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Crowdspondent: Schickt! Sie! Weg!

„Der Online-Journalismus ist kaputt”, so schimpfen einige Journalisten, um Werbung für ihr eigenes Online-Projekt zu machen. Alles kaputt, Krise? „Das glauben wir nicht“, sagen Lisa Altmeier (26) und Steffi Fetz (27). „Eigentlich ist sogar gerade eine sehr spannende Phase, in der sich vieles verändert und Neues entwickelt.“ Und was machen die beiden jungen Journalistinnen daraus?

Sie starten Crowdspondent und rufen: “Schickt uns weg”. Mit ihrem Projekt wollen Fetz und Altmeier den Journalismus aufmischen. Abseits von Schreibtisch, Mainstream-Themen und Agenturmeldungen. Ohne den Auftrag eines großen Medienhauses. Stattdessen lassen sie sich von ihren Lesern um die Welt schicken und nehmen deren Wünsche auf. 2013 ging es mit dem Rucksack für drei Monate nach Brasilien. Im Sommer darauf reisten sie auf Wunsch der Crowd quer durch Deutschland. Sie brachen nachts in einen Hühnerstall ein, berichteten aus einer Schule hinter Gittern, produzierten ihren eigenen Rap und rannten bei einer Demonstration vor der brasilianischen Militärpolizei davon.

In die Welt zog es die beiden schon früh in ihrem Leben. Altmeier, die nicht nur auf Twitter viel redet, wuchs mit vier Geschwistern in Lahnstein bei Koblenz auf. Nach ihrem Abitur verbrachte sie mehrere Monate in Irland. Während ihres Studiums der Medienpsychologie in Köln, wo sie jahrelang Theater spielte, verschlug es sie für ein Semester in die Schweiz. Praktika führten sie in die Tatort-Redaktion, zur Rhein-Zeitung, dem ZDF und zu Puls TV vom Bayerischen Rundfunk.

Fetz, die Ruhigere im Team, wuchs in Bad Windsheim in Franken auf. In Heidelberg studierte sie Politikwissenschaft und Psychologie, schrieb für die dortige Studentenzeitung. Angetrieben von Fernweh und ihrem Interesse für Sprachen ging sie für ein Auslandssemester nach Chile. Auch Fetz machte Praktika beim ZDF und dem Bayerischen Rundfunk. Außerdem schrieb sie für die Main Post und fing bei der Münchener Produktionsfirma vydy.tv an.

Bahntickets, Technik und Pizza

Kennen gelernt haben sie sich 2011 an der Deutschen Journalistenschule in München. Dort entstand ein Jahr später auch die Idee für Crowdspondent. “Allerdings nicht im Klassenzimmer, sondern Abends bei einem Wein”, sagt die 27-jährige Fetz. Ihr Plan: Nicht gleich hinter einem Schreibtisch landen, lieber noch einmal etwas ausprobieren, am liebsten im Ausland. Mit ihrer Idee bekamen sie ein Stipendium des VOCER Innovation Medialabs. 6000 Euro für die erste Reise waren gesichert. In Brasilien berichteten sie darüber, wie sich das Land ein Jahr vor der Fußball Weltmeisterschaft veränderte.

Für eine zweite Tour reichte das Stipendium nicht mehr. Deshalb mobilisierten sie ihre Leser und sammelten Geld per Crowdfunding. Innerhalb von vier Wochen kamen über 5300 Euro zusammen. Angesetzt hatten sie anfangs 4000 Euro: für Bahntickets, bessere Technik und eine Pizza. Ein besorgter Twitterer schrieb: „Davon könnt ihr ja nicht leben, ich möchte, dass ihr meine 20 Euro für eine Pizza verwendet.“

Nicht nur die Finanzierung kommt bei Crowdspondent von den Lesern. Fetz und Altmeier lassen ihre Crowd von Anfang an mitreden: Eigene Ideen vorschlagen, diskutieren und am Ende online abstimmen, welche Themen umgesetzt werden. Die Leser spielen mit: „Findet einen vegetarischen Brasilianer, Bonuspunkte gibt’s wenn ihr einen vegetarischen brasilianischen LKW Fahrer findet“, sagt Philip. “Trefft einen Drohnenbauer!”, schlägt Markus vor. „Ortsidee: Was zur Hölle geht eigentlich auf Helgoland?:)“, schreibt Christian über Facebook.

“Kommt sofort in die Tonne. Wir machen keine PR!”

Nicht alle Ideen setzen sie um: Ein großes Tourismus-Unternehmen wollte die beiden für ein Wochenende zum Raften schicken, erzählt Fetz. „Das ist etwas, wo wir gesagt haben: Kommt sofort in die Tonne. Wir machen keine PR!“ Denn unabhängig zu berichten ist den zwei Journalistinnen besonders wichtig – auch wenn das gerne mal falsch verstanden wird.

