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Auslandsberichterstatter: „Die Vorkämpfer“

Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Frage: Was ist eigentlich die professionelle Grundlage für das gigantische Repertoire der Auslandsberichterstattung – also die vielen Korrespondentenschalten, Reportagen und Features, die Dokumentationen und Hintergrundberichte, die Twitter-Meldungen und Blog-Einträge? Und wie entstehen diese „Werke“ überhaupt?

Vor rund zwei Jahren habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Leif Kramp über die Protagonisten des deutschen Krisenjournalismus geforscht. In Leitfaden-Gesprächen mit 17 Krisenreportern und Auslandskorrespondenten – wir nannten sie in der späteren Publikatin „Die Vorkämpfer“ – quer zu allen Mediengattungen ging es um das Berufsbild des Krisenjournalisten und sein professionelles Selbstverständnis. Zu den Befragten gehörten Kollegen von ARD und ZDF, RTL und N24, von der „Zeit“ und dem „Stern“, „Spiegel“ und „Spiegel Online“ sowie eine Reihe von Pauschalisten und Freien.

Diese Akteure haben sich zu unserer großen Freude alle sehr selbstkritisch mit ihrem Berufsbild auseinandergesetzt: Konkret haben sie mit uns darüber gesprochen, wie ihre Arbeit vor Ort aussieht, von welchen Motiven sie sich leiten lassen, wie die Zusammenarbeit mit Kollegen und Behörden abläuft, und wie souverän sie mit ihren Ängsten und Schwächen umgehen.

Zehn Thesen

Ziel dieser Studie war es herauszufinden, ob und wie ein von chronischem Zeitdruck und immer gravierender werdenden Sparzwängen bedrohtes journalistisches Tätigkeitsfeld weiterhin die Leistungen erbringen kann, die wir als Gesellschaft von ihm erwarten – nämlich vor allem eine hohe Orientierungsdichte, kompetente Einschätzungen und einen akkurat-verlässlichen Nachrichtenfluss aus den gebeutelten Regionen dieser Welt, die wir am wenigsten kennen. Vor dem Hintergrund dieser Gesprächsergebnisse lässt sich die aktuelle Auslandsberichterstattung, die eben oft auch Krisenberichterstattung ist, besser beurteilen. Die Aussagen der Gesprächspartner habe ich in zehn Thesen konzentriert:

1. Die Auslands- und Krisenberichterstattung leidet unter Sparmaßnahmen wie kein anderer Journalismusbereich: Da die Auslandsberichterstattung vergleichsweise kostspielig ist, wird hier oft als Erstes gespart – Honorarsenkungen (taz), Budgetkürzungen (Agenturen), Ausdünnung von Recherchepersonal, ein effizienteres Kostenmanagement (ARD, ZDF) und komplette Büroschließungen in allen Mediengattungen bedeuten empfindliche Einschnitte in die Haushalte der Redaktionen und damit ihrer Leistungsfähigkeit. Sie wirken sich unmittelbar auf die journalistische Qualität in diesem Tätigkeitsfeld aus.

2. Die weltweite Expansion der Nachrichtenangebote begünstigt den Konkurrenzkampf und damit den Exklusivitätsdruck im Auslandsjournalismus: Statt nachhaltig-reflektierter Berichterstattung findet immer wieder ein interner Wettlauf um die schnellste Schlagzeile, das exklusive Bild statt und darum, „wer zuerst vor Ort ist“ – das bestätigte uns etwa Stephan Kloss, der umstritten ist, aber viel für die ARD und die BBC aus dem Irak und Afghanistan berichtet hat. Besonders die Ausweitung von News-Websites und globaler Player wie Al Dschasira setzen andere Medien gewaltig unter Zugzwang. „Der Anspruch, dichter dran zu sein, ist erheblich gestiegen“, sagt ARD-Korrespondentin Ariane Reimers.

3. Internet und Fernsehen übernehmen eine neuartige Agenda-Setting-Funktion, die auf der Dominanz von Bildern fußt: Schnell, schmutzig, oberflächlich – so lautet inzwischen die Devise vieler Journalisten in Krisensituationen – Hauptsache, man hat die spektakulärsten Bilder und eindrucksvollsten O-Töne eingesammelt; Krisen- und Auslandsthemen werden nach dem Eindruck der befragten Akteure eher „abgebildet als eingeordnet“ – obwohl die Krisen- und Auslandsberichterstattung eine, wie Carolin Emcke von der Zeit es ausdrückt, „hermeneutische Aufgabe“ sei.

