Das analoge Denken der Paid-Content-Skeptiker
Weltweit sammeln sich die Paid-Content-Skeptiker hinter einem zentralen Argument. Und das lautet: Paid Content kann nicht funktionieren, weil es so viele kostenlose Inhalte im Netz gibt. Der Gedanke scheint zwingend – Widerspruch ist kaum zu vermelden. Das ist bei einem derart simpel gestrickten Analogieschluss erstaunlich. Denn das Argumentationsmuster stimmt schon dann ganz offensichtlich nicht, wenn man darin beispielsweise ‚Content‘ durch ‚Fußball‘ ersetzt: „Eintrittskarten für Bundesligaspiele lassen sich nicht verkaufen, weil es so viele kostenlose Fußballmatches (an jedem Wochenende und auf jedem Dorf-Sportplatz) zu sehen gibt“. Diese Behauptung erscheint absurd, denn Fußball (Bundesliga) ist nicht gleich Fußball (Kreisliga).
Aber warum sollte Inhalt = Inhalt sein? Warum greift bei der Argumentation rund um die Frage, ob sich journalistische Inhalte in digitaler Form verkaufen lassen ein Analogschluss, der auf eine andere Sphäre übertragen für jedermann erkennbar unsinnig und auch völlig tatsachenwidrig ist? Was Letzteres – die Tatsachen – betrifft, ist die Situation beim Thema Paid Content schwieriger. Es gibt noch nicht so viele harte Fakten. Und die, die bekannt werden, sind sicher nicht verallgemeinbar.
Die Faktenlage spricht nicht gegen Paid Content
Dennoch ist es wert einmal fest zu halten, dass einerseits die überwiegende Menge der Nachrichten rund um Paid Content Erfolgsgeschichten sind („New York Times“ und „Financial Times“ aus dem englischsprachigen Raum, „Mediapart“ in Frankreich, „De Correspondent“ aus Holland, E-Paper-Wachstum in Deutschland). Andererseits sind die veröffentlichten Meinungen rund um Paid Content keineswegs überwiegend positiv. Bisher lässt sich noch jeden Tag ein mehr oder weniger prominenter mehr oder weniger Experte damit zitieren, dass Paid Content nicht funktionieren könne, weil es allerorten so viele kostenlose Angebote gebe.
Nutzer zahlen trotz kostenlose Alternativen
Das Argument ist formal nicht stimmig, wie die Übertragung in die Welt des Fußballs gezeigt hat. Es ist aber auch mit Hilfe einiger Beispiele aus der Welt der Vermarktung von Inhalten zu widerlegen.
„Guardian“
Ein wichtiger Absatzkanal für Paid-Content-Produkte aus der Welt der Presse ist Amazons Kindle. Auch wenn sowohl die Verlage als auch Amazon selber ein Geheimnis um Absatz- und Umsatzmengen machen, so lassen sich gut verkaufende Produkte dennoch sicher identifizieren. Wie viele andere Web-Shops veröffentlicht Amazon die Rangliste der bestverkaufenden Produkte für den Kindle nach Kategorien. Und im deutschen (!) Kindle-Store findet sich in der Kategorie Zeitungen dauerhaft die Ausgabe der englischen Tageszeitung „The Guardian“. Und das ist hochgradig bemerkenswert, weil der „Guardian“ eine er attraktivsten und umfangreichsten journalistischen Websites überhaupt betreibt und sich ganz offensiv als überzeugter Vertreter der Gratis-Philosophie im Web gibt. Ganz offensichtlich gibt es also eine Nachfrage nach kostenpflichtigen digitalen Inhalten des Guardian, obwohl diese auch gratis im Netz abrufbar sind.
„Der Postillon“
Ein weniger prominentes Beispiel für Bezahlbereitschaft trotz inhaltsgleicher, kostenloser Alternativen ist das App-Angebot des brachial-satirischen Blogs „Der Postillon“. Unter Google Play finden Android-Nutzer eine kostenlose, durch Werbung finanzierte App zum Lesen der Blog-Inhalte. Alternativ gibt es auch eine kostenpflichtige App, die Werbefreiheit verspricht. Auch wenn die Anzahl der Downloads für beide Versionen nicht öffentlich ist und sicher davon ausgegangen werden kann, dass die kostenlose App mehr Nachfrage generiert: Die kostenpflichtige App ist Deutschlands meistgekauftes Verlagsangebot unter den kostenpflichtigen Google Play Apps. Noch vor „Auto Bild“, diversen regionalen und überregionalen Zeitungen und einer Vielzahl von Special-Interest-Magazinen, die diesen Vertriebskanal sehr aktiv bespielen. Auch der „Postillon“ zeigt also, dass Onliner sehr wohl bereit sind, einen entsprechenden Mehrwert (Werbefreiheit) zu bezahlen, obwohl die Inhalte alternativ auch kostenlos abrufbar sind.
