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Aus unseren Kreisen

Was treibt den Medienkritiker um? Welche journalistischen Ideale verfolgt er? Warum tut er sich die Konfrontation mit der eigenen Branche an? Wie wahrt er eigentlich seine Unabhängigkeit? Leiden Kritiker in Wahrheit unter einem masochistischen Zwangsverhalten? Und ist es in der Psyche eines Medienjournalisten mit angelegt, zornig gegenüber seinesgleichen zu sein?

Vieles, was über Medienjournalisten gesagt und gedacht wird, sind Vorurteile. Fakt ist jedoch, dass es bislang keine spezifische Ausbildung für Journalisten gibt, die sich ausschließlich mit Medienthemen befassen. Allenfalls finden sich in Deutschland weit verstreut einige Seminarangebote, wie etwa der alljährliche Workshop „Über Medien informieren und schreiben“ der Adolf Grimme Akademie.

Die Kommunikationswissenschaftler Udo Michael Krüger und Karl H. Müller-Sachse sprechen in ihrem viel zitierten Standardwerk Medienjournalismus. Strukturen, Themen, Spannungsfelder“ von 1999 gar von einer „marginalen Professionalisierung“ des deutschen Medienjournalismus. Aber nur weil es hierzulande keine grundständige Ausbildung zum Medienkritik gibt, heißt das noch längst nicht, dass der Medienjournalismus minderwertig sein muss.

Im Gegenteil sind die Möglichkeiten, sich in dieser Nische zu spezialisieren, ziemlich groß – ähnlich groß, wie die Typen-Vielfalt derjenigen Journalisten, die sich regelmäßig mit Medienthemen befassen, angetrieben von ganz unterschiedlichen Motiven, ausgestattet mit unterschiedlichen Kompetenzen und konfrontiert mit unterschiedlichen Problemen.

Der Allrounder

Er arbeitet in der Regel als freier Journalist oder ist als Redakteur im Medienressort einer Tageszeitung oder eines Magazins angestellt. Er hat zwar bestimmte Schwerpunkte, doch die inhaltliche Bandbreite der Berichte, die er selber erstellt oder redigiert, ist groß. Ist heute die Vorstellung einer neuen Zeitschrift für Frauen das Thema, kann es morgen um das Porträt eines TV-Moderators und übermorgen um die Debatte über Google Street View gehen. Relevant ist, was die interessierte Öffentlichkeit im bunten Medienkosmos interessieren könnte oder sollte.

Mit anderen Worten: Themen, die großes Detailwissen voraussetzen, werden in der Regel ausgeblendet. Nicht, weil sie den Allrounder überforderten, sondern weil die Leser oder Zuschauer viele Details mit großer Wahrscheinlichkeit nicht interessieren. Die großen Linien, die bekannten Gesichter, die Frauen und Männer an der Spitze sind von Interesse. Das Klein-Klein im Inneren von Medienkonzernen ist meistens nur für das Fachpublikum spannend – wenn überhaupt.

Die Allrounder, die für eine klassische Medienseite oder Mediensendung arbeiten, neigen in der Regel eher der Kulturkritik zu und weniger den wirtschaftlichen Aspekten der Medienbranche. Dafür sind Kollegen im Wirtschaftsressort zuständig. Mit ihnen werden in der Regel Themen abgestimmt.

Der Fachredakteur

Er kennt die Medienbranche vor allem über deren Akteure, mit denen er täglich am Telefon und persönlich auf Kongressen und Veranstaltungen zu tun hat. Er ist firm im Jargon: Begriffe wie Grosso (das System, nach dem der Vertrieb von gedruckten Zeitungen und Zeitschriften an den Einzelhandel funktioniert), TKP (Tausenderkontaktpreis, eine Abrechnungseinheit für Werbung) und Page Impression (die Häufigkeit des Aufrufs einer bestimmten Internetseite) kennt er in- und auswendig. Gelegentlich führt seine Positionierung dazu, dass Beiträge zu stark in der Fachsprache verhaftet sind und sehr viel Wissen um die Mechanismen der Medienwirtschaft voraussetzen. Für Außenstehende entsteht darum leicht der Eindruck, dass die Akteure der Medienbranche sich in einem sorgfältig abgezirkelten Umfeld bewegen, das nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Was so verkehrt nicht ist.

Der Fachredakteur hat üblicherweise bereits über ein Volontariat bei einem Spezialmedium seinen Weg eingeschlagen. Viele Branchenjournalisten haben ihren ersten Karriereschritt bei Publikationen wie „Horizont“, „werben & verkaufen“, „kressreport“ oder „text intern“ getan. Auch im Medienjournalismus kann es komplex werden, wenn es beispielsweise um Werbewirkung und deren Messung geht oder um das Dickicht der Medien- und Kommunikationspolitik. Hier ist absolutes Detailwissen gefragt. Ein direkter Zugang zu Entscheidungsträgern ist zudem essentiell, um Einschätzungen und Prognosen in die Berichterstattung einfließen lassen zu können. Mit einem renommierten Fachmedium im Rücken fällt es bedeutend leichter, diese Zugänge herzustellen.