So warnen etwa die Salzburger Nachrichten in einem Artikel über Crowdfunding: “Solche Konzepte bringen auch Gefahren.” Besonders, wenn Einzelpersonen durch Geldspenden die Themen bestimmen könnten. Bei fremdfinanziertem Journalismus bestehe ein höheres Risiko, dass ein Thema einseitig aufgegriffen würde.

Ist Crowdfunding also Bestechung? “Ein merkwürdiger Vorwurf, weil es einfach nicht stimmt”, sagt die 26-jährige Altmeier. Crowdfunding und Themenauswahl liefen absolut getrennt voneinander. Natürlich ginge auch mal etwas schief, geben Crowdspondent in einer Zwischenbilanz über ihre Deutschlandtour zu. “Manchmal fiel uns auf, dass wir wichtige Fragen nicht gestellt haben. Einmal ist unser Mikrofon ausgefallen. Ein anderes Mal haben wir mitten in der Nacht den Text eingesprochen und klangen wie Schlaftabletten.”

Ihrer Crowd gefällt die unverstellte Art. Wenn sich Altmeier, im Kleid und mit Blümchen im Haar, das Mikro schnappt und ihrem Rap-Lehrer ein “Yo” entgegen pfeffert; oder die ruhigere Fetz beim Besuch in einer Alten-WG mit den Rentnern in schallendes Lachen verfällt. Zwischen 400 und 19.000 Klicks bekommen ihre Videos auf Youtube, dazu kommen die Abrufe in Mediatheken.

Nicht nur den Lesern gefällt dieses Konzept, auch von Kollegen gibt es Lob: Das Medium Magazin wählte Fetz und Altmeier 2013 unter die Top 30 Journalisten unter 30 Jahren. „Unabhängig, authentisch und leserorientiert: „Crowdspondent“ zeigt, wie offener Journalismus und digitale Berichterstattung heute aussehen können“, schreibt das Crowdsourcing-Blog über sie. Auch Redaktionen erkannten Potential: Die ARD bot ihnen im vergangenen Jahr eine eigene Fernsehsendung an, die einmal wöchentlich auf Einsplus lief. Für jetzt.de schrieben sie regelmäßig eine Kolumne über ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten.

Couchsurfen und durchpowern

In Brasilien teilten sie sich ein kleines Zimmer mit Löchern in der Wand und einer achtspurigen Straße vor dem Fenster. Eingequetscht in einem Schrank, ihrem improvisierten Tonstudio, sprachen sie die Texte für ihre Podcasts und Videoreportagen ein. Diskutieren, um Wörter feilschen und Arbeiten gegenseitig kritisieren. Streit, sagen sie, sei nach drei Monaten non-stop zu zweit dennoch nicht aufgekommen.

Es klingt wie ein Traum: Nach dem Studium einfach reisen, ohne drängelnde Redaktion im Rücken, an der Copacabana mit einem Caipi sitzend ab und zu mal einen Artikel für das Blog schreiben. Doch Füßehochlegen ist ein Leben als Crowdspondent nicht. Während ihrer Deutschland Tour produzierten sie jede Woche einen Film, übernachteten alle paar Tage auf einer anderen Couch, schrieben nachts eine Kolumne. „Das war eigentlich ein dreimonatelanges konstantes Durcharbeiten und da waren wir am Ende schon echt sehr fertig“, erzählt Altmeier. Ein ganzes Jahr lang könnten sie das in diesem Tempo nicht durchhalten. Deshalb freuen sind die beiden nach drei Monaten auf Reise auch wieder, in ihre Jobs in München zurückzukehren. Altmeier produziert als freie Journalistin Beiträge für den Bayerischen Rundfunk, Fetz als Redakteurin bei vydy.tv.

Der Journalist als couchsurfender Korrespondent der Leser: Auch wenn das nicht der Ausweg aus der Medienkrise ist und auf Anhieb ein Netzwerk von Auslandskorrespondenten finanziert, ein innovatives Konzept ist es allemal. Crowdfunding funktioniere gut, um eine Initialfinanzierung aufzubauen, sagt Fetz. Was man aber nicht unterschätzen sollte: „Es muss ständig am Laufen gehalten werden.”

Auch 2015 wollen Fetz und Altmeier wieder losziehen, die Crowd im Gepäck. Von Geschichte zu Geschichte reisen, als Journalisten mit Netz-Auftrag. So groß können die Strapazen also gar nicht sein.

Hinweis der Redaktion: Einen Vergleich der Abrufzahlen von Videos aus Brasilien und Deutschland haben wir gestrichen, weil Videos zum Teil mehrfach auf YouTube existieren und außerdem in Mediatheken abrufbar sind.

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