Software-CDs auf Computerzeitschriften
Computerzeitschriften befinden sich in Deutschland zur Zeit in einer massiven Auflagenkrise. Der Grund dafür dürfte aber weniger das Angebot an kostenlosen Informationen im Internet sein als eine starke Veränderung in den Bedürfnissen der Techniknutzer. In Zeiten von Tablets und Smartphones, On-Demand-Cloud-Diensten und Apps, Windows 8 und iOS ist der Bedarf an Tipps und Tricks rund um Desktop-Computer schlicht deutlich geringer. Ein Computer funktioniert heute einfach und ist kein Gerät, für das man ein Experte sein muss oder eben ein durch Experten-Journalisten aufgeklärter interessierter Technik-Laie.
Aber: In den vergangenen zehn Jahren verdankten Computerzeitschriften ihre Auflagenerfolge regelmäßig den aufgespendeten Datenträgern (CDs, DVDs) – zunächst eine, dann zwei und schließlich auch mal drei Silberscheiben. Anfang der 2000er Jahre war die Software auf den CDs für Otto Normalverbraucher vermutlich tatsächlich nicht so einfach anderswo kostenlos zu haben. Die Beigaben stellten damit einen alternativlosen Zusatznutzen dar. Aber seit der großflächigen Verbreitung schneller Internetzugänge dürften über 90 Prozent der auf den CDs enthaltenen Programme nur eine Google-Suchanfrage entfernt jedermann kostenlos zugängig sein. Und dennoch sind die Datenträger bis heute entscheidende Absatztreiber und augenscheinlich unverzichtbar. Und damit ein weiteres Beispiel, dass durch passende Verpackung und Formatierung und Redaktion anderswo kostenlose Inhalte in eine Form gebracht werden könne, für die Nutzer zu zahlen bereit sind.
Pay-TV
Die Diskussion um die Einführung von Pay-TV in Deutschland Anfang der neunziger Jahre war strukturell sehr vergleichbar mit der aktuellen Diskussion um Paid Content. Das zentrale Argument war auch damals: es gibt so viele kostenlose Fernsehangebote, ein Bezahlangebot kann da nicht funktionieren. Ob ein Bezahl-TV-Angebot in Deutschland wirtschaftlich funktioniert ist bis heute nicht positiv zu beantworten. Sky (ehemals Premiere) schreibt hierzulande immer noch rote Zahlen. Aber die ‚magische‘ Grenze von drei Millionen Abonnenten ist mittlerweile deutlich überschritten. Angesichts dieser Zahlen wird also niemand mehr ganz grundsätzlich in Abrede stellen können, dass es sehr wohl möglich ist, kostenpflichtige Fernseh-Angebote zu vermarkten, obwohl es ein breites und hochwertiges, kostenloses Angebot öffentlich rechtlicher und privater Sender gibt.
Was heißt das für Paid Content?
Sind das nun Belege dafür, dass Paid Content die Generalantwort auf die gegenwärtige Verlagskrise ist? Sicher nicht. Ob Paid Content für alle oder nur für bestimmte Medienangebote die zentrale Strategie für die Zukunft sein wird, ob es die einzige, die wichtigste oder nur eine von mehreren Umsatzquellen darstellen wird, ja sogar, ob es überhaupt akzeptiert werden wird, das alles ist zum heutigen Zeitpunkt nicht vorherzusehen. Aber ganz gewiss ebenso wenig kann vorhergesehen werden, dass es nicht funktioniert. Das Argument mit den kostenlosen Angeboten, die eine Monetarisierung unmöglich machen sollen, ist ein Trugschluss. Die falsche Analogie zeigt vor allem eins: Paid-Content-Skeptiker denken oft ‚analoger‘ als die von ihnen kritisierten Anhänger bezahlter Verlagsprodukte.