Quereinsteiger können selbstverständlich auch zu Fachjournalisten werden, eingehende Beschäftigung mit der Branche vorausgesetzt. Erfahrungsgemäß nehmen sich „fachfremde“ Journalisten, die sich auch mal um ein Medienthema kümmern, eher der Recherche und Aufbereitung zugänglicher Themen an, die Bedeutung für ein breites Publikum haben – beispielsweise die Bedeutung sozialer Netzwerke wie Facebook oder die Zukunft von TV-Talkshows, um nur zwei beliebte Themen zu nennen.

Der Wirtschaftsexperte

Er berichtet als Medienexperte im Wirtschaftsressort oder als Fachjournalist über Unternehmen und Manager, die in der Branche eine relevante Rolle spielen oder aktuell für Sprengstoff sorgen. Er verfügt darum über solide bis sehr gute Kenntnisse über Wirtschaft und sollte Bilanzen lesen und verstehen können. Wichtige Personalien, die Analyse von Strategien, Börsengängen, Fusionen, Verkäufen – all das gehört zum Tagesgeschäft.

Klassische Themen sind beispielsweise die Entwicklung des Bezahlfernsehens in Deutschland oder die Debatte um das Für und Wider der Lockerung der Pressefusionskontrolle. Hier spielen fast ausschließlich wirtschaftliche und politische Erwägungen eine Rolle. Zwingend notwendig ist der enge Kontakt zu Insidern in den Unternehmen, aber auch zu Unternehmensberatern und Analysten.

Im Wirtschaftsressort verortet ist oft auch die Berichterstattung über die Werbebranche, Mediaagenturen und die Entwicklung der Werbeumsätze. Allein dieses Thema kann einen Medienjournalisten auf Trab halten. Werber und Mediaplaner bedienen sich jeweils eigener, ganz spezifischer Fachausdrücke und Codes, die man verstehen muss, um nur ansatzweise über Entwicklungen berichten zu können.

Für Wirtschaftsjournalisten ist es noch am ehesten möglich, sich „nachträglich“ auf das Feld der Medien zu spezialisieren. Wirtschaftliche Kennzahlen sind universell. Es ist darüber hinaus für jeden Medienjournalisten wünschenswert, zumindest Grundkenntnisse in Betriebswirtschaftslehre mitzubringen. Eine Fortbildung von einigen Tagen, wie sie eine Reihe von Journalistenakademien anbieten, kann schon sehr hilfreich sein, um bei einer Bilanzpressekonferenz Schwachpunkte in der Entwicklung eines Unternehmens zu entdecken und entsprechend die richtigen Fragen zu stellen.

Der Kritiker

Ein Kritiker in Reinform beurteilt in erster Linie die fertigen Produkte des Medienbetriebs: TV-Serien, Shows und Spielfilme, Zeitschriften und Zeitungen, Angebote im Web, Hörspiele. Der absolute Schwerpunkt der Medienkritik in Deutschland liegt in der Beobachtung, aufmerksamen Begleitung und kenntnisreichen Kommentierung des Fernsehprogramms. In der Regel arbeitet ein Kritiker im oder für das Kulturressort eines Mediums oder für einen Fachdienst wie „epd medien“.

Es ist allerdings nicht damit getan, „eine Meinung“ als Kritiker zu haben. Auch vom Fußball glauben viele Millionen Menschen in Deutschland eine Ahnung zu haben, doch Bundestrainer werden sie nie. Analog zeichnet einen guten Kritiker Sachverstand aus. Er muss wissen, was ein gutes Drehbuch ausmacht und wie man ein solches überhaupt erkennt. Er muss wissen, wie Produktionsfirmen arbeiten, wie Regisseure ticken, unter welchen Bedingungen sie arbeiten und wie die Sender als Auftraggeber intern arbeiten. Nicht zuletzt hält er Kontakt zu Schauspielern. Mit Promi-Berichterstattung hat das nicht viel zu tun. Wie ein professioneller Casting-Agent, der die richtigen Schauspieler für Produktionen besetzt, muss auch ein Kritiker arbeiten.

Wenn sie pointierte Meinungen vertreten und substantiell über das Gewerbe schreiben oder reden können, sind Kritiker gut im Geschäft. Nicht selten werden sie von TV- und Radiosendern angefragt, ihre Einschätzung zu einer neuen Show öffentlich zu verbreiten. Wenig wird mehr bei Medienschaffenden und ihrem Publikum geliebt als ein schöner Verriss. Aber Achtung: Wer sich einen Ruf als gnadenloser Kritiker erarbeiten will, darf nicht pauschal alles mies finden. Es gilt auch, sich in der Branche Respekt zu verschaffen, und dies geht nur über den Ausweis von Expertise.

