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Ein Herz für Redakteure

Ullrich Villinger fährt einen Mercedes-Kombi, schwarz und sauber. Er trägt schmal gestreifte Hemden und bunte Krawatten, manchmal mit dezenten Blumen darauf. Sie sind nicht auffällig, aber auch nicht langweilig, seine Frau sucht die immer aus, damit er nicht alt aussieht. Er ist keine Marke, kein Intellektueller, es sei gut, wenn man weiß, wer Cicero war, sagt er, aber interessieren täte das heute doch eh keinen mehr. Aber gute Arbeit, das ist ihm wichtig. Möglichst schwarze Zahlen schreiben in einem Geschäft, das grade vor allem rote schreibt.

Sein Reich: der Zeitungsverlag Waiblingen (ZVW). Er selbst ist Herr über vier Anzeigenblätter mit einer Auflage von 170.000 Exemplaren und vier Lokalzeitungen, die für die Regionen Waiblingen, Schorndorf, Winnenden und Welzheim erscheinen (Gesamtauflage 43.000). Es könnte ihnen besser gehen, den Blättern, vor zwölf Jahren wurden noch 5.000 mehr gedruckt, aber im Gegensatz zum darbenden Stuttgarter Pressehaus, das seit 2008 rund 30.000 Exemplare Auflage verloren hat oder der sterbenden „Frankfurter Rundschau“ oder der journalistenleeren „Westfälischen Rundschau“, dem toten Magazin „Prinz“ geht es ihnen blendend.

Ullrich Villinger und sein Verlag sitzen im Speckgürtel dessen, was man in den Großstädten „die Provinz“ nennt – Hunderte Quadratkilometer Rems-Murr-Kreis. CDU-regiert, gemütlich, vorgartenschwanger, Einfamilienhäuser mit Rutschen und Wiesen drum rum. Die Abonnenten 50 plus und treu bis zum Tod. Hier leben Familien, deren Kinder an der Schule Theater spielen, Eltern, die in Fußballvereinen kicken und im Chor singen und die spätestens dann die „Waiblinger Zeitung“ abonnieren, wenn sie über Theaterstücke der Kinder, das Regionalliga-Spiel am Wochenende oder Kindergartengebühren berichtet. Wer hierher zieht, wird irgendwann heimisch, und der kauft auch die Zeitungen von Ullrich Villinger, weil sonst keiner über das berichtet, was hier passiert, kein „Spiegel“, keine „Zeit“, keine „Bild“-Zeitung. „Das Lokale ist unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt er. Und das seit mehr als 170 Jahren.

Das iPhone – ein Damoklesschwert

Das Verlagshaus des Waiblinger Zeitungsverlags ist ein Ziegelbau im Industriegebiet Ameisenbühl. Innen viel Glas, viel Licht, viel weiß. Außen Ziegelocker mit hellblauem Schriftzug. Ullrich Villinger sitzt seit 1991 im zweiten Stock ganz hinten links, ein Bild seiner drei Kinder hängt hinter ihm an der Wand, sie tragen Weihnachtszipfelmützen. Schwarze Ledermöbel um einen Konferenztisch. Darauf liegt ein iPhone, das Damoklesschwert des Ullrich Villinger, ein Telefon, die Zukunft seiner Zeitung.

Früher stand der Verlag in der Siemensstraße, bis sie vor sechs Jahren von Bürgermeister Andreas Hesky umbenannt wurde in Albrecht-Villinger-Straße, nach Ullrich Villingers Vater, dem Verleger, dem Waiblinger, von dem seine Weggefährten sagen, er sei ein ganz Großer gewesen: sparsam bis knausrig und voller Großzügigkeit, wenn einem anderen das Herz an etwas hing, die gute Seele von Waiblingen, der Besitzer eines der führenden Verlagshäuser der Region, inhaltlich interessiert, redaktionsaffin, „ein großartiger Mensch“, sagte der Bürgermeister beim Festakt zur Straßentaufe.

Der Sohn ist weniger journalistisch interessiert, er ist eher Kaufmann, und wenn man mit Zahlen umgehen kann, sagt er, sei es letztlich egal, in welcher Branche man arbeite. Für so einen Verlag brauche man allerdings ein bisschen mehr Herz als für eine Bank. Er hat in Verlagen in England gelernt, in Konstanz beim „Südkurier“, in Rheinland-Pfalz, aber er wäre allenfalls in Regensburg länger geblieben, weil diese Stadt mit seinem Waiblingen das Herz und das Fachwerk gemein hat.