4. Der Inszenierungszwang in der Auslandsberichterstattung nimmt überhand: Die Gefahr wächst, dass in allen Mediengattungen zuweilen Parallelwelten entstehen, die immer weniger mit der sozialen Realität zu tun haben. Auslandsregionen werden häufig nur durch die „Krisen-Brille“ betrachtet – und fallen andernfalls durchs redaktionelle Raster; dabei wird das Inszenierungsdiktum zum Prinzip erklärt – frei nach dem Motto „nehmen Sie bitte das Trümmerstück in die Hand und schauen Sie nicht in die Kamera“.

5. Ungefilterte Informationen aus Propagandakanälen im Internet entwerten die Tätigkeit der Auslandskorrespondenten – statt sie aufzuwerten: Twitter, YouTube, Blogs und andere Online-Quellen werden von Machthabern und Interessengruppen derart virtuos manipuliert, dass viele traditionelle Medien deren Vertrauenswürdigkeit kaum noch überprüfen können; selbst professionelle Task-Forces wie das moderne „Content-Center“ der ARD, in dem sich Planungs- und Sendeteams, Fernseh- und Online-Redakteure sowie Social-Media- und Bild-Experten gegenseitig kontrollieren, können Fälschungen nicht immer als solche entlarven. Dennoch – oder vielmehr genau deshalb glaubt Susanne Fischer vom britischen Institute for War and Peace Reporting, dass Online-Medien „den gut informierten Korrespondenten vor Ort auf Dauer nicht ersetzen können“.

6. Die Beschleunigungsmaschine Internet ist für die Auslandsberichterstatter Fluch und Segen gleichermaßen: Die rasant durchgestochenen Bilder, die Enthüllung politischer Skandale und der ungehemmte Umgang mit sensiblen Informationen machen den Korrespondenten arg zu schaffen. Susanne Koelbl vom Spiegel und andere finden, dass durch Online-Medien, die Informationen „quasi in Echtzeit ins Netz einspielen“, eine neue Geschwindigkeit in die Auslands- und Krisenberichterstattung kommt. Dieses Tempo führt auch dazu, dass die Rolle der Journalisten als Gatekeeper geschwächt wird. Anderseits bedeutet das Netz eine große Chance für den Qualitätsjournalismus, zum Beispiel bergen Social Networks und Blogs als Recherchewerkzeug, Kontaktforum für Gesprächspartner und Inspirationsquelle für Geschichten ein enorm hohes Potenzial.

7. Auslandsberichterstattung wird zur punktuellen Schlaglichtberichterstattung: Strukturelle Probleme, kulturelle Hintergründe und kontinuierliche Entwicklungen werden zugunsten punktueller Krisenereignisse ausgeblendet, langfristige Trends vernachlässigt; im Vordergrund stehen vor allem spektakuläre Geschehnisse im Ausland, die die Korrespondenten zu einer sensationsgetriebenen Arbeitsweise nötigen. Der Trend verstärkt sich, dass nur noch das „erfolgreich und erwünscht ist, was knallt und raucht“, sagt zum Beispiel Susanne Koelbl.

8. Die Hotelberichterstattung ist schon lange keine Randerscheinung mehr, zugleich nimmt die Abhängigkeit von Informanten in Auslandsregionen fatale Ausmaße an: Zu viele Krisenjournalisten verlassen sich auf Stringer und Fixer und lassen sich umfassend von ihnen beliefern – das schwächt die Vor-Ort-Recherche und stärkt das sogenannte Palestine-Syndrom, wonach Krisenreporter in ihren Hotels festwachsen, dort CNN und BBC schauen und das berichten. Antonia Rados von RTL erklärte dazu: „Es gibt immer weniger Reporter, die Augenzeugen sind.“

9. Das Bestellverhalten der Heimatredaktionen ändert sich grundlegend – zugunsten von Agenturhörigkeit und zulasten der Kollegialität: Das Auftragsverhalten richtet sich stark nach Meldungslage und die Redaktionen verlassen sich immer mehr auf Bilder und Informationen aus Internet-Quellen, auch ausländische Nachrichtenagenturen – statt eigene Leute in Krisenregionen zu entsenden; Krisenreporter und Auslandskorrespondenten setzen sich selbst unter Druck, weil sie schneller liefern müssen und auch wollen. Der Exklusivitätsdruck ist teilweise so stark, dass sich Kollegen untereinander kaum noch inhaltlich austauschen, um dem Wettbewerber dadurch nicht einen Vorsprung zu verschaffen. „Lieber hält man sich an ausländische Kollegen, um sich nicht zu verplappern“, beschreibt es Matthias Gebauer von Spiegel Online.

