Jörg Pilawa hat als Gottschalk-Nachfolger für „Wetten, dass…?!“ abgesagt. Wie oft wollen wir das wissen? Ein Mal, durchaus, aber jede Woche wieder? „Dschungelcamp“ schlägt „DSDS“, „Unser Star für Baku“ versagt gegen den „Letzten Bullen“ – morgen schon kann es umgekehrt sein.

Wen interessiert all das, außer die Programmmacher selbst, die es in ihrem hausinternen Quotenranking lesen können? Die Auflage der „BamS“ verliert, die von „Landlust“ steigt, Facebook hat ein neues Datenschutzproblem, die Erklärungen sind die alten. Werbung erholt sich, ein bisschen mehr online, dafür weniger Einnahmen. Und weiter? Die entscheidende Frage ist: Cui bono? Für wen schreibt und sendet der Medienjournalismus?

Immer gerne für die eigene Branche. Die interessiert sich für den Chefredakteurswechsel, die abstürzende Quote, das neue Radiokonzept, die skurrilste App. Dafür gibt es Fachdienste und -magazine, von „epd medien“ über „kress report“ bis „Meedia“. Wer nicht auf das gedruckte Objekt hinschreiben und -warten muss, sondern online aktiv ist, verfällt gerne mal in Schnappatmung bei Gottschalk-Quoten, sich schlecht verkaufenden „Focus“-Titeln oder ausnahmsweise gelungenen Werbespots. Die Sonder- und Blitzausgaben verstopfen den Maileingang.

Ist das Medienjournalismus? Teilweise. Fundierte Analysen neben kaum umgeschriebenen Pressemitteilungen, interessante Portraits neben wilden Personalia-Spekulationen, amüsante Sendekritik neben hochgejazzten TV-Formaten. So ist er, der Branchenjournalismus, den brauchen wir, intern, und sortieren aus.

Selbstbespiegelung

Wenn solche Insidergeschichten ins Blatt wandern oder über den Sender gehen – in der ARD gibt es neben der TV-Sendung „Zapp“ rund ein halbes Dutzend Hörfunk-Medienmagazine – dann wird es für den normalen Leser, Hörer, Zuschauer schwierig. Aber die Branche erfährt einmal wieder, dass in der „SZ“-Redaktion ehemalige „Spiegel“-Redakteure sitzen, denen die Personalquerelen in Hamburg noch sehr vertraut sind, dass dem „FAZ“-Kollegen der 23. Entwurf des 17. Rundfunkänderungsstaatsvertrages zugesteckt wurde, dessen drittes Komma im zweiten Absatz Schlimmes befürchten lässt. Und die Rundfunkkollegen haben mit dem Experten gesprochen, der länglich und breit Allgemeinplätze von sich gibt, und die WDR-Intendantin sagt das, was jede Intendantin halt so sagt: bloß nichts Selbstkritisches.

Ist das Medienjournalismus? Nein, das ist Selbstbespiegelung und Kommunikation nach innen, in die Branche, ins eigene Unternehmen: Schaut her, so gut sind meine Kontakte! Die „FAS“ nennt das wenigstens selbstironisch „Die lieben Kollegen“ und beschränkt es auf kleine, meist feine Anwürfe, die wirklich nur Insider nachvollziehen können. Macht halt auch Spaß, andere hochzunehmen.

Aufklärung

Worüber soll, worüber muss ernstzunehmender Medienjournalismus berichten, der sich nicht nach innen, sondern nach außen richtet? Er muss dem interessierten Mediennutzer Zusammenhänge deutlich machen, damit er Medien bewusster wahrnimmt, anders konsumiert, kritischer, aber auch mit mehr Vergnügen: Welche Absichten verfolgen Murdoch oder Zuckerberg? Was passiert hinter den Gütersloher Kulissen bei Bertelsmann, wohin zieht es das ZDF in der Nach-Schächter-Ära? Wo verläuft die Trennung zwischen Information und Werbung, und immer wieder: Was passiert mit meinen Daten im Internet?

Findet der Mediennutzer solche Berichte? Ja, auf den wenigen verbliebenen Medienseiten der Tages- und Wochenpresse, in den ARD-Mediensendungen – das ZDF hat sich aus der Medienkritik leider längst verabschiedet -, aber auch quer durch alle Ressorts, in Politik, Wirtschaft, Kultur, Digitales, Jugend, Buntes. Daneben haben auch unterhaltsame Geschichten um Gottschalk, Jauch und Co. ihren Platz. Sendungen ankündigen oder kritisieren oder neue Zeitschriftenformate vorstellen, das kann man natürlich auch, denn das interessiert die Leser. Aber es gehört zum Service oder zum Feuilleton, nicht zur klassischen Medienkritik. Und auf den Nachdruck von Pressemitteilungen, um Platz zu füllen, sollte man verzichten – den kann man besser nutzen.

