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Der dritte Weg der Medienkritik

Ist die Medienpublizistik nur eine Randerscheinung? Oder wird sie nicht gerade wegen der aktuellen Umwälzungen im Mediensektor immer wichtiger? Welche handwerklichen und institutionellen Perspektiven hat das Orchideenfach unter den journalistischen Disziplinen des Publikums? Und wie kann der Diskurs über die gesellschaftlichen Folgen des digitalen Medienwandels auch angesichts der neuen Beteiligungsmöglichkeiten dauerhaft gefördert werden?

Über die Notwendigkeiten und Hürden eines so genannten „dritten Wegs“, also einer alternativen Finanzierung, wird seit einer Weile in einem eigenen VOCER-Dossier diskutiert. Dabei geht es den meisten der beteiligten Autoren nicht etwa um eine Dauersubvention der Presse durch Steuergelder, wie es etwa der Journalismusforscher Stephan Ruß-Mohl und andere Kollegen befürchten. Mit einer „staatlichen Alimentierung“ wären die Finanzierungsalternativen des dritten Wegs nur unzureichend beschrieben, denn den Befürwortern geht es nicht um einen „Staatsjournalismus“. Vielmehr soll sich das schwierige Geschäft des Journalismus zunehmend an zivilgesellschaftlichen Refinanzierungsansätzen orientieren, die sich vorrangig auf kostenintensive journalistische Angebote und schwergängige Orchideenfächer wie die Medienpublizistik beziehen, die sich über kurz oder lang am Markt alleine nicht behaupten können.

Die stiftungsfinanzierte Redaktion „Pro Publica“, die seit ihrer Gründung 2007 vor allem durch Investigativrecherchen und die Enthüllung von politischen Skandalen auffällt, ist, wenn man so will, das Ergebnis dieses dritten Weges der Journalismusfinanzierung, der gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten neuen Auftrieb bekommt: So erklärte Paul Steiger anderthalb Jahre nach der Gründung von „Pro Publica“, er fände es wichtig, „wenn Philanthropen und Stiftungen die Unabhängigkeit der Demokratie in diesen harten Zeiten stärken“. Damals, im September 2008, begann sich die US-Immobilienkrise gerade in einen globalen Finanztsunami auszuweiten, der auch im Mediensektor für Verwerfungen sorgte: Massenentlassungen waren an der Tagesordnung, die Köpfe rollten vor allem in den teuren Rechercheabteilungen, Reporter in der ganzen Nation wurden gefeuert, Auslandsbüros geschlossen. Unter dem Eindruck der empfindlichen Schwingungen auf den Finanzmärkten, die bald auch in Europa Wellen schlugen, betonte der Chefredakteur der Investigativredaktion:

Die Wirtschaftskrise hat zwar einige Vermögen dezimiert, aber als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, gab es immer noch etliche Milliardäre in Deutschland. Ich sehe also keinen Grund, warum so etwas wie „Pro Publica“ nicht auch in Deutschland, in Italien oder in Frankreich funktionieren sollte.“

Gewiss ist „Pro Publica“ ein Nischenangebot, eine Luxusoase für investigative Recherche und sicher kein Role Model für die aktuell arbeitende Tagespresse – aber genau darum geht es ja: Alternative Geldquellen für journalistische Angebote zu erschließen, die in diesen Zeiten möglicherweise keinerlei Chance zum Überleben hätten, aber dennoch einem öffentlichen Interesse dienen.

Vor allem die kritisch mit Medien befasste Berichterstattung, die unter anderem die fortschreitende Digitalisierung des Journalismus und ihre gesellschaftlichen Folgen analytisch aufgreift, erscheint in Deutschland schon seit längerem als defizitär: Trotz des vergleichsweise vielfältigen Angebots ist die Medienpublizistik chronisch unterfinanziert, kraftlos und mitunter interessengesteuert. Hinzu kommt, dass eine kontinuierliche Selbstreflexion über Medienqualität, aufbereitet für ein breites Publikum, meist nicht als zentrales Anliegen der Allgemeinbildung behandelt wird, dass das von Medienwächtern beackerte Lieblingsthema „Medienkompetenz“ eher in Spezialisten-Zirkeln verhandelt wird und eine öffentliche medienpolitische Debatte, etwa über die Folgen der Vertrustung globaler Medienkonzerne, so gut wie nicht mehr stattfindet.

