EEG-Portal: Von Datenmengen, rechtlichen Hürden und offenen Fragen
VOCER: Marvin, Simon, ihr hattet den ambitionierten Plan, innerhalb eurer Stipendienzeit von sechs Monaten ein journalistisches Portal zur Energiewende aufzubauen. Wie weit seid ihr gekommen?
Das kommt stark auf die Perspektive an: Mit dem Portal sind wir zwar längst nicht so weit gekommen, wie wir anfangs vorgenommen hatten. Keine Frage. Wir stießen irgendwann an Grenzen, die wir als freie Journalisten ohne Medienhaus im Rücken nicht zu überwinden wussten. Die andere Perspektive: Zurzeit arbeiten wir beide als Datenjournalisten. Da kann man schon sagen, dass wir weit gekommen sind: Viele Jobs für Datenjournalisten gibt es ja (noch) nicht. Unser VOCER-Stipendium hat uns dabei sicherlich geholfen.
Wie steht es jetzt um das Projekt?
Unser Energiewende-Portal liegt derzeit im Dornröschenschlaf. Einen ersten Prototyp findet man unter Datenwende.org. Allerdings noch mit deutlich weniger Funktionen, als geplant — und noch ohne Einordnung. Es ging nur einmal darum, die Technik zu testen. Wir mussten letztlich einen Großteil unseres Stipendien-Zeit darauf verwendet, ein Konzept zu entwickeln. Die Frage: Was kann man überhaupt aus den Daten machen? Wir sind mit dem Projekt gewachsen, haben sehr viele Tests an den Daten durchgeführt, immer mal wieder etwas ausprobiert und verändert. Die Folge: Der Datensatz war am Ende nicht mehr sonderlich sauber. Dafür haben wir jetzt die IT-Infrastrutkur, die Simon mit Open-Source-Software konzipiert hat. Komplett. Auf dieser Basis können wir die Daten noch einmal neu aufsetzen und auch publizieren. Im Idealfall gemeinsam mit einem Medienhaus. Denn ein solches Energiewende-Portal umzusetzen kostet Zeit, Geld und juristische Expertise. Mehr als wir bisher zur Verfügung hatten.
Was waren die größten Hürden, auf die ihr konkret im Bezug auf die Themen Energie, Wirtschaft und Politik gestoßen seid?
Wir mussten mehrere Datensätzen, die aus Millionen von Einzelinformationen bestehen, in ein journalistisches Produkt gießen. Wir Journalisten denken normalerweise in Geschichten und Einzelthesen, die wir auf ihre Tauglichkeit durch Recherche testen. Ein eigenes Portal aufzubauen, aus dessen Datengrundlage man zahlreiche Thesen und Artikel ableitet, erwies sich als große Herausforderung für uns. Wir hatten da sicherlich gute Ideen im Köcher, nur gab es leider wirklich wenige Menschen, die uns konkret weiterhelfen konnten. Wir hörten oft: “Tolle Idee, super spannend.” Aber wenn man konkret um Expertise bat, wurde es meist still. Deshalb sind wir auch einfach irgendwann mit der Weiterentwicklung steckengeblieben. Wir wussten nicht, wie man das Projekt umsetzen sollte. Hinzu kamen immer wieder technische Herausforderung. Mit einer so großen Datenmenge hatte bisher keiner von uns gearbeitet.
Unser größtes Problem war allerdings ein rechtliches. Wir konnten letztlich die Frage nicht klären, ob wir deutschen Datenschutz einhalten oder nicht. Unser Problem: Wir sitzen auf einem Datenfundus tausender Adressdaten, mit denen wir — weil wir verschiedene Datensätze aus mehreren Jahren miteinander verheiratet haben — sehr genaue Angaben über die Verdienste von Einzelhaushalten aus verschiedenen Jahren machen können. Etwa wie viel eine Photovoltaikanlage auf einem bestimmten Hausdach an staatlichen Zuschüssen erhalten hat. Oder wie viel Geld ein einzelnes Windrad eingespielt hat. Diese und viele weitere Informationen haben wir für abertausende Anlagen.
