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Bücherschreiben mal anders

Seit zwei Jahren frage ich mich, wie man heute noch Bücher schreiben kann. Genauer gesagt, frage ich mich: Wie kann ich heute noch Bücher schreiben? Was ich aber mit der anderen Frage verbinden würde, die dann etwa lauten könnte: Wie kann man in Zukunft noch Bücher schreiben?

Darf ich mich vorstellen? Ich bin Internettheoretiker und Über-die-Zukunft-Nachdenker und daher beschäftigen mich diese Fragen auf zwei unterschiedliche Weisen: Einerseits bin ich allgemein daran interessiert, wie die Zukunft der Publizistik und damit die Zukunft des Buches aussehen wird. Anderseits bin ich mit meinen Thesen persönlich abhängig von den gegebenen Publikationsmöglichkeiten, die mir die Gegenwart bietet.

Als Internettheoretiker bin ich dafür bekannt, den Kontrollverlust zu attestieren. Meine Vorhersage ist, dass wir über kurz oder lang jede nur denkbare Kontrolle über Informationsströme verloren haben werden. Daten, von denen wir nicht wussten, dass es sie gibt, finden Wege, die nicht vorgesehen waren und sagen Dinge aus, auf die wir nie gekommen wären. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass der Versuch, diese Kontrolle zurückzuerlangen, uns viel eher in eine dystopische Zukunft führen würde, als die Akzeptanz des Kontrollverlustes. Das ist auch das Thema meines Buches. Ich will darüber schreiben, wie wir in einer Welt, in der wir keine Kontrolle mehr über Informationen haben, dennoch zusammenleben können. Je schneller wir dieses „neue Spiel“, wie ich es nenne, verstehen, desto weniger Schaden wird der Kontrollverlust anrichten.

Negative Effekte für den Einzelnen

Im Bereich des Urheberrechts haben wir gerade erst mit ACTA einen Versuch der Rückgewinnung der Kontrolle über Informationen stoppen können, der viele negative Effekte für die Freiheit des Einzelnen gehabt hätte. Auch im Bereich des Datenschutzes gibt es immer wieder solche gefährlichen Überlegungen, aber meist nicht mit so viel Lobbydruck wie beim Urheberrecht. Um diesen Strategien einen Riegel vor zu schieben bin ich sogar dafür, das Urheberrecht ganz abzuschaffen, wie ich vor einiger Zeit bei „Spiegel Online“ schrieb.

Andererseits möchte ich als Theoretiker aber möglichst breit gelesen und verstanden werden. Das klappt auf den digitalen Kanälen eigentlich ganz gut. Aber in Deutschland erreicht man auf diesem Weg leider nie alle. Viele der Leute, die ich erreichen möchte, kann ich nach wie vor am Besten über das Medium Buch erreichen. Das Buch hat als Medium Renommee und Reichweite, die den digitalen Kanälen noch fehlt. Es hat zudem den Vorteil, dass es mich zwingt, meine Gedanken in einem größeren Rahmen zusammenhängend aufzuschreiben. Das und einige andere Gründe sind gute Argumente ein klassisches Buch zu schreiben.

Das Buchschreiben aber funktioniert traditionell nach einem festgelegten Muster. Man findet einen Verlag, der die Entstehung des Buches mit einem Vorschuß vorfinanziert und am Ende trete ich die meisten meiner durch das Urheberrecht erlangten Rechte an den Verlag ab, der dann versucht das Buch unter die Leute zu bringen. Heute ist das allerdings ein bisschen anders. Während früher Verlage die Aufgabe hatten, Geschriebenes einem möglichst breitem Publikum zugänglich zu machen, ist heute die Aufgabe viel mehr die Verknappung. Der Verlag verteidigt das Buch mit Klauen und Zähnen gegen Raubdrucker und Raubkopierer und begrenzt den Zugang zu den im Buch enthaltenen Informationen. Nur so, glauben viele Verlagsmenschen, könne man noch Geld für den Zugang verlangen. Es dürfte klar sein, dass der Theoretiker in mir hier in einen Konflikt gerät. Ich musste also einen anderen Weg finden.

Dinge tun, die wir wollen

In dem Buch, das ich schreiben will: „Das neue Spiel – Nach dem Kontrollverlust“ soll es genau darum gehen: wie können wir auch im Zeitalter des Kontrollverlusts die Dinge, tun, die wir tun wollen? Das gilt nicht nur für die Privatsphäre nach Snowden. Auch das Schreiben des Buches selbst ist dabei exemplarisch: Wie kann ich die Prozesse, die zu dem Buch führen sollen, so gestalten, dass ich gar nicht die Kontrolle über die Datenströme brauche?