10. Die Ad-hoc-Berichterstattung in Krisensituationen bedroht nicht nur die journalistische Qualität, sondern auch Leib und Leben vieler Kollegen: Es gibt grundlegenden Nachholbedarf in Bezug auf die Ausbildung, die Sicherheitsvorkehrungen und die Traumabewältigung von Korrespondenten und Reportern, die regelmäßig im Auslandseinsatz tätig sind. Die psychischen Folgen, aber auch die steigende Zahl getöteter und entführter Journalisten in Krisenregionen führt unmissverständlich vor Augen, dass das Leben dieser Kollegen offenbar immer mehr als Kollateralschaden einer skrupellosen Medienmaschinerie in Kauf genommen wird.

Diese Diagnose zum desolaten Zustand der Krisen- und Auslandsberichterstattung ergibt sich aus den persönlichen Erfahrungen der befragten Journalisten, die in diesen Punkten weitgehend einhelliger Meinung waren; es handelt sich also nicht um repräsentative Daten, sondern um ein Stimmungsbild, das sich aus subjektiven Wahrnehmungen ergibt.

In meinem Rundblick über die Früchte der täglichen Arbeit dieser Kollegen – nämlich die journalistischen Endprodukte bzw. die unterschiedlichen Medien, für die sie oder mit denen sie arbeiten – konzentriere ich mich auf die Stärken der verschiedenen Medien. Dazu dient mir eine Berichterstattungswoche vor Weihnachten, aus der ich einige Schlussfolgerungen herauslese. Verfolgt habe ich für diesen Zweck vor allem zwei Geschehnisse im Ausland, auf die ich zwischendurch, dort wo es sich anbietet, zu sprechen komme:

– Das erste ist der Amoklauf an der US-Grundschule in Newtown am 14. Dezember 2012, bei dem es vor Weihnachten vor allem um Schockreaktionen, das politische Handeln der US-Regierung und die Forderungen nach stärkeren Waffenkontrollen ging.

– Das zweite Geschehen ist der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, der uns ja schon eine Weile beschäftigt. In diesen Tagen spielte insbesondere die innenpolitischen Spannungen eine Rolle und die Haltung Moskaus gegenüber dem Assad-Regime.

Meine übergreifende These ist, dass die Berichterstattung über Krisen nicht nur auf zentrale Probleme für den journalistischen Ausnahmezustand schließen lässt, sondern dass wir daraus auch etwas für den Arbeitsalltag der Auslandskorrespondenten lernen können.

I. Fernsehen

Das Fernsehen ist der inszenierenden Überformung und dramaturgischen Überfrachtung nicht gerade unverdächtig – auch und gerade im Kontext der Auslandsberichterstattung. Es bietet aber zugleich, vor allem im Bereich der Dokumentation, des Features oder der Reportage, besondere Qualitäten.

Nach wie vor stand und steht das Fernsehen in der Auslands- und Krisenberichterstattung für eine unglaubliche Wucht, mit der Simultanerfahrungen stimuliert und unsere Erinnerungsleistungen medial substituiert werden. Passend dazu sprach der Medienkritiker Fritz Wolf in Bezug auf den 10. Jahrestag des 11. September kürzlich vom Fernsehen als einer „selbstdrehenden, sich aus sich selbst ernährenden Maschine“. Das ist insofern plausibel, als die Berichterstattung alleine schon wegen der Umstände ihrer Produktion oft zum Selbstzweck wird, das heißt: Oftmals geht es um die Bebilderung des Gewesenen, ohne dass man passende Bilder hätte. Und es geht um programmliche Konventionen und Zwänge, die ein Ausbrechen aus dem linearen Raster fast unmöglich machen.

Diese Unwuchten anzusprechen, ist harter Tobak – aber das ist nötig, um auch die Vorzüge und Potenziale des Fernsehens angemessen zu würdigen. Ich erkenne mindestens fünf Stärken, die das Fernsehen in der Auslandsberichterstattung ausspielt, die sich allerdings nur ansatzweise in der Berichterstattung vor Weihnachten finden ließen – weil es in Bezug auf den Amoklauf eher um die nachrichtliche Bewältigung und noch nicht um die analytische Bearbeitung ging.

Dabei geht es auch um die zentrale Unterscheidung zwischen „News und Views“, auf die der Soziologe Pierre Bourdieu hingewiesen hat – die mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten ausgezeichnete SWR-Dokumentation „Heimlich in Homs – Im Herzen des syrischen Aufstands“ von Marcel Mettelsiefen und Stefan Buchen hat in dieser Hinsicht für die Syrien-Berichterstattung echte Akzente gesetzt.

