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Das Internet macht Spaß!

Wer heute Journalist ist oder es werden möchte, sieht sich zwangsweise mit der Forderung konfrontiert, die digitale Welt wie seine Westentasche zu kennen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Schon an Tag eins meines Studiums haben unsere Dozenten gepredigt: dass nicht nur die Zukunft des Journalismus im Digitalen läge, sondern dass bereits seine Gegenwart zwischen Facebook, Twitter, YouTube und Tumblr stattfinde. Deshalb nahmen sie uns auch in die Pflicht, die Vielzahl von Social-Media-Diensten nicht bloß kennen zu lernen, sondern Teil der Communitys zu werden. Um die Zusammensetzung und Eigenarten der jeweiligen Social-Media-Spähren zu verstehen. Und um schließlich von diesem Verständnis zu profitieren.

Natürlich stellten wir diese Forderung in Frage: Aus welchem Grund sollte es uns angehenden Journalisten von Nutzen sein, ein WordPress-Blog mit Content zu füttern? Bei Twitter Replys zu senden oder Hashtags zu verwenden? Oder bei Facebook eine Unternehmensseite einzurichten? Spätestens seit ich im Berufsalltag angekommen bin, weiß ich all diese Aufgaben während des Studiums sehr zu schätzen. Heute weiß ich: Wer ohne Schwimmflügel im digitalen Fahrwasser der Social-Media-Dienste mitschwimmen kann, profitiert ungemein davon. Wer den Umgang mit der digitalen Welt gewohnt ist, erfährt früher von neuen Trends. Macht schneller Quellen ausfindig. Oder gelangt an spannende Protagonisten und Geschichten, an die man in der analogen Welt nur mit sehr viel Glück gekommen wäre.

Ein entscheidender Vorteil der intensiven Nutzung von Social-Media-Diensten respektive des Internets wird meiner Meinung nach jedoch noch immer unterschätzt: Das Netz kann unseren journalistischen Alltag ungemein bereichern und unseren persönlichen Antrieb befeuern. Der Austausch mit Communitys kann uns persönlich bestärken. Das Internet macht unseren Journalistenalltag spannender.

Arbeiten wie bei Star Trek

Machen wir es konkret: Als ich vor ein paar Jahren die Standardpraktika in den Lokalredaktionen von Tageszeitungen absolvierte – in Redaktionen also, in denen Social Media und das Internet im Allgemeinen eine Nebenrolle spielten – sah der journalistische Arbeitsalltag so aus: Um 10 Uhr morgens fand sich die Redaktion zur Themenkonferenz zusammen. Auf Basis dessen, was  die Redakteure persönlich als relevant erachteten, wurden Themen für die nächste Ausgabe entwickelt. Der Chefredakteur teilte diese Themen auf, die Redakteure machten sich an die Recherche. Fuhren zu Interviews, führten Telefonate. Schließlich tippten sie ihre Artikel. Die Artikel gingen in die Produktion. Die Ausgabe wurde gedruckt. Am nächsten Morgen gab es die Blattkritik, bei der die Redakteure ihre Artikel im Vergleich zu denen anderer Medien bewerteten. Dann ging es an die Arbeit für die nächste Ausgabe.

Fad fand ich diesen Berufsalltag keineswegs. Immerhin setzten sich die Redakteure täglich mit neuen Themen auseinander, sie lernten neue Menschen und Geschichten kennen. Doch geschah alles – von der Auswahl der Themen bis zu deren Kritik – lediglich im Kosmos der Redaktion. Feedback gab es fast ausschließlich von Seiten der Kollegen. Man kritisierte und lobte sich untereinander. Es war wie bei „Star Trek“: Die Redaktionscrew blickte auf den Planeten Leserschaft hinab und sendete, ohne auf Antwort zu warten.

Dank des Internets und der Vielfalt an Social-Media-Kanälen sieht mein Arbeitsalltag heute zum Glück anders aus: Um 8 Uhr stehe ich auf, und der erste Handgriff gilt meinem Smartphone, das auf dem Nachttisch liegt. Darauf rufe ich bei Google E-Mails ab, stelle einen ersten Kontakt mit der Außenwelt her. Beim Frühstück schnappe ich mir dann das iPad und checke Facebook, Twitter und die Blogs, die ich regelmäßig lese: zum Beispiel das amerikanische Netzwerk „Gawker„, „Mashable„, „Buzzfeed“ – um zu erfahren, was gerade Kultur- und Tech-mäßig im Netz vor sich geht. Danach setze ich mich an meinen Rechner und lese Nachrichten bei den Großen: „Spiegel Online“, „Zeit Online“. Bei all dem habe ich nicht nur die redaktionellen Inhalte im Blick, sondern ich achte auch darauf, was die Communitys der einzelnen Dienste und Websites zu sagen haben.

Anstatt im Kosmos der Redaktion zu überlegen, welche Themen für die Leser spannend sein könnten, befrage ich die Leser selbst. Und wenn ein Artikel fertig ist, verfolge ich in den Communitys die Diskussion darüber. Ich frage nach, wenn ich Kritik nicht verstehe. Zuweilen diskutiere ich Themen auch mit einzelnen Lesern privat weiter. Dieser direkte Austausch hat natürlich auch seine Nachteile: So ernst ich das Feedback der Communitys nehme, umso härter trifft es mich, wenn es negativ ausfällt. Trotzdem: Wenn ich es mir finanziell leisten könnte, würde ich sofort ausschließlich für Online-Medien schreiben. Weil ich in der digitalen Welt nicht gefangen bin im Kosmos einer Redaktion. Weil ich ständig Feedback von der Leserschaft bekommen kann. Weil ich für Fehler bestraft, für gelungene Artikel aber weitaus befriedigender belohnt werde, als wenn ein Kollege mir für einen guten Artikel auf die Schulter klopft.

Das Internet macht Spaß – das ist ein Impuls, den uns unsere Dozenten damals auch hätten mitgeben sollen. Und das sollten wir uns auch immer wieder vor Augen führen, wenn erneut die Forderung laut wird, dass wir uns mit der digitalen Welt intensiver auseinandersetzen müssen: Ja, wir müssen uns Social-Media-Dienste wie Foursquare, Path, Pinterest und Co. öffnen, wir müssen in die Community hineinhorchen und mit ihr zusammenarbeiten. Aber nicht nur, weil es ökonomisch klug ist oder davon das Überleben des Journalismus abhängt – sondern vor allem, es Spaß macht. Weil das Arbeiten mit und im Netz unseren persönlichen journalistischen Alltag bereichern wird.


Dieser Text basiert auf einem Impulsvortrag, die Mark Heywinkel beim Publishers‘ Summit in Berlin vor Vorlegern hielt.