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Ein schwerer Weg auf der digitalen Landkarte

Der Niedergang des Journalismus hat sich in den letzten zehn Jahren beschleunigt. Für die Nachrichtenmedien sollte das eine weniger kleinere Sorge sein, wenn sie erfolgreich auf das Digitale umstellen könnten und wenn das Internet eine Fundgrube für einen glaubwürdiger Ersatz wäre. Alles deutet darauf hin, dass neue digitale Nachrichten eine vernachlässigbare Auswirkung auf die Krise im Journalismus haben. Es liegt sicherlich nicht an einem Mangel an Anstrengung, den kommerzielle Medien im Internet seit den neunziger Jahren an den Tag gelegt haben, sie hatten schon damals verstanden, dass das Internet die Zukunft sein wird.

Für traditionelle Medien aber war es ein sehr steiniger Weg auf der digitalen Straßenkarte. Eine im Jahr 2012 veröffentlichte Studie, die auf detaillierten Interviews mit Führungskräften bei einem Dutzend großen Medien-Unternehmen basiert, stellt fest, dass „die Umstellung von Print zu Online mit dem Verlust von Werbeeinahmen länger dauert und schwieriger ist, als Führungskräfte brauchen würden und dass die Zahl der Zeitungen in einer alarmierenden Geschwindigkeit schrumpft“.

Für jeden siebten verlorenen Dollar in der Print-Werbung, gibt es nur einen neuen Dollar bei den Internet-Werbeeinnahmen. Führungskräfte sagten, es sei ein harter und Kampf um die Existenz. Der Prozentsatz der gesamten Internet-Werbung in der Zeitungsbranche in den USA sank auf 10 Prozent im Jahr 2011, ein Allzeittief, 2003 waren es noch 17 Prozent. „Es gibt keinen Zweifel, wir werden den Betrieb einstellen müssen“, sagte ein Manager. Für die alten Medien finge die Uhr an zu ticken, sie müssten einen Weg finden, um im unaufhaltsamen Übergang zum Internet zu überleben.

„Wir müssen uns monetarisieren“

Es ist tragisch und rührend zugleich, wie engagierte Journalisten wie besessen versuchen, ihre Redaktionen am Leben zu erhalten. „Wir müssen ein Geschäftsmodell finden, das funktioniert“, sagte Redakteur Marshall Ingwerson vom „Christian Science Monitor“ zum NYU Medienwissenschaftler Rodney Benson. „Ich benutze jetzt ein Wort, das ich gehasst habe, aber in den letzten fünf Jahren ist es normal geworden – wir müssen uns monetarisieren. Wie können wir das zu Geld machen, was wir tun? Genau wie jeder andere auch“. Journalisten sind mit Vorträgen überschwemmt worden, in denen es hieß, sie müssten die neuen Technologien umarmen, und sich notwenigerweise von ihren alten Formen des Geschäftstätigkeit verabschieden. Das hätte schon lang geschehen sein müssen, es muss jetzt passieren.

In dieser Diskussion wird angenommen, dass es einen Weg geben muss, um mit digitalem Journalismus Profite zu machen. In den vergangenen Jahren wurden viele amerikanische Zeitungen auf die billige Tour von Hedge-Fonds gekauft – fast ein Drittel der 25 größten Tageszeitungen – der Subtext ist, dass diese Schlaumeier-Unternehmen Gewinne erzielen können, wo die Dummkopf-Journalisten gescheitert sind. Oder wie es John Paton, der schmierige Journalist- CEO eines Nachrichtenunternehmens, das 2011 vom Hedge-Fonds der Firma Alden Global Capital gekauft wurde, ausdrückte: „Wir hatten 15 Jahre Zeit, um herauszufinden, dass das Web eine Industrie ist und dass wir Zeitungsmenschen darin nicht gut sind.“ Offenbar sind das auch die Hedge-Fonds-Manager nicht. David Carr schrieb im Mai 2012, dass „Hedge-Fonds, die glaubten, sich an der Talsohle eingekauft zu haben, nun einen Ausweg suchen, den es nicht gibt.“

Nur wenige wollen über die offensichtliche Frage nachdenken: Was, wenn es einfach unmöglich ist, wirtschaftlich rentablen Journalismus online zu generieren? Was dann?

