Das Spiel ist noch nicht entschieden
Innovationen im Journalismus: Wenn die Debatte um dieses Thema kreist, dann schwingt oft Melancholie, wenn nicht gar Depression mit. Die immer wiederholte, dadurch aber noch nicht zutreffende These lautet: Die Geschäftsmodelle des Journalismus sterben aus.
Tom Rachman hat das in seinem furiosen Roman „Die Unperfekten“ gezeichnet: Er beschreibt das Schicksal zunehmend frustrierter Redakteure, die sich gegen das Unvermeidliche stemmen. Zum Schluss ist in der Verlegerfamilie niemand mehr übrig, der sich um die Zeitung kümmert und einzig eine treue Leserin betrauert den Verlust. Düsterer als in den Schlusszeilen des Romans geht es wohl kaum:
Es war ein Geisterort: verlassene Schreibtische und Kabel, die nirgends hinführten, kaputte Drucker, verkrüppelte Bürorollstühle. Mit stockenden Schritten ging Ornella über den verdreckten Teppichboden und stand eine Weile am Redaktionstisch, auf dem noch immer verschmierte Korrekturfahnen und alte Zeitungsausgaben lagen. In diesem Raum war einmal die ganze Welt gewesen. Jetzt war hier nur noch Müll.
Die Zeitung – die täglichen Nachrichten von der Idiotie und der Brillanz der Spezies Mensch – hatte nie zuvor eine Verabredung nicht eingehalten. Jetzt war sie weg.
Das ist natürlich Fiktion. So muss es nicht enden. Und so wird es nicht enden, wenn wir heute klug handeln.
Dass wir in Deutschland weniger über journalistische Innovationen reden, hat auch damit zu tun, dass das Zeitungssterben an uns bislang vorbeigegangen ist. Und auch sonst halten derart lustvolle Zerfallszenarien einer näheren Betrachtung und einer historischen Einordnung nicht unversehrt stand.
Ein Mut machendes Bild
Ich bin Leif Kramp und Stephan Weichert dankbar, dass sie in ihrem „Innovationsreport Journalismus“ (PDF) ein differenziertes und in Teilen sogar Mut machendes Bild zeichnen. Und ich danke auch Norbert Bicher aus der Stabsstelle Medienpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass derartig perspektivische Forschung gefördert wird.
Denn dass sich „ökonomische, medienpolitische und handwerkliche Faktoren im Wandel“ befinden, wie es im Untertitel heißt, ist unbestritten. Die offene Frage ist, ob dadurch die Leistungsfähigkeit des Journalismus steigt oder sinkt. Dieses Spiel ist nicht entschieden.
Unbefleckten Journalismus gab es nie
Ich bin optimistischer als manch anderer. Den unbefleckten Journalismus, dessen Verlust manche beweinen, hat es nämlich streng genommen nie gegeben. Journalismus ist immer auf Medien angewiesen gewesen und musste manches Mal auch trotz der Medien möglich gemacht werden – um ein Bonmot von Roger de Weck abzuwandeln.
Im Regelfall aber ergänzten sich die beiden Logiken: Die Medien- und Verlagshäuser sorgten für den materiellen, technischen und logistischen Unterbau, die Redaktionen leisteten ideelle und dennoch handfeste Beiträge zum gesellschaftlichen Gespräch und manchmal sogar zur allgemeinen Sinnsuche.
Wann immer sich auf einer Seite dieser Gleichung etwas verschob, waren Kassandrarufe zu hören. Vielleicht noch nicht als 1605 der Drucker Johann Carolus in Straßburg eine Lizenz zum Zeitungsdrucken beantragte, um seine Druckmaschinen besser auszulasten -, aber ganz sicherlich schon, als die ersten Journalisten anfingen, nicht bloß Nachrichten zu kopieren, sondern gelehrte Artikel schrieben und später mit der Gartenlaube und anderen Publikationen gar Service- und Unterhaltungsthemen angingen.
Und als im 19. Jahrhundert neue Drucktechniken höhere Auflagen ermöglichten und die tendenzlosen Generalanzeiger erfunden wurden, geißelten Zeitgenossen die „Amerikanisierung“ des deutschen Zeitungsmarktes.
Kein Grund zur Gelassenheit
In den siebziger und achtziger Jahren, als über die Einführung des privaten Fernsehens diskutiert wurde, befürchtete man das Amüsement bis zum Tode. Und jetzt aktuell droht der Journalismus in den Fluten des Internet zu ertrinken.
