Datenjournalismus 2012: Mühen der Ebene
Als Genre hat sich Datenjournalismus im vergangenen Jahr weiter etabliert. Vier Aspekte halte ich dieses Jahr für besonders bemerkenswert:
1. Datenjournalismus in Deutschland
Die hierzulande erste Datenjournalismuskonferenz zeigte, dass auch im deutschsprachigen Raum eine Community zum Thema herangewachsen ist. Zwei Tage lang ging es im März beim Gastgeber Gruner & Jahr in Hamburg um „Daten & Recherche„. Die Fachkonferenz, ausgerichtet vom Netzwerk Recherche, drehte sich um Austausch, Ansätze und Werkzeuge. Der Effekt solch eines Zusammentreffens von über hundert Personen ist schwer zu messen. Meinem Eindruck nach trug es dazu bei, dass Thema Datenjournalismus in hiesigen Redaktionen mehr zu verankern. Und die Haltung ihm gegenüber zu ändern: Gefragt wird nicht mehr „Warum sollte man datenjournalistisch arbeiten?“, sondern „Wie macht man das?“.
2. Globale Entwicklungen
International war auch einiges los. So wurde Ende Mai der erste internationale Datenjournalismuspreis verliehen. Und vor allem erschien das „Data Journalism Handbook“. Die Idee dafür war Ende 2011 entstanden; Mitte 2012 lag nun die fertige Onlinefassung vor; mehr als 30 Autoren aus verschiedenen Ländern brachten Analysen, Herangehensweisen und Tutorials dafür ein. Das Buch, organisiert vom European Journalism Center, steht kostenfrei im Netz; ebenfalls gibt es eine gedruckte Version. Mittlerweile wurde das Buch in mehrere Sprachen übersetzt. Es zeugt von einer lebendigen internationalen Data-Driven-Journalism-Szene, die sich derzeit vor allem aus Personen aus Nordamerika und Westeuropa zusammensetzt – mit einer deutlichen Männerlastigkeit.
Doch gibt es auch auf dem afrikanischen Kontinent Bewegung: Eine erste African News Challenge fand im Herbst statt. Die scheint bislang eher im Sinne von Entwicklungszusammenarbeit zu funktionieren und wurde von außen hereingetragen. In Südamerika läuft es mit Datenjournalismus in manchen Ländern anders: In Buenos Aires stieg im Spätsommer eine Hacks/Hackers „Media Party“ mit 400 Teilnehmern.
3. Großereignisse
Es gab dieses Jahr einige Großereignissen, die zum Austoben in Sachen Daten einluden: Im „Guardian“ wurde hinsichtlich der Olympischen Sommerspiele gefragt: „London 2012: is this the first open data Olympics?“ Und es gab eine Reihe von bahnbrechenden Ideen und Visualisierungen zu sehen. Um nur eine zu nennen: Der Lauf aller männlichen 100-Meter Medaillengewinner aller olympischen Spiele gegeneinander in der „NYT“. Das Naturereignis des Hurrikans Sandy, das mit der Endphase des US-Präsidentschaftswahlkampfs zusammentraf, schlug sich nicht zuletzt in diversen Kartenvisualisierungen nieder.
Großartig war dabei (als nicht unmittelbar Betroffener) die bereits einige Monate zuvor erschiene „Wind Map“ im Auge zu behalten. Die kann auch als Beispiel dafür herhalten, wie Visualisierungsideen weitergedacht werden: Eine interaktive Grafik zur Wählerwanderung der „NYT“ zeigte sich eindeutig von der Wind Map inspiriert.
4. Big Data
Die Wortschöpfung „Big Data“ hat 2012 endgültig Einzug in das Hype-Wörterbuch gehalten. Wie so oft sind solche Begriffe zweischneidiger Natur: Sie sind nützlich, weil sie einen offensichtlichen Trend markieren. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, eben diesen aufzubauschen und zu verwässern. Große Datenmengen spielten im US-Wahlkampf jedenfalls eine große Rolle. Einmal brachten sie den ersten Datenjournalismus-Star hervor: den Statistiker und Journalisten Nate Silver; der mit nüchternen Methoden in seinem Blog „Fivethirthyeight“ bei der „New York Times“ sehr exakt den Wahlausgang voraussagte.
Aber auch die Techniker des Wahlkampfteams von US-Präsident Barack Obama wurden mit Lob überschüttet. Vom „Triumph der Nerds“ war die Rede. Neben dem Aufbau einer gewaltigen Online-Infrastruktur gelang es ihnen nicht zuletzt durch schlaue Datenanalyse, Helfer und Wähler zu aktivieren. Es gab allerdings auch Stimmen, die der ganzen Aufregung etwa Erdung verschaffte: Tom Steinberg, Leiter der britischen NGO „MySociety“, erinnerte an den „Unterschied zwischen der Entscheidung, sein technologisches Können anzuwenden, um einen bestimmten Kampf zu gewinnen. Und dem Versuch, die Arbeitsweise des demokratischen Systems zu verbessern oder Menschen zu helfen sich selbst zu organisieren, damit sie mehr Kontrolle über ihr eigenes Lebens übernehmen können“.
Fazit
Selbstredend hantierten zahllose Medien dieses Jahr mit Daten, und es gab einiges mehr zu sehen; hier allen gerecht zu werden, würde den Rahmen sprengen. Wen das Thema interessiert, der lese das Hashtag #ddj (data-driven-journalism) auf Twitter mit. Oder schaue sich diese Übersicht an – sie macht deutlich, wie „Guardian“ und „New York Times“ dieses Jahr zur Höchstform aufliefen.
Meiner Beobachtung nach steht Datenjournalismus hierzulande vor den Mühen der Ebene: Das Konzept ist bekannt, es wird Austausch gepflegt, und Methoden sowie Tools werden sich von mehr und mehr Journalisten angeeignet. Auch erwärmen sich mehr Programmierer für das Thema.
Allerdings herrscht Mangel: Weder gibt es wie in den USA Datenwerkzeuge und -plattformen à la Document Cloud, Overwiew oder das Pandaproject, die zeitungsübergreifend genutzt und weiterentwickelt werden. Was sich zumindest ändern soll: Eine „Arbeitsgruppe Pandaprojekt“ will beim internationalen Open Data Hackathon im Februar 2013 das Open-Source-Tool Pandaproject für den deutschsprachigen Raum anpassen.
Doch bleibt unklar, ob viele Medienhäusern bereit sind, Datenjournalismus bei sich zu integrieren; sprich Mittel und Personal dafür aufzubringen. In diesen Zeiten anhaltender Verunsicherung der Zeitungsbranche ist längst noch nicht ausgemacht, dass das Format als Chance für den digitalen Journalismus erkannt und genutzt wird.
Der Beitrag erschien zuerst im „Jahrbuch Netzpoltik 2012“ von „netzpolitik.org„.