Aus dem Papierkorb der guten Ideen: die Stiftung Medientest
Man möge doch eine „Institution laufender Bestandsaufnahmen der Medienentwicklung“ unter dem Namen „Stiftung Medientest“ gründen. So inhaltlich vorsichtig und sprachlich blass liest man es im „Bericht zur Lage des Fernsehens“, den die Mahrenholz-Kommission 1995 dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vorgelegt hat. Der Vorschlag war schon in der Kommission umstritten. Sein größter Befürworter war nach meiner Erinnerung Wolfgang Hoffmann-Riem, später Richter am Bundesverfassungsgericht. Sein größter Gegner: Ernst-Joachim Mestmäcker, später Vorsitzender der KEK.
Doch immerhin: Man hat sich am Ende verglichen. Weniger vorsichtig ging die Kritik an diesem Vorschlag zu Werk. Sie überschlug sich regelrecht im Hauen und Stechen. Sie malte das Monster einer Bundesgeschmackskammer an die Wand, die gottähnlich dekretieren werde, was ins Töpfchen und was ins Kröpfchen gehört. Sie raunte von einem Bastard aus Zensur und Materialprüfungsamt. Sie höhnte, Fernsehprogramme seien ja wohl kaum Kühlschränke. Und sie erinnerte daran, nicht völlig frei von Heuchelei, dass es Programmkritik im Übermaß schon gebe. Schließlich würden sich hunderte von Rundfunkräten um die Qualitätsfrage kümmern.
Diese Art von Kritik hat, rational bemäntelt, Ängste aufgerufen, mit denen man nicht nur in Deutschland die besten Ideen umbringen kann. Eine womöglich staatliches Gremium, das über Inhalte richtet? Hatten wir das nicht schon mal? Geschmacksdiktate – das hat uns gerade noch gefehlt! Noch eine Kontrollkongregation – wer braucht das denn wirklich? Im Lichte solcher Fehldeutungen ist der Kern des Vorschlags nie ernsthaft geprüft worden. Dabei war der sehr gesund. Angesichts einer sichtbar anschwellenden Programm-Menge lag es nahe, einen neuen Ort für Programmkritik und Programmübersicht zu finden, hoch und tief genug für dieses Quantum. Einen Ort, an dem die Debatte über TV-Qualität wirklich auf ihren vier Beinen stehen könnte: auf Unabhängigkeit und Unbefangenheit, Kompetenz und Kontinuität. Einen Ort auch, an dem alles an Informationen und Material über Programm zusammenläuft, nach Art eines auf Dauer gestellten Medienzensus. Vor allem aber: ein sicherer Platz für ein Geschäft, das nicht alleine leben kann, sondern eine kräftige institutionelle Stützung braucht.
Die Leerstelle ist um ein paar Spielfelder größer geworden
Was dem Vorschlag einer Stiftung Medientest damals entgegenschlug, war in Wahrheit ein tiefes Misstrauen gegen jedwede Art von Medienregulierung, verbunden mit der Überzeugung, dass der Markt noch immer der beste Regulierer ist. In einer Welt, in der alle Zeichen auf Deregulierung standen, kam ein solcher Vorschlag zur Unzeit.
Inzwischen wissen wir, dass der Markt nicht nur nicht alles richtet, sondern vieles einfach hinrichtet. Zum Beispiel quotenarme Nachrichtensendungen. Wir wissen, dass der Markt sich Wichtiges versagt. Man nennt das dann Marktversagen. Wir wissen – ein Blick auf das Bank(un)wesen reicht, dass Regulierung einen Kontrollwahn befriedigt, sondern im Zweifel das Schlimmste verhindert. Vor allem wissen wir nach über 20 Jahren privatem Rundfunk in Deutschland, dass Fernsehen nicht nur das pure, hehre Kulturgut ist, sondern tatsächlich eine Ware, allerdings von höchst unterschiedlicher Qualität. Eine Ware, die man nicht nur kaufen und verkaufen und bei der man sich verspekulieren kann, sondern eine Ware, die der Kunde in den überquellenden Medienregalen auch finden muss. Und schließlich glaubt heute auch niemand mehr, dass Rundfunkräte in der Lage sind, eine umfassende Qualitätsdebatte zu führen. Die findet schon deshalb kaum noch statt, weil das Hauptkriterium dieser Debatte längst Quote heißt.