1. Die Erzeugung von Emotionen: Viel intensiver als alle anderen Mediengattungen kann das Fernsehen die Betroffenen und Opfer, die Retter und Helden, mitunter sogar die Täter zu Wort kommen lassen und ins rechte Licht setzen. Es gibt den Unterdrückten und Verfolgten eine Stimme und ein Gesicht. Bilder entstehen dabei nicht nur im Kopf, sondern entfalten ihre Wirkung vor den Augen der Zuschauer – das erzeugt Emotion.

2. Die Echtheit der Darstellung: Das Fernsehen transportiert stets das Authentische – vorausgesetzt, dass es nicht nur abbildet und sich nicht dem erwähnten „Inszenierungsdiktum“ unterwirft, sondern professionell einordnet, hintergründig informiert und ausgewogen analysiert. Der Reflex, den die aktuelle Lage in Krisengebieten bei uns auslöst, ist immer noch der, sofort den Fernseher einzuschalten – nicht, weil wir dem Radio oder dem Internet misstrauen würden, sondern weil die Selbstvergewisserung über das, was in der großen weiten Welt passiert, immer noch bestens über das Fernsehen funktioniert.

3. Die Reduktion von Komplexität: Die verkürzte, ungefilterte Darstellung eines Geschehens birgt nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Herausforderung für das professionelle Fernsehen – nämlich die Kunst, die Wirklichkeit in vorgegebenen Rastern, Schablonen und Formaten zu erzählen. Die Vorzüge dieser Erzählrituale treffen umso mehr auf Auslandsthemen zu, bei denen globale Zusammenhänge unkompliziert erklärt und für ein breites Publikum gezielt aufbereitet werden. Dies steht für die Orientierungs- und Ordnungsfunktion des Fernsehens.

4. Die Chronistenfunktion: Was häufig unterschätzt wird, ist die gigantische Konservierungsfunktion des Fernsehens, das materialreicher und kleinteiliger als jedes andere Medium soziale, politische und kulturelle Befindlichkeiten einfängt – und eben auch für die Ewigkeit festhält. Für die Auslandsberichterstattung gilt das in besonderen Maße: Wenn wir einmal von den eher nachrichtlichen Formaten absehen, so hilft uns gerade das dokumentarische Genre im Fernsehen dabei, das geografisch Fremde und Ferne plastischer und greifbarer zu machen. Und für Krisen heißt es eben auch, aus säuberlich dokumentierten Fehlern rückblickend zu lernen, um diese nicht zu wiederholen.

5. Die kathartische Rolle: Das Fernsehen spendet dem Zuschauer gerade während Krisen und Konflikten Trost, liefert Ratschläge und gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Ich habe vor einigen Jahren versucht, diese gemeinschaftsbildende Funktion des Fernsehens für 9/11 genauer zu beschreiben, also den Zustand, bei dem auf Zuschauerseite eine Krise bewältigt wird; in diesem Prozess meine ich eine unbeabsichtigte, aber doch zentrale Funktion des Fernsehens zu erkennen: Das Fernsehen schweißt zusammen, es macht den Zuschauern bewusst, dass sie im Moment der Krise mit vielen anderen gleichzeitig leiden und sich in ungefährlicher Distanz zum Geschehen befinden. „Solange gesendet wird, ist die Welt noch in Ordnung“ – ich finde diese knappe Formel sagt vieles über die Katharsis aus, die das Fernsehen in Gang setzen kann.

II. Radio

Kommen wir zum Radio. Der Effekt, dass Kriege, Krisen, Katastrophen fast ab der ersten Minute zu Medienereignissen aufgepumpt werden, zieht auch am Radio nicht spurlos vorüber: Sparzwang, Quotendiktat und der Nachrichten-Sofortismus sorgen dafür, dass das Hörmedium den Relevanz-Test in der Auslandsberichterstattung nicht immer besteht. Hinzu kommt, dass das Radio in Krisenzeiten seine goldene Ära hinter sich hat und als primäres Live- und Nachrichtenmedium abgemeldet ist – so zumindest lautet das weit verbreitete Vorurteil.

Was ist dran an dieser Kritik? Denkt man über die offensichtlichen Schwächen des Radios in der Auslandsberichterstattung nach, zählt seine Flüchtigkeit genauso dazu, wie das Überraschungsmoment vielleicht zu seinen Stärken zählt. Tatsächlich wird das Radio heute ja nicht mehr als wahrnehmbar konsistentes Programmmedium konsumiert, sondern gerade von jüngeren Menschen eher zufällig und situationsbedingt als Stückwerk und nebenbei wahrgenommen.