Es gibt sie also, fundierten Analysen und investigative Recherchen – der Skandal im Kinderkanal ist ein gutes Beispiel. Es gibt aber auch viel Kongruenz in der Themensetzung. Da beschleicht einen der Verdacht, die Kollegen hätten nicht nur voneinander abgeschrieben, sondern auch bei sich selbst.

Doch gut recherchierte, erklärende Hintergrundgeschichten, spannend geschrieben, verfilmt, vertont, das ist der Medienjournalismus, den wir brauchen: Zum Nutzen der Rezipienten, die immer mehr Medienkonsumenten sind, deren Leben so sehr von digitalen Medien durchdrungen ist, dass sie Aufklärung verdienen, ohne Zeigefinger, ohne Panikmache, mit Empathie.

Selbstreflexion

Selbstreflexion ist ein weiterer Wesenszug, der guten Medienjournalismus ausmacht: Wo sind unsere Quellen, wie glaubhaft sind sie, wie ordnen wir sie ein: Diese Frage müssen wir uns und unserem Publikum nicht erst beantworten, seitdem YouTube-Videos die Krisenberichterstattung vor Ort teilweise ersetzen, ersetzen müssen. Geben wir Fehler, Fehleinschätzungen zu? Viel zu selten – die Ombudsleute und -seiten der US-amerikanischen Presse lassen grüßen.

Ordnen wir uns selbst ein, vermitteln wir dem Leser, Hörer oder Zuschauer unseren Standpunkt, unsere Verortung in Medienunternehmen, die selbstredend interessensgesteuert sind? Kaum. Die Vermischung von Nachricht und Meinung ist im Medienjournalismus besonders ausgeprägt, ob die „FAZ“ gegen die „Zwangsgebühren“ polemisiert, die Springer-Presse den Popanz der „Tagesschau“-App aufbaut oder die „Tagesschau“ so tut, als sei der Kauf von millionenschweren Sportrechten etwas Gottgegebenes, das den Öffentlich-Rechtlichen zusteht. Man muss die Finanzausstattung und das Ausgabengebaren von ARD und ZDF nicht mögen, man kann mit dem Finger auf Verleger zeigen, die glauben, ihr Geschäftsmodell durch eine Klage gegen publizistischen Wettbewerb schützen zu können – aber man muss dem Rezipienten erst einmal die Fakten liefern – und dann die Meinung dazu als solche kennzeichnen.

Nachhaltigkeit

Politiker zeigen besonders gerne auf „die Medien“, die ach so böse, so falsch, so häppchenweise berichten. Den Schuh braucht sich niemand anzuziehen, aber wir alle sollten uns viel mehr hüten, die nächste Mediensau durchs Dorf zu treiben – und sie so schnell zu vergessen, wie das Politiker mit ihren Vorschlägen tun. Nachhaltigkeit im Medienjournalismus, nachhaken, was aus Missständen, Entwicklungen, Personen geworden ist, wäre ein lohnendes Ziel.

Früher war nicht alles besser, aber vieles anders: In den achtziger Jahren, als das duale Rundfunksystem entstand, jagten Medienjournalisten den Scoops hinterher: Wer bekommt welche Frequenz, wer kauft welchen Sender, wer macht welchen Deal? Medienpolitik und -wirtschaft waren spannend, an Konzernen wie dem von Leo Kirch konnte man sich abarbeiten, an Medienpolitikern wie Edmund Stoiber reiben. Bis Ende der Neunziger gab es personell gut ausgestattete Medienredaktionen in den großen Zeitungen und Magazinen, in der dann folgenden Medienkrise wurde gerade auch an den Medienseiten gespart. Manche Publikation sparte sie sich gleich ganz, die anderen sparten an Personal und Honoraren. Das hat sich nicht wesentlich geändert, inzwischen ist Online hinzugekommen, bindet Kräfte in den Redaktionen.

Andererseits sind Medienblogs entstanden, die ihrerseits gute Geschichten ausgraben, Missstände aufdecken oder Debatten anstoßen. Leider hat es bislang keiner davon geschafft, jenseits der Fachöffentlichkeit wirklich wahrgenommen zu werden. Das könnte sich ändern – wenn denn die Finanzierung dieser Art von Journalismus gesichert wäre.

Ob wir Medienberichterstattung in Print oder Online, im Radio oder Fernsehen, in Fachdiensten oder Publikumspresse verantworten, immer wieder müssen wir uns selbstkritisch genau diese Frage stellen: Für wen schreiben, für wen senden wir? Cui bono? Die Antwort ist nicht statisch, sie wandelt sich, so wie sich die Medienwelt wandelt.