Mehr als in anderen Tätigkeitsfeldern im Journalismus erscheint daher nicht nur die Einbindung der Nutzer in einen steten Kommunikationsprozess vielversprechend, sondern auch die stärkere zivilgesellschaftliche Unterstützung durch Bildungseinrichtungen, Stiftungen und Mäzene, die eine von ökonomischen Imperativen entkoppelte Medienpublizistik fördern wollen: Die Überführung in eine gemeinnützige Struktur würde nicht nur die Funktion des Medienjournalismus als Moderator des digitalen Strukturwandels stärken; er könnte auch wieder stärker zu seiner Rolle als Qualitätstreiber finden, von dem wesentliche Impulse für die Innovierung des Handwerks ausgehen und der der Branche zugleich als unabhängige Kontrollinstanz erhalten bleiben.

Die fünf möglichen Föderbereiche

1. Die Ära des gedruckten Medienjournalismus scheint endgültig vorbei. Netzbasierte Portale zur Verknüpfung von Medien- und Gesellschaftsthemen wie „Diskurs@“ (DLR), „Bildblog“, das „European Journalism Observatory“ und VOCER helfen nicht nur, den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit und seine gesellschaftlichen Phänomene adäquater aufzugreifen, sondern auch dessen Interaktionspotenzial zu nutzen: Im medienkritischen Diskurs sind heute mehr denn je Partizipation und Nutzerorientierung, Dialog und internationale Vernetzung sowie Meinungsbereitschaft gefragt. Gleichzeitig besteht die Herausforderung im Netz darin, das Metier mit Nachdenkstücken und Analysen ein Stück weit zu entschleunigen (slow media), indem Themen über längere Zeiträume und mit der nötigen emotionalen Distanz reflektiert, vorangetrieben und moderiert werden. Gleichzeitig müssen solche Online-Portale der breiten gesellschaftlichen Basis ein Mitsprache- und Mitmachrecht offerieren.

Besonders reizvoll erscheint, über die Zukunft des Journalismus nicht ausschließlich in Akademikerrunden zu debattieren, sondern Medieninnovationen unmittelbar mitzugestalten. Die medienkritischen Schnittstellen im Netz verbessern damit insgesamt den Qualitätsdiskurs in der Medienbranche im Dialog mit dem Publikum über die Güte journalistischer Produkte.

2. Moderierte Beschwerde- und Ombudsplattformen für medieninteressierte Bürger, aber auch für Medienopfer nach dem Vorbild einer „Stiftung Medientest“ sind ureigener Bestandteil einer zivilgesellschaftlich organisierten Medienkultur. Zwar müsste die Idee dieser Stiftung gehörig entstaubt und den digitalen Umgebungen angepasst werden, weil sie sonst tatsächlich nur ein nebulöses Konzept aus dem „Papierkorb der guten Ideen“ wäre, das nie zu Ende gedacht wurde. Aber mit einem arretierten Ansatz, der die Verschmelzung von professioneller und partizipativer Kommunikation zum eigenen Vorteil nutzt, könnte unter Beteiligung der Nutzer (Crowdsourcing) ein medienkritisches Bürgerforum im Internet geschaffen werden, das mit ihrer Hilfe Informationen zu den Risiken im Umgang mit den Medien in den aktuellen medienkritische Diskurs mit einfließen lässt. Ob die damit verbundenen Erwartungen aufgehen, hängt freilich von der zu entwickelnden Medienkompetenz des teilhabenden Publikums ab.

