Bild und Prominente: Die gefährlichen Deals
„Sie denken, ein Boulevardjournalist ist überhaupt kein richtiger Journalist“, provoziert Marco, Protagonist des Stücks „Seite Eins“ gespielt von Ingolf Lück, das Publikum. Dem gibt Wolfgang Storz, ehemaliger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau und Autor der Studie „Bild und Wulff – Ziemlich beste Partner“ (PDF) recht. Im VOCER-Interview sagt er, warum es sich bei Bild-Journalismus nicht um Journalismus handelt und wie authentisch das Stück von Johannes Kram ist.
Lesen Sie hier das vollständige Einpersonenstück „Seite Eins“ von Johannes Kram.
VOCER: Herr Storz, was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studien?
Wolfgang Storz: In allen drei Studien haben wir festgestellt, dass man bei Betrachtung der klassischen Journalismus-Kriterien bei „Bild“ nicht von Journalismus reden kann. Das ist nichts schlimmes, es ist einfach nur eine andere Art von Veröffentlichung, die ausschließlich das Ziel hat, hohe und höchste Aufmerksamkeit zu erzielen , um dadurch die Maximierung der Auflage zu erreichen beziehungsweise die Auflagen zu halten. Zwischendurch wird das immer mal wieder auch mit den Mitteln des Journalismus gemacht. Die „Bild“ nutzt bei ihrer Arbeit das Prinzip der Kommunikation, also ein Mix aus Öffentlichkeitsarbeit – PR – und Journalismus. Das variiert je nach Bedarf. Man kann aber im Kern sagen, dass es sich dabei nicht um ein journalistisches Produkt handelt.
Das Stück „Seite Eins“ beschreibt das Geben und Nehmen zwischen Prominenz und Boulevardjournalismus. Protagonist Marco versucht der Sängerin Lea Informationen zu entlocken. Das tut er, indem er sich als Freund verkauft, und ihr vorspielt, er stünde auf ihrer Seite. Er will sie nur vor den Gerüchten und Geschichten, die andere Medien in die Welt setzen könnten, schützen. „Irgendein Foto wird es geben und es wird nicht gut sein. Du wirst nicht wissen wann und Du wirst nicht wissen wie und sie werden irgendwas schreiben, verstehst Du: irgendwas! Also ich würde so nicht leben wollen. Es geht um Dein Intimleben. Das musst Du schützen! Ich will doch nur, dass du selber kontrollieren kannst, was über Dich erscheint. Ich will Dir gar nichts vorschlagen, ich sage nur, was ist das alles gegen ein ganz harmloses Foto von Philipp und Dir!“ So überredet Marco die Sängerin ihm das zu geben, was er möchte. Er spielt sich als der Gute auf. Sie lässt ihn gewähren und im weiteren Verlauf erinnert sein Verhalten an Erpressung. Indirekt droht er unvorteilhafte Fotos von ihr zu veröffentlichen, wenn sie nicht mitspielt. Entweder sie beugt sich seinem Willen oder die Fotos landen auf der Titelseite. Methoden, die bei der „Bild“ vermutlich auch zum Einsatz kommen, auch in Verbindung Politikern.
Sie haben in Ihrer Studie „Bild und Wulff – ziemlich beste Partner“ das Wechselspiel zwischen Ex-Bundespräsident Christian Wulff und der „Bild“, das Geben und Nehmen, beschrieben. Wo sollten Ihrer Meinung nach die Grenzen zwischen Journalismus und Politik bzw. Prominenz gezogen werden?
Das wird in dem Stück sehr schön an der Sängerin behandelt. Es sollten eben keine Deals gemacht werden. Es ist durchaus ein Angang, ein Hinweis für die Politik. Wer sich wie Wulff darauf einlässt – sich für Informationen vermarkten lässt – der ist schon auf der abschüssigen Linie. Ich denke das ist eine wichtige Grenze, die gezogen werden sollte. Es muss beidseitig ein professionelles Verhältnis sein. Also: Der Politiker macht seine Politik, informiert darüber, er macht aber keine Deals mit den Medien. Im Fall Wulff haben wir einen sehr langen Zeitraum untersucht. Das ging schon 2006/2007 in der Zeit, als er noch Ministerpräsident, war los. Die „Bild“-Berichterstattung damals war durchweg positiv. Auch nach seiner Scheidung, was ja im konservativen Niedersachsen normalerweise nicht positiv aufgenommen wird, hat die „Bild“ eine ganze PR-Maschinerie für Wulff laufen lassen. Das war ein großer Deal. Wulff und sein Umfeld haben die „Bild“ mit Exklusivinformationen versorgt und dafür hat die Zeitung dann gut berichtet. Ich denke, dass es dabei auch um Informationen aus Wirtschaft und Politik ging und nicht nur um private. Damals war er noch Aufsichtsratsmitglied bei VW und im Parteivorstand. „Bild“ hat sich in der Zeit als Werbeagentur für ihn verstanden und wurde im Gegenzug mit Informationen versorgt. Aber irgendwann war dann Schluss. Sie haben ihn von fallen lassen – von heute auf morgen.