Das digitale Paradies

In der Zwischenzeit arbeiten Medien-Konzerne wütend daran, ihr digitales Paradies zu finden. Der ursprüngliche Kurs der traditionellen Medien war es, mit digitaler Werbung Geld zu verdienen, mit enttäuschenden Ergebnissen. Auf den meisten Websites für Verlage und Sender gibt es in erster Linie generische Bannerwerbung, die „zu den am wenigsten vertrauenswürdigen Quellen für kommerziellen Informationen zählt“, wie Verbraucher-Befragungen ergeben haben. Sie sind bei den Werbekunden schnell in Ungnade gefallen. Digitale Nachrichten-Websites waren die Nachzügler im „Einsatz von Technik, die die Anzeigen dem Online-Verhalten ihrer Nutzer angepasst“. Außerdem wird etwa 80 Prozent der digitalen Werbung durch Netzwerke platziert, die im Schnitt 50 Prozent daran verdienen. Das bedeutet für den Umsatz eines Tausendkontaktpreises (TKP), dass dieser etwa 2-3 Prozent des TKPs für einen Printleser ausmacht. Schlimmer noch: lokales Marketing, was einst Brot und Butter des Journalismus war, hat den Übergang ins Digitale nicht mitgemacht. In einem 2011 erschienenen Branchenbericht heißt es: „Konsens ist, dass die Internentwerbung, die ihre Preise massiv nach unten gedrückt hat, wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sein wird, unsere täglichen Nachrichten-Seiten zu erhalten“.

Trotzdem: Digitale Werbung brachte den Zeitungen 2011 rund drei Milliarden US-Dollar ein, weit mehr als alle anderen Formen der Einnahmen im Internet. Sie wird zwar nicht aufgegeben, aber es erwartet auch niemand, dass die Werbeeinnahmen wieder steigen werden.

Mit dem Nachdenken über die Möglichkeit, dass die digitale Werbung nicht als Allheilmittel dienen kann, wurde wieder darüber nachgedacht, die Menschen für ihre Online-Nachrichten zahlen zu lassen. Das funktionierte für eine Handvoll prominenter Zeitungen wie das „Wall Street Journal“ und die „Financial Times„, mit gut betuchten Leser und spezialisiertem Business-Content. Auch bei der „New York Times“ mit ihren fast 400.000 Abonnenten, funktioniert die im Jahr 2011 eingeführte Paywall gut. Die „Washington Post„, auf der anderen Seite, bezeichnete Paywalls im Sommer 2012 als rückwärts gerichtet. CEO Don Graham behauptete, sie könne nur für Zeitungen funktionieren wie die „Times“ und das „Journal“, deren Verbreitungsgebiet sich durch die ganze Nation zieht. Überall sonst seien Paywalls ein Flop gewesen, und eine Studie von drei Dutzend Zeitungen, die dies versuchen wollten zeigte, dass nur ein Prozent der Nutzer bereit ist, für Inhalte zu bezahlen.

