Die Massenkommunikation-Trends 2019: Kontinuität im Wandel

So radikal sich die digitale Medienumgebung verändert, umso größer werden die Unsicherheiten der Nachrichtenbranche ob passender Rezepte für ein Publikum, das sich in seinen Mediennutzungsgewohnheiten immer stärker unterscheidet und damit kaum noch als Massenpublikum anzusprechen ist. Diese Entwicklung ist besonders eindrücklich an den Ergebnissen der Langzeitstudie Massenkommunikation von ARD und ZDF nachzuvollziehen, die seit über 50 Jahren in 5-Jahres-Abständen ein repräsentatives Sample der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren befragt, wie es massenmediale Angebote nutzt und welche Einstellung es dazu entwickelt hat.

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Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die Ergebnisse der aktuellen Trendstudie Massenkommunikation von ARD und ZDF.

Dass unter Nachrichtenanbietern der Bedarf an Diagnosen zum volatilen Medienhandeln insbesondere jüngerer Bevölkerungsschichten steigt, ist regelmäßig auf Fachtagungen und Branchenkongressen zu beobachten. Die Medienkommission von ARD und ZDF reagierte bereits 1997 auf die wachsende Bedeutung des Internet auf die Veränderung von Mediennutzungstrends. Doch das Mit- statt Nebeneinander analoger und digitaler Medien in individuellen Medienrepertoires der Nutzer*innen und die Crossmedialität von Formaten zeigte bald die Grenzen eines nach den Einzelmedien Fernsehen, Radio, Print und Internet strukturierten Untersuchungsdesigns. Gerade die angebotsspezifische und funktionale Vielfalt des Netzes ließ die Wahrnehmungsdimensionen Video, Audio und Text in den Vordergrund rücken.

Seit dem Jahr 2017 führt eine Projektgruppe der Medienkommission jährlich eine Befragung durch, bei der nicht die Mediengattungen, sondern diese grundlegenden Dimensionen der Medienwahrnehmung von Nutzer*innen im Mittelpunkt des Interesses stehen, auch weil die wohl gravierendsten Veränderungen in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen mit der allmählichen Integration des Internet in den Lebensalltag registriert wurden. Die jährlich erhobenen „Massenkommunikation Trends“ bilden zusätzlich auch die Bedeutung des nicht-medialen Internets in den Medienrepertoires der Nutzer*innen ab. Darunter versteht die Projektgruppe vorrangig „Shoppen, Spielen, Surfen“ sowie Formen und Anwendungen wechselseitiger Kommunikation wie mittels Sozialer Netzwerke, Kurzmitteilungdiensten und Chats.

Die aktuellen Daten für das Jahr 2019 zeigen keine Trendwende im Medienhandeln junger Menschen, es gibt allerdings Hinweise darauf, dass Jugendliche und junge Erwachsene nicht etwa klischeehaft einen kommoden Berieselungscharakter in ihrem Mediennutzungsverhalten verfallen, sondern sehr wohl an medialen Inhalten in einer starken Diversität – auch hinsichtlich der Darstellungsform – interessiert sind. Die wichtigsten Ergebnisse der Trendstudie Massenkommunikation für Nachrichtenanbieter mit Blick auf die junge Zielgruppe:

  • Glaubwürdigkeit ist eine kostbare Währung, Spaß und Unterhaltung ist aber auch lieb und teuer
    Junge Menschen differenzieren deutlich zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich-kommerziellen Medienanbietern und weisen ihnen nahezu gegensätzliche Kompetenzen zu: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stehen für das Gros (auch bezüglich der digitalen Angebote) für hohe journalistische Qualität, Wissenswertes aus Forschung, Technik, Geschichte und Natur, hohe Relevanz für die politische Meinungsbildung und für zuverlässige und glaubwürdige Informationen – hier gibt es bei einem größeren Anteil der jüngeren Befragten Zustimmung  als bei allen übrigen befragten Alterskohorten. Die privaten Anbieter punkten dagegen in den Kategorien Spaß und gute Laune, Entspannungs-Qualitäten und gute Unterhaltung. Auch werden die kommerziellen Angebote von einer Mehrheit der jungen Zielgruppe im Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen als unabhängiger von Staat, Politik und Wirtschaft eingestuft – bei den ältesten Befragten über 70 verhält es sich genau anders herum.
  • Alle gehen und alles geht online
    Gleichzeitig manifestiert sich der digitale Medienumbruch: Jugendliche und junge Erwachsene nutzen an einem gewöhnlichen Tag immer seltener analoge Medienangebote, sondern wenden sich mehrheitlich und regelmäßiger Online-Angeboten zu. Nutzten im Jahr 2017 noch 59% der 14- bis 29-Jährigen Audio-, Text- und Video-Inhalte im Netz (im Vergleich zu 25% aller Befragten), liegt das Verhältnis 2019 bei 78% (im Vergleich zu 41%). Für wechselseitige Kommunikation und andere Online-Nutzung stieg der ohnehin hohe Anteil leicht auf 85% der jüngeren Nutzer*innen.
  • Weniger Mediennutzung, aber am längsten im Netz
    Mit Blick auf die Mediennutzungsdauer deutet sich an, dass das Bild einer jungen Generation, die unablässig mit Medieninhalten konfrontiert ist, zumindest in Abgrenzung zur Gesamtbevölkerung hinkt: Die befragten 14- bis 29-Jährigen gaben durchschnittlich eine tägliche Nutzungsdauer von etwa sechs Stunden an, was letztlich mehr als 50 Minuten unter dem durchschnittlichen Tages-Pensum der Gesamtbevölkerung liegt. Dafür sind die Jüngeren offenbar tatsächlich „always on“: Ihre Online-Nutzungsdauer liegt trotz langsamer Aufholjagd der Älteren mit fast dreieinhalb Stunden am Tag für mediale Inhalte aus dem Netz auf einem deutlich höheren Niveau. Doch der eigentliche Treiber bleibt die wechselseitige Online-Kommunikation unter den Nutzer*innen.
  • Der Ton macht die Musik.
    Audio ist bei den Jüngeren mit fast drei Stunden am Tag Nutzungsdauer die populärste Angebotsform. Es folgen Video (151 Minuten) und Text (63 Minuten). Bemerkenswert ist sicherlich, dass sich die 14- bis 29-Jährigen in ihren Präferenzen von der Gesamtbevölkerung zum Teil deutlich unterscheidet: Video wird in von allen Befragten im Mittel 51 Minuten länger pro Tag genutzt (insg. 202 Minuten). Dabei verbringen die Jüngeren im Vergleich täglich 9 Minuten länger mit der Rezeption von Textinhalten.
  • Streaming als Programm
    Wenn Video für die Jüngeren eine Rolle spielt, dann bei den etablierten Streamingdiensten, den einschlägigen Mediatheken der Fernsehsender und bei Videoportalen wie v.a. YouTube, aber kaum auf anderen Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram. Zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen schauen sich Bewegtbildangebote bei Abrufdiensten an. Nur noch etwa ein Drittel der Jüngeren schaut Fernsehen zum Zeitpunkt seiner linearen Ausstrahlung.
  • Podcasts haben unausgeschöpftes Potenzial
    Wenn Audio so wichtig ist für die junge Bevölkerung, dann auch Podcasts? Bedingt, denn im Vergleich zu anderen Audio-Inhalten schneidet das Audio-Format marginal ab: Nur 6% der Jüngeren hörten am Vortag der Befragung einen Podcast oder eine Radiosendung zeitversetzt im Netz. Doch immerhin ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen geben an, mindestens einmal pro Woche einen Podcast zu hören. Das ist deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung verbreitet. Viel populärer sind aber das herkömmliche Radio (50%), Streaming-Dienste wie Spotify (30%) oder YouTube (12%). Das Interesse junger Menschen gilt dabei hauptsächlich der Musik, nicht Informationsangeboten.
  • Leselust unter neuen Vorzeichen
    An Ambivalenz gewinnen die Ergebnisse der Trend-Erhebung bei der Frage nach der Nutzung von Textinhalten: Überraschen mag, dass Unter-30-Jährige im Mittel zumindest etwas länger pro Tag Texte lesen als alle übrigen Befragten. Dabei macht sich der Unterschied vor allem am Lesen von Artikeln und Berichten auf Social-Media-Plattformen wie Facebook fest: Hier werden junge Menschen doppelt so häufig mit Artikeln und Berichten in Textform erreicht als die Gesamtbevölkerung. Die Reichweite von Print-Angeboten kann bei der jungen Zielgruppe dabei mit nur 5% (im Vergleich zu 24% in der Gesamtbevölkerung) aber unter ferner liefen verbucht werden.
  • Der Medientag wird (in Teilen) neu strukturiert
    Im Tagesverlauf bestätigen sich hergebrachte Regeln: Der Abend gehört dem Fernsehen bzw. non-linearem Bewegtbild übers Internet, wobei die die Jüngeren schon nachmittags gerne Videos im Netz abrufen; morgens wird Radio gehört, auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Bei diesen bestimmt über den Tag hinweg das Musikstreaming den Takt. Und doch drängt der Wandel: Artikel und Berichte werden von der jüngeren Bevölkerung nicht mehr klassischerweise wie die Zeitung (oder das ePaper) morgens, sondern hauptsächlich abends gelesen und zwar über die Timelines ihrer Social-Media-Profile.