Auch stimmt es, dass die generelle Bedeutung des Radios als erste Info-Quelle in den vergangenen Jahren dramatisch abgenommen hat: Für Viele ist Radio nur noch ein Medium, das dann genutzt wird, wenn keine anderen Medien technisch verfügbar sind oder genutzt werden können. Selbst das ehemalige Alleinstellungsmerkmal des Radios, mit geringem Produktionsaufwand auch von entlegenen und schwer zugänglichen Orten zu berichten, ist mit der Entwicklung von Smartphones mit Kamera- und Aufnahmefunktion obsolet geworden.

Als weiteren Nachteil betrachten Kritiker die Unkenntlichkeit der Radiomacher. Dass sie kaum jemand beim Namen, geschweige denn ihre Gesichter kennt, hat Auswirkungen auf die publizistische Durchschlagskraft des Mediums und damit auf seine Bedeutung im gesamten Info-Konzert. Seinem Image als journalistisches Medium ist nicht zuletzt die schleichende Informationsverdünnung der gesamten Radiolandschaft abträglich – die einschlägigen Beispiele spare ich mir. Dabei kann das Radio ein ausgesprochen kluges Medium sein und besonders in der Auslands- und Krisenberichterstattung auftrumpfen – beispielhaft steht für mich dabei die Berichterstattung über den US-Amoklauf.

1. Der Hang zur Entschleunigung: Was Sie häufig schon am Tonfall merken ist, dass das Radio es auch in solchen Situationen schafft, sich vom Reiz der Schnelligkeit und von der Agenturticker-Manie loszusagen – und das ist vielleicht schon sein größtes Plus, weil es sich erheblich weniger als andere Mediengattungen von der Sensationsmache anstecken lässt. Auch die nachrichtliche Begleitung von Auslandsthemen ist dadurch spürbar gemäßigter, filigraner und wenig obsessiv. Und es gibt sich – obwohl es eigentlich das schnellste Medium von allen ist – wesentlich souveräner: Beim Radio verbinden sich Nüchternheit und Sinnlichkeit zum reflektierten Hörerlebnis.

2. Der blinde Fleck: Auch der vermeintlich blinde Fleck des Radios, nämlich der Verzicht auf Bilder, ist seine eigentliche Stärke. Weil es glücklicherweise nicht dem Zwang unterliegt, Ereignisse aus der Veranschaulichung durch Bilder heraus erklären zu müssen, erzeugt es keine unnötige Dramatik, die Korrespondenten oft zu Fehlurteilen und Kurzschlussreaktionen verleitet. Es ist enthaltsamer, gelassener und damit feinfühliger als die Bildmedien. Was sich im Fernsehen des Öfteren wie eine willkürliche und zuweilen inflationäre Reihung von Bildern der Katastrophenschauplätze dieser Welt aufdrängt, fügt sich im Radio zu einem angenehm unaufgeregten Mosaik der Töne.

3. Die unaffektierte Realität: Beim Radio fließen Krisen und ihre mediale Wahrnehmung weniger ineinander als beim Fernsehen – ganz einfach, weil es auch weniger dazu neigt, der Realität eine eigene Dramaturgie überzustülpen und das Grauen als Erlebnispark zu exponieren. Auch in dieser Hinsicht muss es als echter Luxus des Radios begriffen werden, Geschichten nicht entlang von Bildern erzählen zu müssen. Denn dort, wo das Fernsehen eigene Parallelwelten schon um der visuellen Effekte Willen erzeugt, bleibt das Radio bei der ungeschminkten Wahrheit – und wirkt auf sein Publikum weniger affektiert.

4. Der professionelle Zeitverzug: Gerade die journalistischen Leistungen des Radios werden häufig unterschätzt – zu Unrecht. Das mag vor allem mit der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes zu tun haben – das Phänomen des „Versendens“ ist im Falle des Radios ja wirklich wörtlich zu nehmen. Zwar werden wir auch im Radio regelmäßig von Neuigkeiten bedient, die fast unmittelbar auf den Sender gegeben werden. Aber nur fast. Denn diese Informationen sind, ähnlich wie beim Fernsehen, sorgfältig ausgewählt, nachrecherchiert, überprüft, geschnitten, vertont und anmoderiert, so dass ihnen eine professionelle Zeitverzögerung vorausgeht, die auch den mit Spannung erwarteten Moment zeitlich minimal versetzt präsentiert.