Ein Akt der Verzweiflung

Trotzdem planten bis 2012 rund 20 Prozent der 1.400 amerikanischen Tageszeitungen, für ihren digitalen Zugang Geld zu verlangen und einige Unternehmen wie beispielsweise „Gannett„, behaupten, sie generierten damit hohe Gewinne. Sie sind durch den Erfolg der Tageszeitungen an Orten wie Finnland und der Slowakei inspiriert. Der Schlüssel ist anscheinend, in der Lage zu sein, eine Menge Inhalte zu einem niedrigen Preis anzubieten – im Idealfall durch eine Kombination mehrerer Zeitungen. Das dürfte in kleineren Nationen mit einem eigenen Sprachraum einfacher sein, als in den Vereinigten Staaten, wo das englischhsprachige Material wächst wie Online-Efeu. Ob es ein Endspiel gibt ist unklar – Abonnenten haben nie genügend Einnahmen für Nachrichtenmedien gebracht – und so scheint es eher ein Akt der Verzweiflung zu sein als eine Vision. Natürlich gibt keine Zeit, darüber nachzudenken, dass man mit Paywalls vielen Menschen den Zugang zu den Nachrichten abschneidet, was einen undemokratischen Charakter hätte.

Die neueste Hoffnung ist, dass sich durch die rasche Entwicklung der mobilen Kommunikation neue Möglichkeiten ergeben, Inhalte zu monetarisieren. Aber die Aufgabe des professionellen Journalismus in seiner idealisierten Form war es, die Nachrichten aus Kommerz, Marketing und politischen Druck zu filtern, um für die Bürger notwendige Informationen zu produzieren. In der Theorie waren Menschen in ihrem Medienkonsum nicht privilegiert gegenüber anderen. Deshalb war es demokratisch. Medien waren eine öffentliche Dienstleistung mit einer mehrdeutigen Beziehung zum Kommerz. Journalisten trafen ihre Entscheidung basierend auf ihrer professionellen Ausbildung und nicht aus kommerziellen Überlegungen. Darum vertrauten ihnen die Menschen. Das Kernproblem all dieser Bemühungen, bezahlten Online-Journalistmus zu machen, ist, dass die Kommerzialisierung die Integrität und den öffentlichen Auftrag des Journalismus gefährdet. Die Heilung kann schlimmer sein als die Krankheit.

Redakteure versuchen verzweifelt, die Inhalte zu finden, die sich sowohl ihre Leser als die Werbetreibenden wünschen, um ihre Konsumenten zu erreichen. In dieser Beziehung halten die Werbetreibenden alle Trümpfe in der Hand und die Medien haben wenig Einfluss. In der neuen Ära der „Smart-Werbung“ bedeutet dies, die Gestaltung der Inhalte den Internet-Profilen der Benutzer anzupassen, es bedeutet auch die Personalisierung von Nachrichten-Texten neben personalisierter Werbung. Die Geschichten, die sich am besten verkaufen sind eher weiche Themen. „Die Herausforderung,“ schreibt Joseph Turow, ist es „herauszufinden, wie redaktionelle Personalisierung durchgeführt werden kann, ohne, dass das Publikum ausflippt.“ Er weist darauf hin, dass die gesamte Logik des Systems aufzeigt, dass anspruchsvolle Werbekunden eine sympathische redaktionelle Erwähnung bekommen. Studien zeigen, dass dies weitaus erfolgreicher ist als ein Verkaufsgespräch. Oder wie es ein frustrierter Redakteur formulierte: „Diese Scheiße kann groovy sein, aber sie stinkt.“

Rammbock Internet

Es ändert sich nicht viel, wenn man sich die neuen Unternehmen ansieht, die entstanden sind und das Internet als Rammbock nutzen, um in die Medienindustrie einzusteigen. „All diese Menschen, die das Ende der Zeitungen wegen des Rückgangs in der Werbung und der Abbonnentenzahlen und der Nichtbereitschaft für Inhalte zu zahlen prognostizieren, können nicht erklären, wie neuer Online-Journalismus funktionieren kann, um zu überleben oder sogar zu gedeihen – da die meisten von ihnen bezahlte Anzeigen und/oder Abonnenten brauchen „, sagte Greg Mitchell, langjähriger Herausgeber von „Editor & Publisher„. „Ich verstehe das nicht.“