Fazit

Die Massenkommunikation Trends sind eine Reaktion auf den beschleunigten Wandel der Medienumgebung, in der sich digitale Angebote immer stärker ausdifferenzieren. Sie sind auch eine Reaktion auf den eklatanten demographischen Bruch in der Mediennutzung: Junge Menschen haben einen anderen Zugang zu Medienangebote als ältere. Sie stellen mit ihrer radikalen Orientierung ins Internet etablierte Nachrichtenbieter vor die Herausforderung, ihre Rolle im intermedialen Wettbewerb neu zu definieren. Dabei bereitet ihnen Schwierigkeiten, dass in erster Linie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kaum noch zwischen klar voneinander abgrenzbaren Kontexten der Mediennutzung unterschieden werden kann: Sie ist situationsbezogen, geprägt durch persönlichen Austausch mit anderen Nutzer*innen und zum überwiegenden Teil abruforientiert. Das führt zu verschiedenen Problemen, aber auch Chancen:

  • Die Autor*innen der Trendstudie räumen ein, dass im Social Web sowohl die Grenzen unterschiedlicher Kommunikationskontexte (v.a. öffentlich vs. privat) verschwimmen als auch die Grenzen bei der Wahrnehmung nicht-professioneller und professioneller Medieninhalte. Selbst professionelle Inhalteanbieter sind aufgrund der fortschreitenden Ausdifferenzierung des Medienangebotes und immer neuer Marktzutritte nur noch schwerlich zu differenzieren. Dies gilt umso mehr beim nutzerseitigen Wunsch sich verlässlich zu informieren: Durch ein verändertes Aufwachsen in der digitalen Medienumgebung unterscheidet sich die Erfahrung im Umgang mit Nachrichteninhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Teil gravierend von der früherer Generationen, die noch in einer klar differenzierten Medienwelt sozialisiert wurden. Der Erwerb von Nachrichtenkompetenz ist anderen Vorzeichen unterworfen: Es gilt, journalistische Inhalte im Tohuwabohu der virtuellen Angebotsvielfalt überhaupt erst zu erkennen, sie schließlich voneinander unterscheiden zu lernen, ihre Qualitäten und Reliabilität zu bewerten, auf dieser Basis nach den eigenen Interessen und Ansprüchen zielgerichtet aus dem journalistischen Inhaltsangebot auszuwählen und schließlich gar die Vorbedingungen und Einflüsse journalistischer Berichterstattung reflektieren zu können. Nachrichtenanbieter können viel dadurch gewinnen, wenn sie es zu ihrer Aufgabe machen, sich diese Kompetenzförderung auf die Fahnen zu schreiben.
  • Junge Menschen empfinden nach den Ergebnissen der Trendstudie Wertschätzung für klare Markenprofile von Medienanbietern, sowohl für Informations- bzw. Nachrichtenqualität als auch für Unterhaltung- und Eventmerkmale. Doch passen Spaß und gute Laune offenbar noch nicht mit zugeschriebener Glaubwürdigkeit und Exzellenz in der Berichterstattung zusammen. Mit seinem jungen Angebot FUNK versuchen ARD und ZDF dahingehend schon seit einigen Jahren neue Pfade im Journalismus zu beschreiten. Hier lohnt es sich weiter zu experimentieren, auch seitens privater Nachrichtenanbieter, um mit dem Vertrauensvorschuss des jungen Publikums als staats- und politikferne Akteure nicht nur ihre Reichweiten, sondern auch ihre Qualitätsbewertung zu steigern.
  • Video wird von Jüngeren häufig genutzt, doch um im Überangebot der Streaming-Anbieter, Mediatheken und Videoportale aufzufallen, geschweige denn einen Unterschied zu machen, brauchen Nachrichtenanbieter eine einschlägige Expertise und hohe Investitionen. Sie sollten deshalb kritisch prüfen, ob der Markteintritt in den Wettbewerb mit Bewegbildern aus eigener Kraft tatsächlich aussichtsreich ist oder ob sich stattdessen Kooperationen mit etablierten Anbietern im Metier oder Liaisons mit spezialisierten Influencern lohnen. Speziell im Nachrichtengeschäft folgt Video keinem Selbstzweck, sondern die Ansprüche und Erwartungen der Nutzer*innen an inhaltliche und handwerkliche Qualität dürften angesichts des Wettbewerbsumfelds im Streaming-Angebot weiter wachsen. Clip-Content auf Social Media hinterlässt zudem kaum einen bleibenden Eindruck.
  • Text sollte nicht abgeschrieben, sondern im Gegenteil als zentrale Vermittlungsform für die Ansprache junger Zielgruppe wiederentdeckt werden. Junge Leute lesen viel und gern und zwar immer dann, wenn sie etwas wirklich interessiert. Die verbreitete mobile mediale Internetnutzung über Smartphones ist ein weiteres Argument für die (Weiter-) Entwicklung von textbasierten Darstellungsformen für Nachrichten und Hintergründiges. Journalismus darf seine junge Zielgruppe inhaltlich fordern, braucht aber fortlaufend neue Ideen, um sie anzusprechen. Das VOCER Millennial Lab hat hierzu eine methodische Vorgehensweise entwickelt, die Journalist*innen auf Grundlage von Co-Creation-, Ideation- und Design-Thinking-Ansätzen handwerkliche Kompetenzen zur gemeinsamen Ideen- und Formatentwicklung mit Mediennutzer*innen vermittelt und testen lässt.