Auf dem kurzen Dienstweg in den Skandal
Es gibt Medien-Affären, die entpuppten sich als Windeier: Sie werden von Wichtigtuern in die Medienwelt gesetzt, von Journalisten brav nachgeplappert und hinterher von selbst ernannten „Skandalforschern„ mit salbungsvollem Geschwafel unter dem Siegel der Wissenschaftlichkeit abgestempelt. Ein irrer Kreislauf der sich selbst bestätigenden Prophezeiung, der mehrfach zu unnötigen Rücktritten geführt haben soll. Dann gibt es Affären, deren wahres Ausmaß anfangs keiner so recht erkennt, weil sie sich langsam zu entwickeln beginnen und sich ihre ganzen Auswüchse erst im Nachhinein zeigen.
Der ominöse Anruf des CSU-Pressesprechers Michael Strepp beim ZDF und sein anschließender Rücktritt könnten zu letzterer Sorte gehören. Noch jedenfalls ist unklar, wer bei diesem Anruf so alles seine Finger im Spiel hatte. Möglicherweise ist Strepp nur das Bauernopfer, stellvertretend für alle in der CSU, die meinen, sie könnten die öffentlich-rechtlichen Medien für ihre Zwecke instrumentalisieren. Umso klarer ist aber, dass die CSU aus der Wulff-Affäre offenbar nicht viel gelernt hat. Denn außer Wulff ist in letzter Zeit niemand so plump vorgegangen, wenn er einen Bericht über sich oder den politischen Gegner unterbinden wollte. Wenn Politiker Journalisten beeinflussen wollen, und das tun sie regelmäßig, gehen sie etwas subtiler vor: Es wird antichambriert, rapprochiert und souffliert.
Die Manipulationsversuche durch Politikberater, Spin Doctoren, Pressesprecher, PR-Leute und Lobbyisten sind inzwischen derart virtous, dass niemand mehr weiß, wo die Einflussnahme beginnt und die Kollegialität zwischen Journalisten und Politikern endet. Sie reichen vom vertraulichen Kamingespräch in den Hinterzimmern der Politik über mondäne Gala-Dinners und Medienpartys mit Schauspielern, Moderatoren und Medien-Promis – die jährlichen Bertelsmann-Empfänge sind da ein treffendes Beispiel – bis hin zur direkten Vollstreckung von Personalentscheidungen über Rundfunkräte.
Pünktlich zum Jahrestag der „Spiegel“-Affäre
Doch die Causa Strepp trägt auch deshalb das Etikett „Affäre“ zurecht, weil sie beinahe exakt auf den 50. Jahrestag der „Spiegel“-Affäre vor Augen führt, wie die Pressefreiheit heute ungeniert mit Füßen getreten wird, ohne dass es jemand merkt. Ihre Unabhängigkeit, die sich die deutsche Presse Anfang der sechziger Jahre noch mühsam moralisch wie juristisch erkämpft hatte, wird durch solche Versuche der Einflussnahme unterwandert. Übel ist vor allem, dass diese Übergriffigkeiten aufseiten einiger deutscher Politiker offenbar als Normalzustand oder doch zumindest als Kavaliersdelikt betrachtet werden, sonst würde es wohl nicht zu solch ungelenken Annäherungsversuchen kommen. Das ist genau das alte Machthaberdenken wie zu Strauss‘ Zeiten, das wieder durchscheint: Die Politik will eine dienende Presse. Die „Spiegel“-Affäre ist – im negativen Sinn – präsenter als uns lieb sein dürfte.