5. Eloquenz der Information: Trotz verschärfter Medienkonkurrenz überzeugt das Radio auch in der Auslandsberichterstattung durch seine enorme Formenvielfalt – zum Beispiel durch Features, Live-Reportagen oder Hörspiele, also denjenigen Erzählformen, die das viel zitierte „Kino im Kopf“ erlebbar machen. Eher positiv spielt hier übrigens auch die Unsichtbarkeit seiner Macher rein, denn ein Medium, das so uneitel ist, erhöht seine Sympathie schon dadurch, dass es Themen und Diskussionen in den Vordergrund stellt, während es als Institution selbst unsichtbar bleibt: Dieser eloquente Umgang ist das Ziel von gutem Journalismus.

III. Presse

Die Presse steht aktuell mehr als alle anderen Medien vor finanziellen Konvulsionen, die direkt ihre Existenz bedrohen. Es ist also nicht verwunderlich, dass vor allem Rechercheabteilungen und Auslandskorrespondenzen der Qualitätsblätter stark angegriffen sind. Diese Einschnitte führen dazu, dass die Qualitäten der Presse in der Bearbeitung von Auslandsthemen allmählich unterwandert werden – das heißt, dass durch den Personalmangel immer weniger Korrespondenten immer mehr Länder abdecken müssen – langfristig gesehen ein Fiasko, das natürlich Radio- und Fernsehmacher ebenso betrifft. Doch verabschiedet sich die Presse offenbar viel radikaler von dem Anspruch, ihre Korrespondenten länger in

Auslandsregionen verweilen zu lassen und eben auch längere Geschichten zu machen als Rundfunk und Online-Medien. Sie überlässt damit viel schneller als erwartet den Nachrichtenagenturen und Online-Quellen das Feld. Um die Stärken der Presse hinreichend zu erörtern, müsste ich Ihnen nun konsequenterweise einige Artikel zu lesen geben – das würde aber natürlich zu lange in Anspruch nehmen. Und doch will ich Ihnen am Beispiel des Amoklaufs von Newtown einen Gesamteindruck vermitteln, worauf sich meine allgemeinen Einschätzungen zur Presse im Umgang mit der Auslands- und Krisenberichterstattung stützen.

1. Der analytische Zugriff: Sie sehen an den vielen Ausrissen, dass sich die Tages- und Wochenpresse doch sehr breit mit dem Thema beschäftigt hat – und auch sehr tiefschürfend. Das Plus der Presse liegt aus meiner Sicht damit zunächst klar in den verzögerten Produktionsroutinen, die ein investigatives Nachforschen und ein analytisches Denken ermöglichen. Dort, wo audiovisuelle Medien oft nur an der Oberfläche kratzen, liefert Print mitreißende Seite-3-Reportagen und luzide Analysen. Zeitungen erschaffen so eine starke analytische Distanz zum Geschehen.

2. Die Hartnäckigkeit der Bearbeitung: Was mir in dieser Woche ebenso aufgefallen ist, ist die Hartnäckigkeit, mit der die Presse zum Teil an Themen dran bleibt. Während das Radio den Luxus hat, nicht von Bildern abhängig zu sein, hat die Presse den Vorteil, sogar auf O-Töne verzichten zu können. Dies ermöglicht ihr gerade bei Auslandsthemen, tiefer zu recherchieren und gegen die mediale Vergesslichkeit anzuarbeiten – beispielhaft für diese Beharrlichkeit steht der syrische Bürgerkrieg: Auch wenn der Amoklauf Vieles überschattet hat, gab es in der Vorweihnachtszeit eine Reihe von Korrespondenten- und Hintergrundberichten, Analysen, Reportagen, Kommentaren und einen Aufmacher zum Thema Syrien. Das, was bei anderen Medien undenkbar ist, wir von der Presse vollbracht – manche Krisenregionen nicht so schnell aus den Augen zu verlieren.

3. Redaktionelle Bandbreite: Nicht umsonst bildet die Presse – gemeinsam mit dem Rundfunk – nach wie vor das Rückgrat der Auslandskorrespondenz. Die Kapazität, mit der Ereignisse aufbereitet werden können, ist ebenso vielseitig wie die Bandbreite an Darstellungsformen. Auch die Berichterstattung über den Amoklauf in Newtown entsprach dem, was die Presse aufbieten kann, wenn sie ihre Auslandslogistik einem einzigen Ereignis anpasst. Bei der Recherche sind mir kluge Kommentare und Hintergrundberichte, exzellente Reportagen und Leitartikel begegnet, aber auch ein Porträt einer Waffengegnerin, zwei Interviews mit Psychologen, einige Handvoll Karikaturen, eine Fotoreportage, ein Psychogramm des Amokläufers, Statistiken, Info-Kästen und Schaubilder zum Ablauf des Amoklaufs – und nicht zu vergessen die unverzichtbaren Pressestimmen aus dem Ausland.