Als er angetreten ist, hat er die Anzeigenabteilung aufgestockt, die Außendienstmitarbeiter für die Anzeigenakquise fast verdoppelt. Er wohnt nicht mitten in Waiblingen, sondern weiter draußen. Und er meint, dass es manchmal schon Nachteile hat, wenn man so nah am Arbeitsplatz lebt. Da trifft man immer Leute auf der Straße, die ihm erklären, Ullrich, das und das und das hätte man aber besser machen können. Aber was soll einer sagen, der ein so großes Erbe angetreten hat und es durch eine Zeit führen soll, in der sich alles so schnell verändert? „Ja, man könnte immer irgendwas besser machen.“

Lieber Bohrmaschinen verschenken oder iPads?

Er kennt diesen Verlag von Kindheit an, hat ihn in den goldenen und fetten Zeiten erlebt, als das Zeitungsgeschäft mächtig Gewinn abwarf. Er hat den Verlag übernommen mit großem Respekt vor dieser Aufgabe und Verantwortung, sagt er. Damals liefen nachts nach zwölf noch Testbild und Nationalhymne im Fernsehen. Als dann das Internet aufkam, konnte er sich nicht vorstellen, dass es sich durchsetzt, hatte er doch grade seine Redaktionen mit modernen Faxgeräten ausgestattet. Und als das iPhone auf dem Markt erschien, dachte er, die haben doch grade erst den iPod entwickelt und sollen doch damit zufrieden sein.

Jetzt sitzt er skeptisch an seinem Konferenztisch, vor einem Smartphone, auf dem seine Zukunft stattfinden wird. Das weiß er, nur wie, weiß er noch nicht. Er nennt das iPhone „das Gerät“, und wenn er von Tablet-PCs, Twitter, E-Paper und Facebook spricht, scheint es, als sei all das sehr, sehr weit von ihm weg. Papier sei doch ein schönes Produkt, da könne man sich in Ruhe mit hinsetzen, es sei leicht lesbar, brauche keine Batterie und könne kaum kaputtgehen. Papier, sagt er, bliebe noch eine ganze Weile, solange man es pflegt, da sei er sicher.

Aber er tastet sich heran, an die neuen Elektromedien, erfrischend unaufgeregt. Momentan ist er damit beschäftigt, eine US-Steuernummer für ein E-Book über Muslime im Rems-Murr-Kreis zu bekommen, das er in Apples App-Store anbieten will. Wie gut das laufen wird, kann er nicht sagen, es kostet zumindest weniger, als ein Buch zu drucken, das ist das Gute. Es ist ein Experiment, letztlich wird es aber in Hamburg einen oder zwei Forscher geben, die eine Doktorarbeit schreiben über Muslime und das E-Book kaufen, sagt er. Ullrich Villinger denkt das Große im Kleinen und immer etwas langsamer als die anderen.

Muss er denn auch gleich nachziehen, wenn die Stuttgarter, die Backnanger, „Spiegel“ und „Welt“ anstatt einer Bohr- oder Kaffeemaschine ein iPad zum Abo verschenken oder per Abopreis abstottern lassen? Dann bräuchte er ja eine eigene App, für alle möglichen Geräte, und wer weiß, was die sich als Nächstes einfallen lassen. Anstatt hinterherzurennen, sitzt er es erst mal aus und beobachtet. Gemächlich. Vorsichtig. Und bisher hat ihm das nicht geschadet.

Von der Redaktion lässt er die Finger

Aber Ullrich Villinger macht sich keine Illusionen: Mit dem Internet sei es wie mit den Einzelhändlern in der Stadt. In Waiblingen habe es zum Beispiel den Rillen-Rudi gegeben, einen Schallplattenladen, den gibt es nicht mehr, weil nun alle bei Amazon kaufen. Deichmann wird gegen Zalando verlieren, Blätter wie „Flohmarkt“ wurden von Ebay überrollt. Und so sei das mit seinen Zeitungen vermutlich irgendwann auch mal. Aber er sei ja nicht in der Papierindustrie tätig, sondern in der Informationsindustrie, und das beinhalte auch Internet, die Zukunft. Bloß wie, weiß ja keiner so genau. Kostenpflichtig, sagt Villinger, wird es vermutlich nicht werden können. Alleine wegen der Anzeigen. Die basieren auf Klicks, und wo keiner klickt, da keine Anzeigen. Außerdem hätte dann ja auch Google ein Problem, wenn Nachrichten plötzlich kosten würden. Schwierig.