Die guten Gründe für eine Stiftung Medientest haben sich nach bald zwei Jahrzehnten keineswegs überlebt. Die Leerstelle, die damals gefüllt werden sollte, ist inzwischen um ein paar Spielfelder größer geworden. Zugleich ist die Qualitätsdebatte seither noch weiter marginalisiert worden, dem dümmsten aller Argumente, dass nämlich niemand wisse, was Qualität ist. So als würden zum Beispiel bei Juryentscheidungen nur Finger in die Luft gehalten.
Der Marsch zur gefühlten Mitte ist in vollem Gange
Alle diese Gründe und Tendenzen sprechen dafür, sich endlich ernsthaft mit einer Stiftung Medientest zu befassen. Manches deutet darauf hin, dass inzwischen das Programm selbst in einer Krise steckt. Es gibt, immer wieder weggeredet, immer wieder belegbar: das Problem der Konvergenz. Die Einzelprogramme werden sich immer ähnlicher, ob sie öffentlich-rechtlicher Herkunft sind oder aus dem Geist des Marktes entstehen. Ja, ich weiß, nicht alle, aber immer mehr. Der Mainstream mahlt die Kanten ab. Der Marsch der Redakteure und Producer zur gefühlten Mitte des Publikums ist in vollem Gange. Die Macher stolpern bei diesem Volkslauf regelrecht übereinander.
Ihre großen Tugenden sind nicht so sehr die Liebe zum Publikum oder der Mut zum Stoff, sondern der Rückzug in die Routine und das Vermeiden von Konflikten. Vor allem aber geht es um das den Morgen danach. Um die Zahlen der GfK. Nur die Quote zählt. Nur die Quote schafft Lob. Nur die Quote schafft neue Aufträge. Sie schlägt und erschlägt jeden Einwand. Sie ersetzt den Diskurs über Qualität. Qualität ist vage und weich. Die Quote ist eine harte Währung. Qualität ist relativ. Die Quote ist und herrscht absolut.
Angesichts dieser Lage erscheint es unabweisbar, dass über die jeweils aktuell sichtbaren Leistungen des Fernsehens, über sein Personal, über seine Stärken und über seine Schwächen, eine Diskussion mit einem umfassenden Anspruch geführt werden muss. Nicht von solchen freilich, die verwickelt und befangen sind und im Schönreden über eine lange Erfahrung verfügen. Sondern aus der Perspektive des unabhängigen Dritten.
Die meisten Branchendienste triefen von Befangenheit. Die Verwechslung von Public Value mit Public Relations ist längst kein Versehen mehr. Die Medienkongresse haben sich zu einer Mischung aus Hochämtern für den Standort und einem Public Viewing von Prominenz aller Art ausgewachsen. Inhaltskritik wird ausgelagert – wie in Köln die Cologne Conference – oder randständig. Die beiden großen Kirchen, deren medienkritische Publikationen lange Leuchttürme waren, reduzieren ihr Engagement Jahr für Jahr mehr. Die Medienseiten in den großen Zeitungen schöpfen personell aus dem Leeren. Wo also hat eine Kritik, die diesen Namen verdient, ihren sicheren Ort? Wer zwingt das Leitmedium Fernsehen nachhaltig in die Nachdenklichkeit?
Suppe ohne Haare gibt es nicht
Gewiss, ein Leitmedium, dem diese Kritik erspart bleibt, lebt auch ohne sie weiter. Doch es wird unmerklich anämisch. Es leidet an Unterforderung. Ohne den Widerstand des Argumentes wird es implodieren. Geräuschlos wegdämmern. Und bis dahin PR im eigenen Programm machen und den Audience Flow optimieren. Nur wofür? Das Fernsehen braucht ein kräftiges, unabhängiges Gegenüber. Die Räte sind es nicht. Es braucht nicht nur den Anreiz der großen Zahl. Es braucht den ständigen Reiz der Kritik.
