Automatisierte Nachrichten – Albtraum oder Chance?
Das US-amerikanische Website-Netzwerk Statsheet veröffentlicht monatlich mehr als 15.000 Artikel über Basketball. Die Autoren: Roboter-Journalisten. Statt rasenden Reportern erstellen ausgetüftelte Algorithmen die Artikel, indem sie Spielstatistiken mit Standardsätzen kombinieren. Das Stats Monkey System der Northwestern University verfolgt dasselbe Prinzip für die Berichterstattung über Baseball.
Roboter unterstützen in den USA aber nicht nur die Sportberichterstattung: Der Medienkonzern Thomson Reuters lässt schon seit einigen Jahren auf seiner Website seine Finanzinformationen von Algorithmen zusammenstellen. Inzwischen gibt es in den USA sogar Studiengänge, die Journalismus- und Informatik-Kenntnisse vermitteln, wie z.B. Computer Science and Journalism an der Columbia University.
Wie bei technologischen und gesellschaftlichen Trends in der Vergangenheit hat auch die Entwicklung des Roboter-Journalismus dazu geführt, dass Journalisten ihre eigene Rolle und Schlüsselqualifikationen überdenken.
Was die journalistische Community von der robotergenerierten Basketballnachrichten-Website hält, zeigt eine Inhaltsanalyse von 68 englischsprachigen Zeitungsartikeln und Blogposts, die 2010 über Statsheet berichteten.
Originelle Innovation?
Die Autoren der Texte nehmen das automatisierte Generieren von Inhalten als „eine originelle Innovation“ wahr, sehen in ihm zugleich aber auch einen „nächsten logischen Schritt in Richtung ‚Computerisierung‘ des Journalismus“. Auch über die Sportberichterstattung hinaus erkennen sie Anwendungsbereiche für den Roboter-Journalismus, so zum Beispiel die Zusammenstellung von Informationen und Daten in der Immobilien- und Finanzberichterstattung oder sogar das Verfassen von Nachrufen.
Die meisten Journalisten sind der Meinung, dass automatisierter Journalismus erfolgreich werden könnte. Computergenerierte Artikel könnten zwar nicht mit dem Qualitätsjournalismus von größeren Medienunternehmen mithalten, Amateur-Blogs allerdings würden zum Beispiel die Qualitätslatte relativ niedrig anlegen.
„Es ist nicht so, dass die Algorithmen von Statsheet so toll schreiben können“, meint Forbes-Journalist Jeff Bercovici, „aber in unserer Ära der nutzergenerierten Inhalte lese ich im Internet oftmals noch schlechtere Texte.“
Man kann sich dennoch fragen, ob automatisch generierte Inhalte überhaupt als Journalismus betrachtet werden können. Überraschenderweise kommt nur in zwei von den 68 analysierten Artikeln zum Ausdruck, dass Roboter-Journalismus kein wirklicher Journalismus sei.
Journalistische Alleinstellungsmerkmale
Anstatt eine Abwehrhaltung einzunehmen, denken die Journalisten verstärkt über sich und ihr professionelles Rollenbild nach und betonen ihre journalistischen Alleinstellungsmerkmale. „Analytische Fähigkeiten“, „Persönlichkeit“, „Kreativität“ und „die Fähigkeit, sprachlich komplexe Sätze zu schreiben“, nennen die Journalisten unter anderem als wichtige Schlüsselqualifikationen menschlicher Berichterstatter.
Sie sehen computergenerierte Texte sogar als eine Möglichkeit, die ureigensten Eigenschaften qualitativ hochwertigen Journalismus zu betonen, indem sie Routineaufgaben an die Maschinen abgeben können und damit mehr Zeit für das haben, was Roboter nicht können: gründlich und investigativ recherchieren.
Roboter-Journalismus befreien Journalisten von der Routine und dem Banalen, so dass sie mehr Zeit hätten, tiefer zu graben und über das zu berichten, was bislang versäumt worden sei, schreibt Joe Grimm auf poynter.org. Neuen Technologien ist man im Journalismus schon immer zunächst übertrieben optimistisch oder pessimistisch begegnet. Roboter-Journalismus ist hierbei keine Ausnahme.
Allerdings haben in der Vergangenheit technologische Innovationen oftmals zu einer Zunahme von standardisierter Arbeit und mehr Zeitdruck sowie zu einem Rückgang von journalistischen Schlüsselqualifikationen geführt.
Festzuhalten bleibt, dass die fortschreitende Automatisierung von Journalismus deutliche Auswirkungen für Journalistenausbilder haben wird. Es ist ihre Aufgabe, angehenden Journalisten journalistische, kreative und technische Fähigkeiten beizubringen. Solch ein Mix wird auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft unverzichtbar sein – ein Arbeitsmarkt, auf dem Journalisten aus Fleisch und Blut mit hochleistungsfähigen Algorithmen konkurrieren, die im Monat mehr als 15.000 Artikel erstellen.
Dieser Beitrag ist zuerst bei „EJO – European Journalism Observatory“ erschienen.