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Die Macht der Bilder

Fernsehen dient als Kompass, zur Selbstvergewisserung, zur Strukturierung, zur Zerstreuung, zur Affektsteuerung… In diesem Dossier sind schon so viele Stärken des Fernsehens versammelt, so viele komparative Vorteile gegenüber anderen Medien zur Information und Unterhaltung, dass für mich nach allen pragmatischen oder romantischen Ansätzen die dankbare Möglichkeit bleibt, über die gesellschaftliche Bedeutung des Fernsehens zu schreiben.

Um Widerstände abzubauen, gleich vorweg: Auch wenn ich die weit verbreitete Geringschätzung des Fernsehens, wie es in Deutschland gemacht und geschaut wird, nicht teile und obwohl ich Fernsehen für unverzichtbar halte, heißt das nicht, dass wir aus meiner Sicht in der besten aller möglichen TV-Welten leben. Mir geht es hier und heute darum, was Fernsehen kann, besonders darum, was Fernsehmacher können und nicht darum, ob sie immer und überall ihre Möglichkeiten nutzen und ihre Aufgaben erfüllen.

Mehr Bilder als bei Gutenberg

Es spricht viel dafür, die Digitalisierung in ihrer Tragweite mit der Erfindung des Buchdrucks zu vergleichen. Aber anders als beim Mainzer Gutenberg geht es bei dieser „Revolution“ nicht mehr in erster Linie um Schrift und Sprache, sondern um Bilder. Die Kommunikation mit Bildern drängt die jahrhundertelange Prägung unserer Kultur durch Texte zurück – Soziologen und Philosophen beschreiben das als den „iconic turn“, die Wende zum Bild. Die wachsende Rolle des Bildmediums Fernsehen wurde schon lange vor der Geburt des Internets mit Begriffen wie „Videokratie“ oder „Telekratie“ problematisiert. Seit die Übertragung großer Datenmengen im Netz kein technisches Problem mehr darstellt, erobern bewegte Bilder in Riesengeschwindigkeit die Welt und sind über Smartphones und Tablets heute fast überall und jederzeit verfügbar.

Wonach Internetplattformen, Verlage, Unternehmen und vor allem die Nutzer jetzt verlangen, ist das, was Fernsehmacher schon immer machen und in der Regel gut können: Bilder, Filme, Einspieler, Mazen, Clips…

Nun gibt es bekanntlich nichts, was man nicht billiger und schneller herstellen könnte. Und einen zweiminütigen Filmbeitrag zu filmen und zu schneiden, das ist kein Hexenwerk. Die Kreativität und das Geschick, die viele „User“ mit ihren Filmen und Clips im Internet beweisen, ist faszinierend und auch für mich ein Quell der Freude. Aber es ist dennoch auffällig, wie viele der bewegten und bewegenden Bilder im Netz dann eben doch von „Profis“ stammen, egal ob es sich um Musikvideos, Kinofilme oder Ausschnitte aus TV-Programmen handelt. Gerade das Fernsehen liefert eben in großen Mengen zuverlässig neue oder faszinierende Bilder in Kombination mit verlässlichen Informationen oder phantasievollen Geschichten – in Formaten und Längen, die auch zwischen YouTube-Clip und Kinoepos liegen.

Wozu noch Fernsehen?

Erste Antwort: Weil in den Fernsehsendern ein professioneller Umgang mit Bildern stattfindet und hochwertiges „gut gemachtes“ Bildmaterial von erfahrenen Kameraleuten, geschickten Cuttern und geistreichen Redakteuren in Zukunft noch mehr nachgefragt sein wird.

Die Faszination der Bilder, ihre große emotionale Macht wurde schon immer bewundert und gefürchtet zugleich. Mit Bildern kann man Menschen berühren, und man kann sie manipulieren. Besonders gelungene „Illusionen“ erzeugen, das kann ein berechtigter Ehrgeiz im Bereich der Unterhaltung sein. Wo es um Information geht, muss der Ehrgeiz genau in die andere Richtung gehen: Bilder sollen etwas zeigen, sie sollen nichts verschleiern, nicht ablenken.

Ein neues Zeitalter der Bilder erscheint vielen Menschen als bedrohlich, als ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten: Eine Aussage kann richtig oder falsch sein. Über ein Bild lässt sich das nicht sagen. Wenn Bilder mehr sagen als tausend Worte, werden sie uns sprachlos machen? Um die Zukunft der schreibenden Kollegen muss man sich unter diesen Umständen mehr Sorgen machen, als um „das Fernsehen“. Ich halte auch ihre Aufgabe für unverzichtbar. Und es ist ihre Professionalität, die guten Journalismus und gute Texte garantiert. Aber alle Klagen über die Dominanz der Bildmedien, die meiner Meinung nach eher noch zunehmen wird, richten wenig aus. Wir sollten uns vielmehr darum kümmern, Instrumente und Fähigkeiten zu entwickeln, die uns helfen, mit Bildern genauso kritisch umzugehen, wie wir es alle mit Texten zu tun gelernt haben. Die meiste Erfahrung im kritischen und selbstkritischen Umgang mit nachrichtlichen und dokumentarischen Bildern ist, so behaupte ich, in den Fernsehsendern versammelt – mit Verlaub: In den öffentlich rechtlichen Sendern.

Kritische, verlässliche Augen

Wozu noch Fernsehen? Zweite Antwort: Weil Kameramänner, Reporter, Korrespondenten, Cutter und Redakteure kritisch mit Bildern umgehen können.

Ich kann aus meiner Erfahrung im „heute journal“ urteilen: Dort werden Bilder auf ihre Echtheit überprüft. Dort wird diskutiert, ob man Bilder überhaupt senden soll, und wenn man das tut, wie man es am sinnvollsten macht. Dort wird überlegt, wie man Bilder anordnet und einordnet, welchen Text man dazu schreiben und sprechen muss. Dort wird festgelegt, ob man zur weiteren Erklärung ein Interview oder ein Schalt-Gespräch braucht. Beim Erstellen von Grafiken wird geprüft, wo ein gutes „Schaubild“ wirklich viele Worte sparen könnte. Es wird gegrübelt, wie man auch sogenannte „bildschwache“ Themen zu ihrem Recht kommen lässt. All das findet dort täglich als praktizierte „Bild-Kritik“ statt. Weil meine Kollegen um die manipulative Macht der Bilder wissen, kennen sie auch ihre große Verantwortung gegenüber dem Zuschauer.

Einen reflektierten, kritischen Umgang mit Bildern kann man erlernen – das gilt für Journalisten und Zuschauer. Es muss aber auch Institutionen geben, in denen diese Kritik gefordert, gefördert und honoriert wird. Eine dieser Institutionen, eine ihrer wichtigsten, ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Von Hubert Burda stammt der Satz: „Wo sich Kommunikation verändert, verändern sich die Fundamente der Gesellschaft“. Es ist gut, wenn das Fernsehen und seine Macher Veränderungen mitvollziehen, es ist aber auch gut, wenn sich die Gesellschaft auf ihre Expertise im professionellen und kritischen Umgang mit dem Bild verlassen kann.