4. Moralische Integrität: Die Gefahr, dass sich in der Auslands- und Krisenberichterstattung der Presse publizistische Fehltritte nachweisen lassen, ist gering – weil die Möglichkeiten des Doublecheckings und der Absicherung von Informationen vergleichsweise groß sind. Auch in der gesamten deutschen Presse – von FAZ, SZ, der „Welt“, „Frankfurter Rundschau“ bis zu „Zeit“, „Spiegel“ und „Stern“ – gab es beim Amoklauf, soweit ich das beurteilen kann, nur wenige Ausreißer, nicht einmal bei der der „Bild“-Zeitung. Es wurde eher mit Sachkenntnis, auch mit der notwendigen Nüchternheit und einem moralischem Feingefühl berichtet – wenn man davon absieht, dass manche Medien das Klischee der Waffennation USA bedienen, während andere differenziert analysieren und die Zahl der Schusswaffen-Opfer einzelner Länder ins Verhältnis zur Bevölkerungsgröße setzen.

5. Die Synchronisationsfunktion: Die Presse ist zwar nicht der einzige Ort, wo gesellschaftliche Debatten entstehen können – das geht auch hervorragend im Internet. Aber der Amoklauf von Newtown hat auch gezeigt, dass nur die Idee der Zeitung es vermag, der unablässigen Spaltung der Mediennutzer etwas entgegenzusetzen. Dort, wo Twitter, Facebook und YouTube immer nur jeweils personalisierte Teilöffentlichkeiten entstehen lassen, kann die Presse eine breite Öffentlichkeit mobilisieren. Sie wird schon deshalb ein zentrales Korrektiv in der Auslands- und Krisenberichterstattung bleiben, weil sie die versprengten Nachrichten professionell zusammenführt, einordnet und bewertet. Gerade in dieser Synchronisationsfunktion liegt nach wie vor der Schlüssel ihres Nutzens, weil sie breite Teile der Bevölkerung auf ein gemeinsames Thema verpflichten kann.

IV. Online

Das Internet gilt gemeinhin als Folie für die basisdemokratische und blitzschnelle, aber nicht unbedingt die blitzgescheite Kommunikation. Fakt ist, dass es noch ereignisgetriebener und aktualitätsgesteuerter ist als Radio und Fernsehen zusammen, dabei aber oft lückenhafter und fehleranfälliger. Inzwischen sind News-Websites wie „Spiegel Online“, Facebook und auch Microblogging-Dienste wie Twitter für viele User das „Fenster zur Welt“- auch deshalb, weil ein Großteil der Bevölkerung täglich mit dem Internet arbeitet und ohnehin online ist.

Das Netz steht beispielhaft dafür, warum die Schnelligkeit, aber auch die überdrehte Taktung von Informationen im Krisenjournalismus gelegentlich zum Dilemma wird – weil etwa Überinformationen zur Uninformiertheit führen oder wilde Spekulationen in der Bevölkerung Panik und Ängste schüren können. Anders gesagt: Solange x-beliebige Information unkritisch aus dem Netz ihren Weg in die traditionellen Medien finden, kann jede Twitter-Meldung, jeder individuelle Blog-Eintrag aus Krisengebieten zur Fake-Falle werden. Auch die Gefahr, dass von Auslandsregionen falsche Eindrücke vermittelt werden und bestimmte Themen fehlen bzw. untergehen, ist im Netz hoch – auch hier ist Syrien sicher ein gutes Beispiel.

Ich halte das Internet daher aus vielerlei Gründen für das ambivalenteste Medium in der Auslandsberichterstattung. Dennoch dürfen wir nicht so tun, als habe es mit den bisher erwähnten Mediengattungen nichts gemein – im Gegenteil: Es geht, wenn wir über journalistische Angebote sprechen, ja vor allem um die Ableger der traditionellen Medienmarken im Netz, die hier inzwischen zahlreich vertreten sind.

Wenn wir also über „das Internet“ sprechen, müssen wir mindestens zwischen den journalistischen Online-Angeboten, Individualmedien wie Blogs und den Social Networks unterscheiden. Wir meinen aber in der Regel nicht den digitalen Vertriebskanal als solchen, sondern eben das, was sich mit den traditionellen Medien zu etwas Neuem verwachsen hat oder mit ihnen im publizistischen Verbund steht. Daher beschränke ich mich bei den wesentlichen Stärken des Internet auf die journalistischen Angebote:

1. Die Geschwindigkeit: Beim Amoklauf in Newtown wurde die Überlegenheit des Internet in punkto Schnelligkeit deutlich – rasant schnell lieferten die sozialen Netzwerke erste Bilder und Stimmen zur Katastrophe. Dasselbe konnten wir nach der Tötung des libyschen Revolutionsführers Gaddhafi erleben, die bei vielen Menschen den Reflex auslöste, nach Informationen und Anschauungsmaterial zuerst im Netz zu fahnden. Dabei bergen Online-Quellen in der Auslandsberichterstattung immer das Risiko der Manipulation. Als erste Informationsquelle und zu Ergänzung des Nachrichtenstroms sind sie aber unerlässlich.

