Bequem ist nicht faul – von der Veränderung der Mediennutzung
Keine Ahnung, wie ich oft ich im letzten Jahr auf den verschiedenen Podien und bei Vorträgen gehört habe, dass „die jungen Leute“, wer auch immer sich davon angesprochen fühlen mag, keine Zeitung mehr lesen. Sie schauen auch kaum noch die Tagesschau und verdaddeln stattdessen ihre Zeit im Internet. Ich gehe davon aus, dass damit ein pars pro toto angesprochen wird: Wer dies oder jenes nicht liest, hört oder sieht, der verdummt. Erst kürzlich berichtete ein Professor der Juristerei während eines Vortrags, dass er seine Studenten im Rahmen einer Vorlesung befragt hat, wer von ihnen eigentlich noch ein Zeitungsabonnement bezieht. Keine einzige Hand schoss daraufhin in die Höhe, was den Professor mindestens so bestürzte, wie das bedrückt nickende Publikum. Ich bin ehrlich, mein Gedanke war: „Und jetzt?“
Selbstverständlich weiß ich um die drastischen Einbrüche auf dem Printmarkt, zumindest was tagesaktuelle Ausgaben anbelangt. Auch bin ich mir darüber im Klaren, dass nicht nur die Abozahlen rückläufig sind, sondern auch andere Rahmenbedingungen (gesetzliche, demografische, marktwirtschaftliche) ihr Übriges dazu tun, es dem Zeitungsmarkt schwer zu machen. Ich bin auch unbedingt der Meinung, dass ein funktionierender Printmarkt, mit gut ausgebildeten Journalisten wesentlicher Bestandsteil einer demokratischen Informationsgesellschaft ist. Einzig die Schlussfolgerung teile ich nicht: Dass die Zeitungskrise ein Indikator für die Verblödung der jüngeren Generation ist! Den Zusammenhang kann ich nicht erkennen, ganz im Gegenteil. Denn wenn man sich die heutige Mediennutzung und die genutzten Medienangebote anschaut, entblößt sich ein differenzierteres Bild. Dazu muss man allerdings bereit sein, Mediennutzung weiter zu fassen, als es häufig üblich ist. Begreifen wir doch mal digitale Mediennutzung bis zum Ende des Artikels als „Online-Sein“.
Bei solchen Szenen, wie ich sie beispielhaft oben beschrieben habe, schwingt immer die Sorge des Vortragenden mit, dass sich die jüngere Generation, nicht mehr die Mühe macht, den Wert einer Tageszeitung zu entdecken. Das wäre vielleicht anstrengend und Anstrengung möchte die Jugend nicht aufbringen – es soll seicht und nicht fordernd sein. Spitz formuliert: Die Jungen sind zu faul. Wenig überraschend glaube ich nicht, dass das die Situation treffend beschreibt. Denn Mediennutzung ist im digitalen Zeitalter nicht mehr mit Lesen und Hören beschrieben. Das galt vielleicht noch für eine Offline-Welt, doch online macht der Mediennutzer oder die Mediennutzerin weit mehr als das. Er recherchiert, sie fragt, er findet, sie liked, er schreibt, sie kommentiert, er postet, sie verlinkt… Das zeugt von deutlich mehr Aktivität als Lesen und Hören und das ist alles andere als faul.
Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, die Unterscheidung von faul und bequem (vielleicht wäre es englisch mit „convenient“ am besten bezeichnet) einzuführen. Der Begriff des Involvement sollte an dieser Stelle auch mitgedacht werden. Wer faul ist, ist nicht involviert – im Übrigen ein Zustand, an dem ich persönlich gar nichts Ehrenrühriges finden kann. Der Involvierte kann aber bequem sein oder es sich bequem machen. Denkt man beispielsweise an die vielen Anwendungen, die über die internetfähigen und mobilen Endgeräte erst möglich werden: Carsharing ist ein mittlerweile sehr nachgefragtes Modell in urbanen Räumen, weil mit kleinem Aufwand ein Auto genutzt werden kann, ohne dass man es in die Inspektion bringen oder bei der KFZ-Stelle zulassen müsste. Foodsharing ist ein Onlineangebot, das sich an der „Tafel“ orientiert. Menschen geben auf dieser Plattform an, wenn sie Lebensmittel übrig haben, andere können diese abholen. Über Mitfahrgelgenheiten finden sich Menschen zusammen, die ein Auto oder auch Zugticket teilen möchten, um ihre Wegstrecke gemeinsam zurückzulegen. Eine Win-Win-Situation für Fahrer (und Autoeigentümer) und für Mitfahrer. Die Beispiele sind unzählig.
Bequem und smart
All diese Dienste sind nur deshalb möglich, weil die Nutzer in höchstem Maße in ihr digitales Umfeld involviert sind. Sie verwerten für sich das Eigentum, die Erfahrungen und die Bewertungen anderer Nutzer. Auch das ist Mediennutzung in dem oben beschriebenen Sinne. Das ist ökonomisch immer sinnvoll, häufig ökologisch vernünftig und sozial verbindend. Es ist bequem und es ist smart.
Ich möchte gar nicht bestreiten, dass viele Nutzer das Internet nicht dazu nutzen, um sich in erster Linie zu informieren und smarte Lösungen im oben beschriebenen Sinn anzuwenden. Stattdessen nutzen sie geschlossene Plattformen (soziale Netzwerke) im Internet als eine persönliche Reflektionsfläche. Hier kann der eigene Marktwert überprüft und Reputation aufgebaut werden. Jüngere Internetnutzer sind dafür vermutlich noch anfälliger. Gleichwohl ist diese Beobachtung zu kurzsichtig, denn das Internet mit all seinen schlauen Anwendungen bietet so viel mehr. Es bietet gesellschaftlichen Mehrwert. Und man darf eines nicht außer Acht lassen: Die Generation, die manch einem so viel Kopfzerbrechen bereitet, wächst mit diesen Dingen heute auf. Sie sind die echten digitalen Natives. Vielleicht sollten wir ihnen ein wenig mehr Vertrauen entgegenbringen, dass sie sich nicht nur auf Facebook als pubertäre Projektionsfläche beschränken, sondern auch Geschmack an der Bequemlichkeit kreativer Ideen finden werden.
Dank analoger Terrestrik habe ich in den 80ern gelernt: Wer nicht fragt, bleibt dumm! Es hieß nicht, wer keine Tageszeitung abonniert hat, bleibt dumm. Das Fragen hat in der digitalen Welt einen ganz eigenen Stellenwert erhalten, wie Googles gigantischer Erfolg, den ich durchaus nicht unkritisch sehe, zeigt. Vertrauen wir darauf, dass auch weiterhin Fragen gestellt und Antworten gegeben werden. Einiges davon mag auf den ersten Blick faul erscheinen. Ich bin aber von der kreativen Bequemlichkeit im Online-Sein überzeugt und die macht uns nicht dumm, sondern smart.