Und damit niemand glaubt, es handele sich hier um eine Obsession – diese Leerstelle muss keineswegs mit einer Stiftung Medientest gefüllt werden. Jede bessere Idee wäre willkommen. Doch es ist keine in Sicht. Und das Loch wird mittlerweile immer größer. Das sollte – kein Konzept ist makellos! – endlich auch die Bedenkenträger überzeugen, die schon deshalb in jeder Suppe ein Haar finden, weil es Suppe ohne Haare nicht gibt. Natürlich bleiben viele Fragen zu Details. Aber keine Alternativen zur Sache selbst. Und die hat es jeden Tag mit mehr bewegten Bildern zu tun, seit TV-Veranstalter sich keine Nachrichtensendung mehr ohne Netzauftritt vorstellen können und ohne Gespür für Balancen in die Domäne der Zeitungen einreiten.
Ein solcher Versuch sollte, nach einem abgebrochenen Anlauf vor drei Jahren noch einmal gewagt werden. ARD und ZDF wollten so etwas damals nicht haben; und ohne sie geht es nicht. Dabei würde es ihnen vor allem helfen.
Wo ein Wille ist, da ist auch Geld
Lange genug war die wichtigste Frage, wer den ersten Stein wirft. Jetzt heißt sie: Wer macht den ersten Schritt? Auch wenn es dann einige gewichtige Probleme zu beachten gibt: in diesem Fall wohl doch der Staat. Nur er ist stark genug Einwände aufzulösen, Lobbyismus zu ignorieren, Interessen zu bündeln. Er muss es ja nicht selbst sein. Er kann sich Einrichtungen schaffen oder sich vorhandener Einrichtungen bedienen, die – wir reden ja vom (Be-)Reich der Inhalte! – verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Es gibt das Grimme-Institut in Marl. Es gibt das Bredow-Institut in Hamburg. Es gibt die Akademie der Künste in Berlin. Und ganz in der Nähe das Deutsche Fernsehmuseum. Bei allen könnte man eine Stiftung Medientest anbauen.
Was natürlich Geld kostet. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Geld. Noch vor zehn Jahren gab es keinen Filmfonds des Kulturstaatsministers. Jetzt gibt es ihn. Er ist nachweislich nicht vom Himmel gefallen. Vom Himmel fällt nichts. Und alle sind voll des Lobes. Muss man da wirklich die leidige Geldfrage stellen? Auch in den zwei Prozent der Rundfunkgebühren, die die Landesmedienanstalten erhalten, wäre Luft genug. Es werden demnächst Sponsorenmittel frei. Vielleicht ließen sich auch einige Fernsehpreise in diese Stiftung integrieren. Das würde das Dilemma einer Preisüberdüngung der deutschen Medienlandschaft gleich mit erledigen.
Deutschland ist reif genug – und reich genug – für eine Stiftung Medientest. Die praktischen Fragen sind lösbar. Juroren müssen heute nicht mehr tagelang in dunklen Räumen sitzen und Augen im 16:9-Format bekommen. Das Transportieren des Materials und das Kommunizieren der Urteile gehen im Netz mühelos und nahezu gratis. Man muss den Kreis von Experten auch nicht künstlich klein halten. Man kann ein Schwarzes Brett m Netz einrichten für Hinweise von Nutzern. Und dann braucht man eben eine knappe Hand voll Menschen, die das alles am Laufen halten. Die das organisieren. Die wird man finden. Die größten Kritiker der Elche werden notfalls selber welche. Scheitern kann ein solches Vorhaben nur am fehlenden politischen Willen. Gelingen wird es daher nur, wenn sich einige aus der politischen Klasse etwas trauen. Sie kriegen daür übrigens auch etwas zurück. Denn gutes Fernsehen ist auch gut für gute Politik.