Die neuen kommerziellen Unternehmen reichen von „Content Farms“, zu Apps, die mit großen Anstrengungen Redaktionen aufzubauen und ein neues Gefühl für Online-Medien entwickeln. Content Farms wie „Demand Media“ und „Associated Content„, haben „das Trennungsgebot von Staat und Kirche adaptiert und es in ein Geschäftsmodell umgewandelt.“ Diese Firmen arbeiten mit Freiberuflern, die Artikel schnell und billig produzieren und auf beliebte Suchbegriffen reagieren, um dann Werbung zu verkaufen, die neben dem Artikel angezeigt wird. Die Bedürfnisse der Werbekunden beschleunigen den gesamten Prozess. Der Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg ist die Herstellung einer ungeheure Menge an kostengünstigem Material, die führenden Content-Farms können so täglich Tausende Texte und Videos erzeugen.

Pulse“ ist als eine der führenden kommerziellen Nachrichten-Apps aufgetaucht, und hat etwa 13 Millionen Smartphone-Nutzer, die es umsonst nutzen können. „Pulse“ aggregiert die Nachrichten von anderen Unternehmen und verdient sein Geld mit Werbekunden und Händlern. Es verändert sich hin zu einem „branded-content-advertising“, bei dem Anzeigen neben geeigneten Geschichten für individuelle Nutzer stehen. Die offene Frage ist, ob „Pulse“ ein tragfähiges Geschäftsmodell erzeugen und wegen der Netzwerkeffekte eine Monopolstellung etablieren kann, wie Twitter es geschafft hat. Bis 2012 versuchte „Pulse“ zu einem globalen Player zu werden, mit der Möglichkeit, Werbung in Echtzeit und exakt lokalisiert zu platzieren; der Service ist bereits in acht Sprachen verfügbar. „Pulse“ erzeugt keine eigenen Nachrichten, und seine Gründer geben zu, dass sie nicht viel über Journalismus wissen. Auch keiner der anderen mobilen Aggregatoren erzeugt eigene Nachrichten, aber einige ihrer Einnahmen werden wahrscheinlich am Ende in den Händen von anderen Nachrichten-Medien landen und können so letztlich zu bezahltem Journalismus beitragen.

Digitale Zeitung, billig produziert

Das Journalismus-Unternehmen, das online den größten Einfluss hatte, war AOL, das mit Time Warner für ein Jahrzehnt verbunden war, bis AOL im Jahr 2009 wieder unabhängig wurde. AOL kaufte dann „Patch“ um zu einem „hyperlokalen“ digitalen Nachrichtendienst zu werden, mit Niederlassungen in etwa 860 Gemeinden. Es sollte eine digitale Zeitung sein, aber ohne die massiven Produktionskosten. Ein detaillierter und weitgehend sympathischer Bericht in der „Columbia Journalism Review“ von einem „Patch“-Redakteur im Bundesstaat New York beschrieb, wie sich der Dienst auf die wohlhabenderen Gemeinden konzentriert. Nach Monaten, in denen die redaktionellen und kommerziellen Seiten unterscheidbar waren, wurde diese Strategie über Bord geworfen, weil das Unternehmen damit scheiterte, dass Redakteure mit dem Anzeigenpersonal gemeinsam nebenbei „Slogans für Werbeanzeigen entwerfen“ sollten.

Redakteure wurden dann angewiesen, Inhalte bevorzugt zu behandeln, die Menschen auf die Seite bringen, also freien „User-generated Content“ zu veredeln. „Patch“ verlor im Jahr 2011 rund hundert Millionen US Dollar und wird schätzungsweise weitere 150 Millionen Verlust im Jahr 2012 haben. David Carr sagt, „Patch ist nicht besonders nahe daran, den Code zu knacken.“ Wenn „Patch“ möglicherweise in die schwarzen Zahlen kommen wird, wird es die journalistische Vision opfern müssen, die es bei seiner Markteinführung hatte.