Man hätte im Waiblinger Zeitungsverlag Parship.de erfinden sollen, sagt er, oder Ebay oder Amazon, aber weil sie das eben nicht haben, könnten sie allenfalls Werbung dafür schalten. Massenhaft, wie viele es tun. „Aber wollen wir das? Ne.“ Und sie tun es auch nicht.

„Verlage haben ein Problem“, sagt Villinger. „Wir können eigentlich kaum sparen. Bisschen an Personalkosten, sonst haben wir ja nichts.“ Und so machen es auch die meisten. Jüngstes Beispiel: das Stuttgarter Pressehaus, das erst vergangene Woche angekündigt hat, zehn Redakteursstellen zu streichen, und von dem er seine Sonntagszeitung „Sonntag aktuell“ bezieht und den Mantelteil der „Stuttgarter Nachrichten“. Der sei, sagt Villinger, zwar eher politisch rechts verortet, im Gegensatz zu seiner eher linken Lokalredaktion, aber damit sei er zufrieden. Weil ein eigener Mantel zu teuer wäre und der der „Nachrichten“ Ecken und Kanten hat, eine Haltung, und nicht so glatt und gefällig sei wie der der „Stuttgarter Zeitung“. Aber, sagt Ullrich Villinger, wenn man anfange, am Personal zu sparen, gehe es auch mit den Inhalten zügig bergab, und dann kaufe ja keiner mehr die Zeitung. „Rasante Abwärtsspirale.“ Der Inhalt seiner Blätter ist der Brillant, die Anzeigen die Fassung, die ihn tragen. „Von der Redaktion lasse ich die Finger. Das ist für mich ganz klar“, sagt er. Und da ist er einer der wenigen, die so denken.

Vielleicht läuft es auch deshalb noch so gut in Waiblingen, weil sich der Verleger Villinger nie bemüßigt oder gar befähigt fühlte, sich in die redaktionelle Arbeit einzumischen. Redaktion und Journalismus kann er nicht, sagt er von sich selbst, weil es eben eine Kunst ist, die er sich nicht zutraut, und er selbst eher im Universum der Zahlen zu Hause ist. Er rechnet, die anderen schreiben, und wenn es drauf ankommt, hält er ihnen den Rücken frei. Eine Art Zugewinngemeinschaft.

Ullrich Villinger ist auf seine Redaktion angewiesen. Er gehört zu den wenigen Verlegern, denen das bewusst ist. Sie ist das Herz dieses Unternehmens. Preisgekrönt, zum Beispiel für die dezente und angemessene Berichterstattung über den Amoklauf in Winnenden. Im ZVW arbeiten Redakteure, seit Jahrzehnten 35 Männer und Frauen an den vier Standorten Waiblingen, Schorndorf, Winnenden und Welzheim, die sich in dieser Region auskennen, die ihren Job gut machen. Und das weiß er.

Als seine Redakteure begannen, gegen Stuttgart 21 anzuschreiben, lief er mit einem Pro-S-21-Button am Revers durchs Haus und fand es gut, was sie da machen, weil seine Redakteure Haltung zeigten, eine Meinung vertraten. Und wenn da einer meint, er müsse die Zeitung abbestellen, egal ob wegen S 21 oder einem süffisanten Text über die Schlagersängerin Andrea Berg, dann kommt das zwar auf Villingers Schreibtisch an, aber nur in wirklich ernsten Fällen auf dem der Redakteure. Und als die Streikwelle der Journalisten im vergangenen Jahr auch das Verlagshaus erfasste, fand Villinger das verträglich. Das Einzige, was er sagte, war: „Aber, wenn’s geht, streikt doch bitte nicht so lange.“


Dieser Kommentar ist ursprünglich auf „kontextwochenzeitung.de“ erschienen.