Im kleinen Datenschutz-Einmaleins lernt man: Daten auf Adress-Niveau darf man nicht veröffentlichen. Also keine Infos, die Rückschlüsse auf bestimmte Personen ermöglichen. Genau das könnten wir aber mit unseren Daten, und fänden gerade das als äußerst interessant für die Öffentlichkeit. Nicht nur aus investigativer Sicht. Sondern auch, weil wir so zum Beispiel auf einer Karte zeigen könnten, wie die Energiewende vor der Haustür der Nutzer unseres Portals vonstattengeht. An dieser Stelle sei noch einmal angemerkt: Wir haben verschiedene öffentliche Datensätze miteinander kombiniert. Informationen also verdichtet.
Die Frage ist also: Dürfen wir die Daten veröffentlichen, weil sie ja auch schon von offizieller Stelle – und zwar wie vom Erneuerbare-Energien-Gesetz gefordert – veröffentlicht wurden, oder haben wir neue Daten geschaffen, die Datenschutz-Kriterien nicht mehr genügen?
Eine weitere Unklarheit über die Adressdaten ergibt sich daraus, dass aufgrund einer kleinen Änderung der Veröffentlichungs-Richtlinien in den aktuellen Jahresberichten der Übertragungsnetzbetreiber wieder keine genauen Adressen ausgewiesen sind, sondern nur noch Postleitzahlen. Über eindeutige Nummern könnten wir diesen Datensätzen aber wieder die Adressen aus älteren Veröffentlichungen zuordnen – doch dürften wir das veröffentlichen?
Wie seid ihr bei der Lösung eurer Probleme vorgegangen?
Wir wendeten uns in den vergangenen Monaten an Datenschützer und Justiziare beim Staat, Verbänden, Medienhäusern. Leider erhielten wir nie eine klare Ansage – oft auch gar keine. Und wir wollten nicht von 250 wütenden Windradbetreibern (oder mehr) verklagt werden, die diese Informationen nicht veröffentlicht haben wollen. Deshalb scheuten wir uns letztlich vor der Veröffentlichung. In solchen Fällen wäre ein Medienhaus, das uns juristisch den Rücken deckt, ein Segen. Als freier Journalist fällt es schwer, dieses Risiko einzugehen. Wer Interesse an einer gemeinsamen Veröffentlichung hat, kann sich gerne bei uns melden.
Das ist der Status-quo. Das Problem mit dem Datenschutz konnten wir bisher nicht lösen. Aber viele weitere Hindernisse haben wir genommen. Etwa wie wir überhaupt mit begrenzten Mitteln Big Data analysieren konnten.
Ebenfalls haben wir viele technische Hürden aus dem Weg geräumt und neue Software kennengelernt. Etwa wie wir in einem bewusst sehr einfach gehaltenem Content-Management-System veröffentlichen, das seinen eigenen HTML-Code generiert. Dabei hat zum Beispiel Marvin auch die Welt des kollaborativen Arbeitens der Coder via Github kennenlernen können. Wir beide sind tiefer in die Welt der NoSQL-Systeme abgetaucht, ein Datenbank-Thema, das Simon schon lange interessierte, für das er aber nie ein geeignetes Projekt zur Hand hatte. Und wir haben gelernt, wie viel Zeit man mit dem Säubern von großen Datenmengen, die leider – wie die uns vorliegenden – in einem schlechten, teilweise inkonsistenten Zustand sind. Dazu haben wir Workflows und sogar etwas Code entwickelt, der diese Arbeiten auch in Zukunft bei anderen Datensätzen vereinfachen könnte.
Welche Anlaufstellen gab es, an die ihr euch wenden konntet?
Wir haben besonders häufig mit Journalisten diskutiert — und unser Fortkommen besprochen. Unsere Mentorin Susanne Amann von Der Spiegel war uns sicherlich eine große Hilfe und auch immer sehr an unserem Projekt interessiert. Auch beim Datenjournalismus-Stammtisch NRW haben wir uns oft Diskussionen mit Redakteuren aus dem Rheinland und Ruhrgebiet gestellt. Und die ein oder andere gute Kritik erhalten. Nur, wie bereits eingangs erwähnt: Mit dem Low-Budget-Aufbau eigener Journalismus-Portale, kennen sich Journalisten nun einmal nur sehr begrenzt aus.
Und mit Projektmanagement haben sie auch nicht unbedingt jeden Tag zu tun. Welche Lektionen fürs Projektmanagement und euren Job nehmt ihr aus der Zeit mit?