„Patch“ wurde ähnlich wie das Geschäftsmodell der „Huffington Post“ entwickelt: mit dem Vertrauen auf ehrenamtliche Arbeit, Inhalte aus anderen Medien, einem Fokus auf Sex und Prominenten um Traffic zu generieren und eigenen Inhalten, wenn Sie es sich leisten können. Aber wie das Schicksal eben so ist, kaufte AOL die „Huffington Post“ im Jahr 2011. In einem internen Vermerk über den Journalismus bei AOL des damaligen CEO Tim Armstrong überwiegt die kommerzielle Logik: Er wies die Redakteure des Unternehmens an, alle zukünftigen Geschichten auf der Grundlage „Traffic-Potenzial, Ertragspotenzial, Redigierqualität und Durchlaufzeit“ zu evaluieren. Alle Geschichten, betonte er, sollen in Bezug auf ihre „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“ ausgewertet werden. Eine Einschätzung der Medienbranche aus dem Jahr 2011 formulierte es so: Dies ist „eine gute Nachricht für PR-Profis, die versuchen, ihre Geschichten unterzubringen“, denn „diese Seiten werden sich Inhalte suchen müssen, um ihre Seiten zu füllen.“

Unter dem Radar?

Armstrongs Memo stellt folgende Frage: Was passiert, wenn eine Geschichte wie die eines fernen Krieges oder die Privatisierung eines lokalen Wasserversorgers nicht das „Traffic-und Ertragspotenzial“ erfüllt? Was ist, wenn kein PR-Lobbyist es pushen will und lieber kostenlose Inhalte breitstellt? Verschwindet das Thema unter dem Radar und damit die Möglichkeit für die Bürger, zu erfahren, was in ihrem Namen, aber ohne ihre Einwilligung geschieht? Für die CEOs könnte das reibungslos verlaufen, für eine demokratische Gesellschaft ist es jedoch furchtbar.

Zwei Aspekte des Kapitalismus und des Internets spielen eine große Rolle im digitalen Journalismus. Erstens, wenn jemand im Online-Journalismus Geld verdienen kann, wird es mit ziemlicher Sicherheit als ein sehr großes, zentralisiertes Unternehmen sein, wahrscheinlich ein Monopolist oder Fast-Monopolist. Das Internet hat sich als effektiver bei der Zentralisierung der Unternehmen herausgestellt, als bei der Steigerung der Dezentralisierung, zumindest in Medien. „Wir sind wahrscheinlich weit mehr zentralisiert als wir es in der Vergangenheit waren“, sagte ein Manager.

Zu einem gewissen Grad ist das so, weil der Mensch nur in der Lage ist, eine kleine Anzahl von Websites, regelmäßig zu besuchen. Der Suchmechanismus von Google fördert Konzentration, weil Websites, die nicht auf der ersten oder zweiten Seite stehen effektiv nicht vorhanden sind. Michael Wolff schreibt in „Wired„: „Auf die Top-10-Websites entfielen 31 Prozent der US-Seitenaufrufe im Jahr 2001, 40 Prozent im Jahr 2006, und etwa 75 Prozent im Jahr 2010.“ Bis zum Jahr 2012, werden nach dem Web-Traffic-Messer Experian Hitwise, 35 Prozent aller Visits im Web bei Google, Microsoft, Yahoo! und Facebook sein. (Die gleichen Unternehmen erhalten zwei Drittel der Online-Werbeeinnahmen.)

Die große Ironie des Internets ist, dass das, was einst als Agent der Vielfalt galt, sich zu einem Motor des Monopols entwickelt hat. Wie beim Journalismus ist es unklar, ob jemand es schafft, das Netz kommerziell zu machen, durch an die Reichen und an die Wirtschaft gerichtetes Material.