Dass es Schulterschlüsse zwischen Politikern und Journalisten gibt, ist natürlich ein alter Hut, das hat es schon immer gegeben – ob zu Adenauer-Zeiten, in der Ära Kohl oder unter dem Regiment des Medienkanzlers Schröders. Und natürlich gibt es sie auch in der Merkel-Republik, vielleicht weniger bräsig und naiv, aber doch täglich. Und dass sich die Distanz zwischen Medien und Politik verringert, je näher die Journalisten am Geschehen dran sind – geschenkt. Darauf stützt sich ja auch die Erkenntnis, dass es Lokaljournalisten besonders schwer haben, ihre Unabhängigkeit zum Ortsvorsteher oder Gemeinderatsvorsitzenden zu wahren. Das ist allerdings nicht nur im CSU-geführten Bayern so, das Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zugespitzt als „Entwicklungsland der Pressefreiheit“ verspottet hat. Selbst der großspurige Berliner Medienbetrieb, der immer mal wieder viel heiße Luft produziert, leidet so gesehen auf dem Politiker-Laufsteg in Mitte auch unter seiner Gastronomiedichte, die genau dieser provinziellen Nähe Vorschub leistet. Und das ist das eigentliche Problem.
Denn das Klönen auf Stehempfängen und die sprichwörtliche „Duzkumpelsaufnähe“, wie sie inzwischen auch von vielen Hauptstadtkorrespondenten geschmäht wird, hat längst Methode und Kalkül. Der Versuch eines Pressesprechers, wie in diesem Falle direkt zum Hörer zu greifen, um in den Medienbetrieb einzugreifen, ist eigentlich nur die Ausgeburt eines Mentalitätswandels, der sich schon seit Ausrufung der Berliner Medienrepublik allmählich vollzieht, wonach die politische und mediale Sphäre verschmelzen. Aus den Augen verlieren darf man in dieser gut geölten Skandalisierungsmaschinerie und der beinahe wöchentlichen Forderungen nach politischen Rücktritten im Rennen um die bevorstehende Bundestagswahl daher nicht die Rolle der Medien selbst: Denn dass die Unabhängigkeit des Journalismus missachtet wird, ist als Folge unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems zu werten. Gerade das ZDF galt in letzter Zeit nicht unbedingt als Sturmgeschütz der Demokratie – wofür weniger die ZDF-Mitarbeiter etwas können als die politischen Hardliner im ZDF-Verwaltungsrat.
Welche Lehren zog das ZDF?
Wenn wir uns an das drei Jahre zurückliegende Debakel um den geschassten Chefredakteur Nikolaus Brender erinnern, das ein gewisser Roland Koch angezettelt hatte, bleibt die Frage, welche Lehren eigentlich das ZDF aus dem Fall Brender gezogen hat, wenn schon die CSU offenbar nichts aus der Wulff-Affäre gelernt hat. Auch damals ging es um eine Kraftmeierei, wer in diesem System der politischen Kungeleien letztlich das Sagen hat. Um solche Ränkespielchen künftig zu verhindern, wurde damals noch gefordert, dass weder amtierende Regierungsvertreter noch Parteifunktionäre mehr Zutritt zu den Gremien haben. Stattdessen sollten Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen gewählt werden.
Zur Läuterung aller hat diese Debatte, wie es scheint, offenbar nicht geführt. Gerade deshalb muss unsere Gesellschaft in Zukunft aber eine Mitsprache der Parteienvertreter in den öffentlich-rechtlichen Medien kategorisch ausschließen können – sowohl von solchen, die in den Räten sitzen, aber auch von denen, die sich der „kurzen Dienstwege“ in die Chefredaktionen befleißigen.
In einem aktuellen Kommentar auf VOCER beschreibt Klaus Liedtke, wie die „Spiegel“-Affäre der Demokratie einen Schub gab. Dass es dabei auch um Pressefreiheit ging, sei ein glücklicher Zufall für den Journalismus gewesen. Man mag es auch diesmal für Zufall oder eben Schicksal halten, dass ausgerechnet die „Spiegel“-Affäre morgen vor genau 50 Jahren ihren Lauf nahm. Die ZDF-Affäre wird der CSU jedenfalls noch länger anhängen und auch, dass Horst Seehfoer in derselben Woche auf den Münchener Medientagen 2012 seinen Eröffnungsvortrag, ausgerechnet, über Pressefreiheit gehalten hat. Die „Stunde Null“ der Pressefreiheit ist in dieser ereignisreichen Woche zur Nullnummer mutiert.