3. Hochwertige Fellowships für junge Medieninnovatoren wirken im globalen Maßstab nicht gerade wie Mangelware, in Deutschland sind sie jedoch noch unterrepräsentiert – im Bereich der Förderung des medienjournalistischen Nachwuchses bilden verlagseigene Versuchslabore wie das der Springer-Akademie ohnehin die Ausnahme. Neuerungen auf publizistischer, strategischer und praktischer Ebene könnten kontinuierlich vorangetrieben werden, wenn junge Talente unter handwerklicher Anleitung erfahrener Mentoren über mehrere Monate mit innovativen Darstellungsformen, alternativen Geschäftsmodellen und Recherchemöglichkeiten experimentieren könnten, um den Berufsalltag aus einer multimedialen, vernetzten Perspektive kennenzulernen.

Ebenso versierte wie qualifizierte Aus- und Weiterbildungsprogramme in diesem Förderbereich können per se nur abseits der selbstbezüglichen Ausbildungszentren der Medienunternehmen entwickelt werden, wenn sie sich nicht nur als erratisches Rekrutierungsinstrument verstehen, sondern auf ein Medienstudium generale in Kooperation mit gemeinnützigen Initiativen hinwirken wollen. Um sich aus der mitunter eigenwilligen Online-Defensive zu befreien, erscheint hier eine interdisziplinäre Didaktik zielführend, wonach Teams zu bilden sind, die unterschiedliche Schwerpunkte bearbeiten.

4. Eng damit zusammen hängt der personelle und institutionelle Ausbau von Medienlaboren auf Basis von Research-&-Development-Ansätzen, die an Vereine, Institute, Hochschulen oder andere gemeinnützige Initiativen angegliedert werden. Um die aktuellen Trends der Medienbranche aufzufangen und um dem Journalismus neue Impulse zu geben, könnte in solchen Think Tanks und Talentschmieden für Nachwuchsjournalisten und jüngere Kollegen zum einen die innovative Journalistenausbildung im Zeitalter der digitalen Öffentlichkeit durch eine unabhängige Trägerschaft gefestigt werden, indem sie sich in der Gestalt redaktioneller Thinktanks formiert. Zum anderen können solche Labore mit ihren anwendungsbezogenen Recherche- und Forschungsansätzen effiziente Monitoring-Tools implementieren, die eine ebenso kontinuierliche wie reflexive Analyse der internationalen Medienmärkte und ihrer Angebote mit Fokus auf innovativen Anwendungen, Darstellungsformen und Erlösmodellen leisten.

5. Der letzte Punkt betrifft das Engagement von Stiftungen, die sich in den USA erheblich stärker als in Deutschland als journalistische Innovationsbeschleuniger und neue Agenten des Medienwandels begreifen – und damit essentielle journalistische Angebote wie den Lokaljournalismus oder den politischen Journalismus, bereichern, aber damit auch gezielt den Diskurs über Medien und das journalistische Handwerk beflügeln. Im Zuge einer breit angelegten Förderinitiative sind in den vergangenen Jahren eine Reihe Ableger renommierter Ausbildungseinrichtungen entstanden, um der Innovationsträgheit vieler Journalistenhochschulen entgegenwirken, etwa das Knight Center for Digital Media Entrepreneurship an der Walter Cronkite School of Journalism and Mass Communication der Arizona State University, das Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism an der Graduate School of Journalism der City University of New York oder das Tow Center for Digital Journalism an der School of Journalism der Columbia University, die jeweils durch mehrere Millionen Dollar von Stiftungen anschubfinanziert und mithilfe zusätzlicher Privatspenden ausgegründet wurden – vor allem der John S. und James L. Knight Foundation und der Tow Foundation (weitere nennenswerte Stiftungen und NGOs sind: The John D. und Catherine T. MacArthur Foundation, The Pew Charitable Trusts, Open Society Institute). Flankiert wurden diese Fördermaßnahmen oft durch Journalistenwettbewerbe und Stipendien.

Hauptgedanke dieses zivilgesellschaftlichen Engagements in der Journalismusförderung lässt sich vielleicht am besten mit dem Mission Statement umschreiben, das selbstbewusst auf der Homepage der Knight Foundation prangt:

„Knight Foundation supports transformational ideas that promote quality journalism, advance media innovation, engage communities and foster the arts. We believe that democracy thrives when people and communities are informed and engaged. […] Knight Foundation aims to help sustain democracy by leading journalism to its best possible future in the 21st century.“