Eine zentrale Erkenntnis, die in meinem Buch verhandelt wird, ist: Man kann das Spiel nicht gegen den Kontrollverlust spielen. Wer versucht, den Kontrollverlust einzudämmen oder einzuhegen, wird nicht nur auf Dauer verlieren, sondern auch nebenbei die Freiheiten der anderen empfindlich einschränken. Es gibt aber auch Strategien, die mit dem Kontrollverlust rechnen, ihn sich sogar zu Nutze machen. Strategien der Transparenz und der Vernetzung, der Öffentlichkeit und der Offenheit.

Diese Strategien funktionieren nicht nur ohne die Kontrolle der Datenströme zu haben, sondern sie Nutzen die Vorteile einer unkontrollierbaren Verbreitung von Informationen aus. Es brauchte einige Zeit des Überlegens bis die Idee, wie ich mein Buch mache, ausgereift war. Es musste eine Idee sein, die einerseits die freie und möglichst weite Verbreitung des Buches bewerkstelligt, gleichzeitig mein Einkommen sichert und dazu auch vollkommen Kontrollverlust- und damit zukunftskompatibel ist.

Drei Schritte

Schritt 1: Ich starte ein Crowdfundigprojekt, so dass ich genug Geld einnehme, um das Buch auch ohne Verlag im Rücken schreiben zu können.

Schritt 2: Ich gebe dem Produkt eine Lizenz, die so frei ist wie das Internet. Dafür habe ich die WTFPDL erfunden. Die „Do What The Fuck You Want to Public Digital License“. Ich gebe jegliche Kontrolle ab, solange es sich um die digitale Version meines Buches handelt. Nur die Rechte für die analoge Form behalte ich mir vor.

Schritt 3: Denn mit den analogen Rechten kann ich dann immer noch einen Verlag suchen, der mir die gewünschte Reichweite und den Sprung aus der Filterblase ermöglicht. Er kann mit der Printauflage (die immer noch den Löwenanteil der Einnahmen der Verlage ausmacht) Geld verdienen, hat ein sehr viel geringeres Risiko und eine Werbekampagne gibt es frei Haus. Ich denke, das ist ein verlockendes Angebot für Verlage.

Schritt 1 und 2 habe ich bereits mit einigem Erfolg ausgeführt (die Crowdfundingaktion läuft noch, aber das Ziel von 8.000 Euro wurden in wahnsinnigen 28 Stunden erreicht.) Ich sammle aber noch bis Ende Januar weiter und versuche die 15.000 Euro zu erreichen und verspreche ein ebenso freies Audiobook zu produzieren. Ich kann bis Ende Januar noch so viel Unterstützung brauchen wie geht. Gemeinsam können wir zeigen, dass Bücherschreiben auch anders geht.

Auch die WTFPDL-Lizenz kommt sehr gut an. Die Idee, die kontrollierbarere analoge Welt von der unkontrollierbaren digitalen Welt zu unterscheiden, scheint für viele Sinn zu machen. Die Leute wissen, dass sie mit meinem Projekt auch frei zugängliches Wissen unterstützen, und gleichzeitig habe ich noch die Möglichkeit die Rechte für die Printversion exklusiv zu verkaufen.

Das Einzige, was noch fehlt, ist der Buchverlag, der sich traut, dieses Experiment mitzumachen. Es gibt aber schon einzelne Interessensbekundungen und vorsichtige Gespräche. Ich weiß, dass ich den Verlagen viel abverlange und dass sie mit meinem Projekt jenseits der bekannten Wege schreiten müssen. Ich glaube aber, dass in der Verlagsbranche auch die Erkenntnis bereits da ist, dass es jetzt die Zeit ist, neue Ideen auszuprobieren. Der Kontrollverlust macht schließlich vor niemandem Halt.


Startnext

VOCER hat nicht nur selbst ein alternatives Finanzierungsmodell, sondern schreibt auch über andere Projekte, die unkonventionelle Wege gehen. Jeden Monat stellen wir ein Crowdfunding-Projekt von der Plattform Startnext vor, das wir für fördernswert halten.

Im Dezember: „Das Neue Spiel – Nach dem Kontrollverlust“: Ein Buchprojekt von Michael Seemann.