Bislang ist es noch jedes Mal gelungen, die Leistungen des Journalismus nicht nur zu retten, sondern ihm gleichzeitig auch neue Möglichkeiten auf neuen Medienplattformen zu ermöglichen. Dieses historische Wissen darf aber beileibe kein Grund zur Gelassenheit sein. Denn so fundamental wie heute waren die Veränderungen wahrscheinlich seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern nicht mehr.
Aus meiner Sicht beobachten wir aktuell mehrere Megatrends, deren Perspektive jeweils ambivalent ist:
Das globale Internet ermöglicht den Zugriff auf Informationen in einem bislang nicht dagewesenen Ausmaß. Einerseits bekommt ein klug betriebener Datenjournalismus neues Futter und neue Präsentationsplattformen, andererseits erhöht sich die Gelegenheit für Bürgerinnen und Bürger, direkt aus den Primärquellen zu schöpfen.
Die zunehmende Verschmelzung journalistischer Darstellungsformen in crossmedialen Produktionskontexten befreit Journalisten einerseits aus traditionellen technischen Beschränkungen, erhöht aber andererseits auch den technikgetriebenen Verwertungsdruck. Das erfordert neue Kompetenzen und Organisationsformen, die Journalismus entweder besser oder abhängiger machen können.
Die neuen technischen Möglichkeiten senken einerseits die Hürden vor der Publikation, erhöhen aber die qualitativen Anforderungen an den Produzenten ebenso wie den Aufwand, um tatsächliche Reichweite zu generieren.
Und – wahrscheinlich die gravierendste Veränderung: Die zunehmende Loslösung der journalistischen Kommunikation von einem verkaufbaren Medium, erhöht zwar die individuelle Reichweite, bedroht aber auch potenziell die Finanzierungsmöglichkeiten journalistischer Arbeit und damit die Perspektiven des Journalismus insgesamt.
Orientierung in der Datenflut
Wir stehen als Gesellschaft vor der Aufgabe, diese Gleichungen in die richtige Richtung aufzulösen: zugunsten eines technisch versierten und kommunikativ kompetenten Journalismus, der Orientierung in der Datenflut liefert, dabei Spaß macht und wirtschaftlich reüssiert.
In diesem Sinne brauchen wir die Debatte über neue Finanzierungs- und Geschäftsmodelle, über neue Organisationsformen und über neue Darstellungslust, um Journalismus fit für das 21. Jahrhundert zu machen.
Dass der „Innovationsreport“ an einem Ort vorgestellt wird, an dem Journalisten ausgebildet werden (Anmerkung der Red.: der Macromedia Hochschule in Hamburg), darf dabei durchaus programmatisch verstanden werden. Ohne kompetente Journalistinnen und Journalisten, die sich gleichsam als Anwälte gesellschaftlicher Diskurse begreifen und Öffentlichkeit herstellen, wird es tatsächlich eng für den Journalismus.
Hier müssen wir uns als Gesellschaft kümmern und Verantwortung übernehmen, um die angemessene Vermittlung unseres gesellschaftlichen Zeitgesprächs, unserer „conversation of democracy„, wie die Amerikaner sagen, zu gewährleisten.
Dieselbe Messlatte wie vor 400 Jahren
Ein abschließender paradox ermutigender Hinweis sei erlaubt: Selbst die lustvollen Zerfallszenarien, die wir allerorten auf den Medienseiten lesen, können uns Mut machen. Denn wer den Verfall beschreibt, braucht eine Messlatte an der er die vermeintlich wahrgenommene Wirklichkeit misst. Diese Messlatte scheint auch 400 Jahre nach dem Erscheinen der ersten täglichen Tageszeitung noch erstaunlich breit akzeptiert. Sie formuliert die gesellschaftlichen Erwartungen, an denen wir Journalismus messen und vor deren Hintergrund wir ihn auch finanziell und materiell absichern müssen – ohne seine Freiheit einzuschränken.
Wirklich Sorgen machen müssten wir uns erst, wenn keiner mehr den Tod des Journalismus prophezeit. Dann könnte er tatsächlich gestorben sein.
Insofern kann selbst die eingangs zitierte Melancholie systemstabilisierend sein, wenn sie nicht in innovationsfeindliche Larmoyanz umschlägt, sondern Motor der permanenten Erneuerung des Journalismus bleibt.
Dies ist eine gekürzte Fassung des Grußwortes von der Veranstaltung „Der neue Journalismus: Wie das Internet einen Beruf revolutioniert“ in Hamburg am 12. April 2012.