoch bleibt: ob es überhaupt einen Sportjournalismus gibt, der sich das Beharren auf ein eigenes Bild leisten will und kann. Schließlich ist in dieser Hinsicht eine klare Verschiebung zu beobachten. Während derjenige Journalismus, der dem Sport wirtschaftlich verbunden ist, eine immer stärkere Rolle einnimmt, hat es der institutionell unabhängige Journalismus immer schwerer. Diese Entwicklung ist auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Verschiebungen in der Medienlandschaft mit schwindenden ökonomischen Möglichkeiten beispielsweise im Printsektor zu sehen.
Schreiten diese Tendenzen weiter voran, wird die Nische für einen unabhängigen und kritischen Journalismus insbesondere in den Mediensportarten immer kleiner werden. Für das Publikum könnte das zur Folge haben, dass Realität und Inszenierung kaum noch zu unterscheiden sind.