2. Alternative Recherchequellen: Die Angebote im Internet haben sich in den vergangenen Jahren beständig weiterentwickelt – Youtube, Twitter und Blogs werden auch in der Krisen- und Auslandsberichterstattung immer wichtiger. Mehr Texte, Videos, Bilder und Töne bedeuten jedoch nicht unbedingt mehr Aufklärung und eine bessere Nachrichtenlage. Trotzdem ist die Mannigfaltigkeit der Online-Informationen ein klarer Vorteil, wenn es für Heimatredaktionen und die Korrespondenten in Krisensituationen vor Ort darum geht, alternative Quellen zu erschließen und gerade bei unzureichender Quellenlage die gelenkten Medienströme der offiziellen Stellen zu umgehen.

3. Die Multimedialität der Plattformen: Die Möglichkeiten, sich eines Auslandsthemas anzunehmen, sind im Internet nahezu unendlich – von kommentierbaren Text- und Videoformaten über interaktive Podcasts, Live-Streams, Bildergalerien und Audio-Slideshows, Grafiken bis hin zu datenjournalistischen Anwendungen sowie allerlei Social-Media-Applikationen gibt es fast keine journalistische Darstellungsform, die es nicht gibt. Das ist an meinen Folien zwar nicht sehr deutlich zu sehen, aber alle diese Formen hat es in der Beobachtungswoche gegeben. Sie deuten auf die enorme Vielseitigkeit von Krisenreportern und Auslandskorrespondenten hin, die diese Darstellungsformen publizistisch zu bedienen und ihre Potenziale zu nutzen wissen.

4. Die Stimmenvielfalt: Die Lage in den meisten Krisengebieten ist komplexer geworden. Für Korrespondenten ist es schwieriger, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und unterschiedliche Sichtweisen hinreichend darzustellen. Manchmal ist es wichtig, aufmerksam der Stimme des Volkes zu lauschen, auch wenn im Internet gelegentlich die Tonalität nicht stimmt: Nur weil es dort oft ruppiger, beleidigender und ungeschönter zugeht als in journalistischen Angeboten heißt das nicht, dass Informationen falsch oder unglaubwürdig sein müssen. Im Fall von Newtown bedeutete das, auch im Blick zu behalten, was in den sozialen Netzwerken und bei Twitter passiert, wer die Beiträge von Nutzern kommentiert und wie sie kommentiert werden. Diese Stimmenvielfalt ist, solange sie als solche immer klar gekennzeichnet wird, eine Chance für Journalisten, das ganze Bild einer Krise zu zeigen.

5. Die Partizipations- und Dialogfunktion: Seinen bisher wohl größten Auftritt hatte das Internet als Nachrichtenmedium während des Arabischen Frühlings Anfang 2011: Über Blogs, Twitter, Facebook und andere soziale Kanäle konnten sich die Bürger trotz Repressionen durch ihre Regime Gehör in den westlichen Medien verschaffen. Die Revolutionen fanden also nicht nur real, sondern auch im virtuellen Dirkursraum statt. Durch seine partizipativen Möglichkeiten hat das Netz die Distanz zwischen Medien und Publikum verringert – und wurde so zum Instrument der Demokratisierung. Auch der Amoklauf in Newtown zeigt eindrücklich, dass es für diesen Austausch und das Zusammengehörigkeitsgefühl inzwischen unersetzlich ist.

Egal also, für welche Medien Krisenjournalisten und Auslandskorrespondenten arbeiten, sie haben alle ihre Stärken und Schwächen. Zum Schluss möchte ich daher noch einmal an die zehn Thesen vom Anfang erinnern. Zentral erscheint mir als Ausbilder angehender Journalistinnen und Journalisten, wenn wir über die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Medien nachdenken, der Gedanke, wie wir trotz der Gefahren und Risiken das Fundament und die Faszination für die Auslandsberichterstattung erhalten können.

 


Dieser Beitrag basiert auf einer Rede, die der Autor im Januar 2013 auf den Marler Tagen der Medienkultur am Grimme Institut gehalten hat.