Der Fall Lea aus dem Stück scheint ja ganz ähnlich zu sein. Wie ist Ihre Meinung zu „Seite Eins“?
Ich denke, dass anhand der Sängerin sehr gut geschildert wird, wie Deals gemacht werden, wie schnell sie natürlich auch schiefgehen können. Im Fall Ottfried Fischer hat man gesehen, wie schnell erpresserische Situationen entstehen können, wenn eine einzelne Person sich auf einen Deal einlässt. (Ottfried Fischer hatte mit der Bild kooperiert, damit ein Sexvideos nicht publiziert wurde. Letztendlich landete der Fall vor Gericht.) Wenn Prominente etwas verkaufen wollen – ein neues Album, ein Buch, egal was – dann sind sie auf „Bild“ angewiesen. Es ist belegt, dass es nennenswerte Auswirkungen auf Bekanntheit und Erfolg hat, wenn die Zeitung es bespricht. Es ist also eine Überlegung wert, Geschäfte mit der „Bild“ zu machen. Aber wenn man sich darauf einlässt, muss man so funktionieren, wie die es wollen. Dieser Mechanismus wird in dem Stück sehr schön herausgearbeitet. Auch der Größenwahn wird deutlich. Der Autor stellt heraus, dass es die „Bild“-Journalisten, bzw. Boulevardjournalisten, sind, die glauben sich um die wahren Probleme kümmern. Sie seien jene, welche die Realität abbilden und sich um die Interessen des Volkes kümmern. Da steckt hinter allem ein unglaublicher Vertretungswahn, ein Volkstribun-Gedanke, der völlig journalismusfremd ist. Ganz zu Beginn des Stückes ist das mit den Plädoyers gegen die guten Menschen wirklich deutlich geworden. Die guten Menschen, die anderen Medien, seien jene, die alles falsch verstehen, während die „Bild“ die Wirklichkeit ans Tageslicht bringe.
Im Stück ist Protagonist Marco davon überzeugt, dass die Boulevardjournalisten jene sind, die dem Volk die Wahrheit sagen. Auszüge aus seinem Plädoyer: „Die sogenannten seriösen Medien haben von dem, was wirklich passiert, keine Ahnung. (…) Überall Pseudoberichterstattung. Hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. (…) Wir nehmen den Leser ernst. Und wir interessieren uns für den Menschen hinter den Geschichten.“
Können Sie einschätzen, wie viel Fiktion und wie viel Realität in „Seite Eins“ stecken?
Ich habe wenige Dinge entdeckt, von denen ich sagen würde, dass es nicht so abgelaufen sein kann. Ein Journalist erzählt ja, wie er arbeitet, wie er sich sieht. Ich weiß nicht, ob die Journalisten, die bei „Bild“ sind, so bewusst mit einer gewissen Aggressivität arbeiten. Ich glaube aber schon, dass es bei so einem Redaktionsteam eine Grundhaltung gibt, die in diese Richtung geht. Ich kann natürlich nicht sagen, ob die Redakteure wirklich so gestrickt sind wie der Protagonist. Aber wie die Geschäfte laufen, die Kaltschnäuzigkeit, die man sich angewöhnen muss, um aus einer banalen Geschichte doch noch etwas Großes zu machen, sind schon realistisch beschrieben.
Ich glaube, das ist alles andere als weltfremd, was dieses Stück bietet.
Könnte man die Studien und das Stück als einen Warnschuss für die Politik betrachten?
Ich finde es gut, dass es so ein Stück gibt und dieses Thema noch in einer anderen Form als einer wissenschaftlichen Arbeit behandelt wird. Ich glaube nur nicht, dass es ein Warnschuss ist, weil die Politiker wissen, wie es läuft. Sie lassen sich sehenden Auges auf diese Sachen ein. Die wichtige Frage ist: Warum machen sie es trotzdem? Was ich noch interessant finde: In dem Stück wird der Deal „Bild“ und Kultur dargestellt. In dem Bereich hat es auch schon eine Tradition. Ich glaube relativ neu ist, dass diese Deals auch in der Politik organisiert werden.
Was können Leser, aber auch andere Medien, von dem Stück und Ihrer Arbeit lernen?
In beidem, sowohl Stück als auch Studie, wird herausgestellt, wie der Mechanismus ist. Das bedeutet nicht, dass ich „Bild“ nicht lesen und konsumieren soll. Der entscheidende Punkt ist: Ich lerne aus beiden Formen, dass ich auf keinen Fall das ernst nehmen soll, was in diesem Produkt geschrieben steht.