Zum Job gehört es naturgemäß, sehr viel Zeit mit dem tatsächlichen Konsum von Medien zu verbringen – Filme anzuschauen, Zeitschriften zu lesen, vielleicht Drehbücher zu studieren oder Hörspielen zu lauschen. Was für andere Zeitvertreib und Entspannung ist, bleibt für den Kritiker Arbeit. Als Kritiker kann man selbstverständlich auch ganz ausführliche Medienkritik betreiben und zu Essays oder Bücher verarbeiten, die dann „Dummgeglotzt – Wie das Fernsehen uns verblödet“ (Alexander Kissler) oder „Seichtgebiete – Warum wir hemmungslos verblöden“ (Michael Jürgs) heißen können. Zu dieser Spezies gehören auch Essayisten, die im echten Leben Medienprofessoren oder Kommunikationsforscher sind und sich eher gelegentlich zu Medienthemen äußern – siehe unten.

Der Regulierer

Der Experte für Medienpolitik hat nicht unbedingt das populärste, dafür aber eines der wirklich relevanten Felder zu bestellen. Denn er berichtet über die politisch gesetzten Rahmenbedingungen, zu denen Medien in Deutschland gemacht werden. Grundsätzlich gilt zwar Artikel 5 des Grundgesetzes, der jeder Person das Recht zugesteht, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“. Doch auch ein Grundpfeiler der Demokratie wie die Pressefreiheit muss durch Gesetzgebung und Institutionen geregelt werden.

Relevante Themen, mit denen sich auf Medien- und Kommunikationspolitik spezialisierte Journalisten regelmäßig auseinandersetzen müssen, sind beispielsweise die Zukunft des dualen Systems von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksendern in Deutschland, die Ausgestaltung der Rundfunkstaatsverträge im digitalen Zeitalter, die Frage nach den Rundfunkgebühren, die Debatte um Werbeverbote, Jugendschutz, Datensicherheit, die Pressefusionskontrolle und die Kontroverse um die Einführung von Leistungsschutzrechten im Internet.

Um das Themenspektrum im Griff zu haben, sind nicht nur Kontakte zu den Lobbyisten der jeweiligen Unternehmen, Anstalten und Verbänden zu knüpfen, sondern auch in die Politik hinein. Jede der großen Parteien in Deutschland hat medienpolitische Experten in ihren Reihen, die sich gern und oft zu strittigen Fragen äußern. Während Medienpolitik in Publikumstiteln in erster Linie die Berichterstattung über das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem und den Dauerbrenner Gebühren bedeutet, wird die ganze Bandbreite relevanter Debatten in einigen Fachtiteln aufgegriffen.

Der Technikversteher

Mit dem Siegeszug des Internets spielt Technik im Medienjournalismus mittlerweile eine viel größere Rolle als noch vor etwa zehn Jahren. Sicherlich sind technische Entwicklungen auch für die Zukunft des Fernsehens immer ein wichtiges Thema gewesen, man denke nur an die langwierige und anhaltende Debatte um die Einführung von hochauflösendem TV.

Ein massiver Bedarf an Er- und Aufklärung hat sich allerdings erst mit der rasanten Zunahme der Web-Reichweite bis in Kinderzimmer hinein ergeben. Sicherheitseinstellungen bei sozialen Netzwerken, die Funktionsweise der Suchmaschinentechnologie von Google und Co. oder die Aufzeichnung von standortbezogenen Daten durch Smartphones sind im Kern hochtechnische Themen, die von Medienjournalisten aber zwingend verstanden und aufgegriffen werden sollten, weil genau diese Aspekte konkrete Auswirkungen auf die Mediennutzung der Menschen haben.

Der Digitalist hat die Riege der Medienjournalisten intellektuell und publizistisch erweitert, auch wenn er sich selbst vielleicht nicht als solcher bezeichnet. Er kann sowohl auf der Medienseite publizieren wie im Wissenschafts- oder Technikressort einer Publikation. Er kann sowohl kritisch hinterfragen wie konkreten Servicejournalismus bieten.

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Es bleiben wie immer auch in dieser Typologie Lücken, die Medienjournalisten ausfüllen: etwa als Spezialisten für Presserecht, die Werbebranche, die Szene der Marketing- und PR-Agenturen, für Medienethik oder eben auch „Gelegenheits-Medienjournalisten“, die aus gegebenem Anlass als „Medienexperten“ und „Journalismuskritiker“ auftreten – dazu zählen Edelfedern wie Cordt Schnibben („Der Spiegel“), Frank Schirrmacher („FAZ“) und Hans Leyendecker („Süddeutsche Zeitung“) sowie eine Reihe von Medien- und Politikwissenschaftlern, die dann und wann publizistisch aktiv werden.

Sie alle eint das ungezügelte Interesse für diese fiebrige Branche, ihr unverbesserlicher Wunsch nach Aufklärung über die so genannte „Vierte Gewalt“ und die intrinsische Motivation, dass es schließlich auch Kritiker der Kritiker geben muss. Und wo stünde das Metier schließlich ohne sie?


Dieser Beitrag ist eine gekürzte und editierte Fassung eines Kapitels aus dem neuen Praxislehrbuch Medienjournalismus von Christian Meier und Stephan Weichert, das im Mai 2012 in der Reihe Journalismus-Bibliothek (herausgegeben von Stephan Weichert, Andreas Elter und Martin Welker) im Herbert von Halem Verlag (Köln) erscheint.