Journalismus ist ein Konzept, das enger definiert ist, als viele glauben mögen: Es gibt feste Vorgehensweise, wie man einen Artikel produziert, wie viel Zeit man dafür aufbringt, was ein Beitrag kostet. Mit etwas Erfahrung kann man sogar abschätzen, wie viele Ansprechpartner ein Artikel wohl brauchen wird, damit er sich „rund“ liest. Unser Datenjournalismus-Projekt hat gezeigt: All das zählt nicht mehr, wenn man Journalismus mit großen Datenmengen macht. Für einen Artikel sind unsere Recherche-Infos viel zu ausführlich, ja so ausführlich, dass man ein Buch darüber schreiben könnte. Apropos Journalismus als Konzept: „Das klingt ja alles ganz beeindruckend, aber was ist die Geschichte dahinter?“, war eine typische Reaktion von Journalistenkollegen auf unser Vorhaben. Diese Lektion ist wahrscheinlich eine der wichtigsten für uns, vor allem, wenn es ums Verkaufen eines Projekts geht. Denn wir Journalisten denken meist in Geschichten, und erwarten Geschichten. Doch haben wir uns sehr auf andere Dinge konzentriert als eine konkrete, leicht zu vermarktende Geschichte in den Daten zu suchen – und die Erfahrung zeigt leider: Selbst ein noch nie in dieser Form dagewesenes Portal ist schwer an den Mann oder die Frau zu bringen, solange eben ein schlagendes Argument von Anfang an feststeht: Die Geschichte dahinter.
Wir haben uns viele Gedanken über die Form gemacht, die unser Journalismus einmal annehmen kann: Interaktive Karten, hoch detaillierte Analysen für ganz Deutschland und einzelne Regionen, zudem eine Anlaufstelle für Lokalredakteure, die bei uns Rat und Daten finden konnten. Aber das Gesamtkonzept war für uns nie wirklich schlüssig. Wir haben versucht, Dinge nach und nach aufzubauen — das können wir nur jedem mit auf dem Weg geben. Doch da kommen lange Durststrecken auf einen zu, die man erst einmal überwinden muss. Vielleicht wollten wir zu viel, und auch wenn unsere Vision gerade pausiert, das ganze Darüber-Nachdenken war äußerst lehrreich, um kleinere Datengeschichten daraus in Zukunft abzuleiten. Wir sind sicherer in der Form Datenjournalismus geworden.
Jedem mit einer guten Idee können wir nur raten, sich frühzeitig an ein Medienhaus zu wenden. Das hätten wir sicherlich offensiver verfolgen sollen. Besonders Entwicklungsredaktionen könnten wissen, wie man neue Projekte aus dem Boden stampft. Aber wahrscheinlich wissen gerade auch diese Redakteure, wie zeitintensiv und kräfteraubend dieser Prozess ist. Besonders wenn man ihn neben dem Beruf hobbymässig betreibt.
Welche Kompetenzen muss man eurer Meinung nach mitbringen, um ein innovatives Medienprojekt umzusetzen?
Vier Imperative:
- Entwickelt eine Vision von dem, das ihr einmal als Produkt sehen wollt. Und nähert euch diesem Ziel in Etappen. In diesen Iterationen wird sich die Vision verändern. Man muss damit leben können: Das Produkt wird am Ende ein ganz anderes sein als zuvor auf dem Reißbrett. Das ist ein guter Prozess, auch wenn es sich zwischendurch so anfühlt als mäandere das Projekt wie ein Flussbett.
- Sucht euch ungewöhnliche Teams. Auch das ist ein guter Rat. Bleiben Journalisten unter ihres gleichen, bleibt es bei der Nabelschau. Öffnen sie sich, entstehen neue Ideen. Davon braucht es mehr.
- Habt Lust zu lernen. Es gab einige Phasen dieses Projekts da saß ich (Marvin) staunend mit Simon vor seinem PC. Er gab ein paar Zeilen Code ein, und eine frühe Testversion unseres Portals machte etwas völlig anderes als zuvor. Das war spannend. Wir Journalisten sollten uns öffnen. Nich nur inhaltlich, das ist ja unser täglich Brot. Sondern auch technisch. Es gibt viel zu lernen. Jeder sollte damit besser heute als Morgen anfangen.
- Und letztlich: Zeigt einen langen Atem. Denn Visionen scheitern nie. Sie mögen manchmal pausieren, und irgendwann wird man das Ganze oder auch nur Fragmente davon weiterentwickeln. All das ist Teil eines Prozesses, an dessen Ende ein innovatives Medienprojekt steht. Und so ist es zurzeit auch mit unserem Energiewende-Portal.