Der Eiertanz ums NPD-Verbot
Es sind Sätze wie dieser, die bei NPD-Anhängern die Stimmungswogen hochschwappen lassen: Er könne sich „die Stelen des Holocaustmahnmals in Berlin in Zukunft als Grundpfeiler einer neuen Reichkanzlei vorstellen“, sagte ein hochrangiger NPD-Funktionär bei einem Bundesparteitag der braunen Truppe in Bamberg. Die Reaktion: tosender Applaus.
Wer sich als Berichterstatter in die braunen Reihen der NPD-Anhänger bei einem ihrer Parteitage hineinbegibt, wird schnell erfahren, dass die braunen Kameraden ihren Antisemitismus, ihren Zynismus, ihre Menschenverachtung nicht hemmungslos herausposaunen, sondern ihn quasi mit jeder Pore ausschwitzen. Wenn dann noch, wie beim Aschermittwochstreffen der NPD 2009 im Saarland „geistige Getränke“ (man mag den Begriff in diesem Zusammenhang kaum in den Mund nehmen) eine Rolle spielen, bringt ein Blut-und-Boden-Fanatiker wie der Vorsitzende der NPD- Fraktion im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, mit seinem dummdreisten Geschwätz von „muselmanischen Samenkanonen“ und seiner Aufforderung, die braune Ideologie zu verteidigen mit „Herz, mit Verstand und wenn nötig auch mit Hand“ den Saal zum Kochen. Eine Rede, die Pastörs nicht nur vor den Kadi brachte, sondern ihm in Parteikreisen zugleich den Spitznamen „wandelnder Verbotsgrund“ einbrachte.
Wörterbuch des Unmenschen
Und das nicht ohne Grund – auf den 268 Seiten des NPD-Verbotsantrages sind Zitate des Mannes der sich auf der Internetseite seiner Fraktion seiner „geschliffenen Rhetorik“ rühmt, häufig zu finden. Hunderte von Belegen solcher und ähnlicher Partei-Absonderungen finden sich in dem Dokument. Wer es liest, meint eine aktualisierte Ausgabe des „Wörterbuches des Unmenschen“ in Händen zu halten.
Die Liste der dort zitierten NPD-Protagonisten ist lang. Und es ist beruhigend zu wissen, dass braune Funktionäre wie Pastörs, Voigt, Wulff, Richter und viele andere nicht auch noch auf der V-Mann-Liste der Nachrichtendienste stehen, denn sonst hätten sie dort nicht erwähnt werden dürfen. Doch das „Who is Who“ der rechten Hetzer ist alles andere als vollständig. Und das dürfte im braunen Sumpf künftig für reichlich Spekulationen sorgen. Findet sich der ein oder andere nur deshalb nicht auf der Liste wieder, weil seine (ihre?) Spitzeltätigkeit ein Ausschlussgrund war? Sollte der NPD-Verbotsantrag auf diese Weise Hader, Zwietracht und Misstrauen in den rechten Reihen gesät haben, wäre das ein gewiss nicht unerwünschter Nebeneffekt.
Und trotzdem ist manches an den Begleitumständen dieses Papiers irritierend: Zum Beispiel das Zaudern einiger Innenminister bei der „Testierung“: Nicht jeder war bereit, per eigener Unterschrift zu versichern, das V-Leute an der Komposition des Antragsmaterials nicht beteiligt waren. Mancher wollte stattdessen lieber die Spitze der jeweiligen Verfassungsschutzbehörde unterschreiben lassen – um im Fall des Scheiterns den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können.
Die Hasenfüßigkeit der Politiker
Ein Eiertanz, der in dreifacher Hinsicht bedenklich stimmen muss. Denn er wirft erstens ein Schlaglicht auf das erkennbare Misstrauen manches Spitzenpolitikers in die Amtsführung der eigenen Sicherheitsbehörde. Zweitens lässt diese Hasenfüßigkeit eben die Courage vermissen, die im Konfliktfall Politiker immer wieder von der Zivilgesellschaft einfordern. Und es macht drittens deutlich, wie groß die Sorge ist, dass das Verbotsverfahren am Ende vor Gericht doch noch scheiten könnte. Und dafür gibt es, allen vollmundigen Ankündigungen zum Trotz zumindest einen guten Grund: In ihrem Verbotsantrag betreten die beiden Professoren, die das Papier erarbeitet haben, juristisches Neuland:
Bisher war man bei der Diskussion über ein NPD-Verbot davon ausgegangen, dass es auch mit dem anerkannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang stehen müsse. In die Alltagssprache übersetzt: Der Eingriff in Grundrechte muss im „Lichte der Verfassung“ in nachvollziehbarer Weise angemessen sein, um eine Gefahr für die verfassungsgemäße Ordnung abzuwehren. Ob ein Verbot der NPD unter diesem Blickwinkel zwingend ist, kann man angesichts der schwinden Bedeutung des braunen Klüngels durchaus bezweifeln. Oder anders formuliert: Man sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Mit diesem Verfassungsgrundsatz aber wird im NPD-Verbotsantrag gebrochen – und zwar aus Gründen der Gesetzessystematik: „Bei Beeinträchtigungen des ‚Wie‘ des politischen Handelns politischer Parteien sind Verhältnismäßigkeitserwägungen fehl am Platz. Für die Frage nach dem ‚Ob‘ ihrer Existenz stellt Art. 21 Abs. 2 GG eine abschließende lex specialis dar, welche die Voraussetzungen eines Verbots exklusiv normiert“, heißt es in dem Papier. Aus der Juristensprache übersetzt bedeutet das: Wann eine Partei verboten werden kann steht in Art. 21. Abs 2 des Grundgesetzes. Die Voraussetzungen dafür sind hoch – aber wenn sie erfüllt sind, ist das Verbot die rechtlich zulässige Folge. Im Gutachten heißt es dazu: „Der Verfassungsgeber hat selbst entschieden, dass das Verbot ‚verhältnismäßig‘ ist, wenn die hohen tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind“.
Juristisch ausgeklüngelt
Würde es sich bei dem Papier nicht um einen Verbotsantrag, sondern um eine Doktorarbeit handeln – die juristische Herleitung dieser Betrachtungsweise hätte gewiss die Bestnote „magna cum laude“ eingeheimst. Doch wichtig ist bekanntlich „auf dem Platz“: Ob diese Argumentation den Praxischeck auf dem Rechtsanwendungstresen des Bundesverfassungsgericht überstehen wird, ist die entscheidende Kehrseite dieser Medaille. So ganz scheinen die beiden Professoren den eigenen Argumenten selbst nicht über den Weg zu trauen – immerhin haben sie „hilfsweise“ eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angefügt, die die Verbotsforderung stützen soll.
Dass hier der sprichwörtliche „Hase im Pfeffer liegt“, hat mittlerweile auch bei den Innenministern die Runde gemacht. „Das ist eine Argumentation, für die es bisher noch keinen Anwendungsfall in der Praxis gibt. Wie das Gericht darüber denken wird, das kann bisher niemand vorhersagen“, kommentierte einer von ihnen kurz vor Weihnachten den Argumentationsstrang der beiden Professoren.
An der Materialsammlung selbst dürfte das Verfahren nicht scheitern – die Lektüre ist bedrückend und erschreckend und viele Beispiele sind seit langem öffentlich zugänglich – durch die Berichterstattung engagierter Medien. Es hätte keiner Materialsammlung bedurft, um sich ein Bild von der Menschen verachtenden Weltsicht der NPD und ihrer Anhänger zu machen. Braucht es da wirklich noch ein Verbot der braunen Truppe?