Dramatische Lohnsenkungen

Der zweite Aspekt der Verbindung zwischen Kapitalismus und dem Geschäftsmodell des Online-Journalismus ist das Verständnis, dass die Löhne der Journalisten dramatisch gesenkt werden, während die Arbeitsbelastung auf ein Niveau gestiegert wird, was es zuvor noch nicht gab. Armstrongs Memo besagt, dass alle journalistischen Mitarbeiter von AOL in der Lage sein müssen, „fünf bis zehn Geschichten pro Tag“ zu produzieren. Tim Rutten von der „Los Angeles Times“ arbeitete die Essenz dieser Forderung in seiner Einschätzung für AOLs Kauf der „Huffington Post“ im Jahr 2011 heraus: „Um das Geschäftsmodell der „Huffington Post“ zu verstehen, muss man sich das Bild eine Galeere mit rudernden Sklaven vorstellen, die von Piraten befehligt werden“. In der „neuen Medienlandschaft“, schrieb er, „ist es schon klar, dass die Fusion mehr Journalisten tiefer in den tragisch expandierenden Billiglohnsektor unserer immer brutaleren Wirtschaft schieben wird.“

Steigende Arbeitslosigkeit und düstere Aussichten sind der extreme Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen von Journalisten, wie ein tonnenschwerer Elefant, der gerade zu der Demokratie ins Bett klettert. „In den neuen Medien“, schließt Rutten, finden wir „viele der schlimmsten Misshandlungen der alten Wirtschaft des industriellen Kapitalismus – der Sweatshop, mit beschleunigter Akkordarbeit, riesigen Gewinnen für die Eigentümer, aber Plackerei, Verzweiflung und Ausbeutung der Arbeiter. Keine Kinderarbeit, noch nicht, aber wenn es mehr Pageviews gäbe…“ David Watts Barton verließ die „Sacramento Bee“ im Jahr 2007 um bei der „Sacramento Press“, einem hyperlokalen digitalen Medienbetrieb zu arbeiten. Im „Columbia Journalism Review“, beschrieb er die extremen Schwierigkeit, des glaubwürdigen Journalismus, der auf freiwilliger Arbeit basiert. „Redigieren kostet Geld. Bürger-Journalisten sind billig und sie können sogar gut sein, aber selbst große Journalisten brauchen etwas Bearbeitung; Bürger-Journalisten brauchen eine Menge davon… Ohne Journalisten-Jobs, haben wir keinen Journalismus. „

Die Einstellung kommerzieller Medien gegenüber der journalistischen Arbeit wurde im „Journatic„-Aufruhr deutlich, wie ein Whistleblower im Sommer 2012 im öffentlich-rechtlichen Radiosender „This is American Life“ aufdeckte. „Journatic“ ist ein schattenhafter „Anbieter von hyperlokalen Inhalten“, der Publizität angeblich meidet, in dem die Seiten Code enthalten, der das Erscheinen in den Google-Suchergebnisse verringert. „Journatics“ hat Verträge mit Dutzenden von kommerziellen US-Medien, die lokale Berichterstattung anbieten, einschließlich „Newsday“, dem „Houston Chronicle“, dem „San Francisco Chronicle“ und der „Gatehouse Newspaper chain“. Das Geschäftsmodell von „Journatic“ basiert auf der Idee, dass lokale Nachrichten mit tatsächlich bezahlten Journalisten nicht mehr lange eine praktikable Option für viele amerikanische Medien ist, deswegen bietet Journatic die Discount-Alternative an.

40 Cent pro Artikel

„Journatics“ lokale Berichterstattung wird von schlecht bezahlten Schreiber und Freiberufler aus den Vereinigten Staaten und, ironischerweise, den Philippinen, geliefert, wo Journatic Autoren anheuert, um in der Lage zu sein, 250 Beiträge minimum pro Woche anzubieten, bei 35 bis 40 Cent pro Artikel“. „Journatic“-CEO Brian Timpone sagt, die Entlohnung sei „mehr als an den meisten Orte in den Philippinen.“ Sie produzieren gefälschte Geschichten unter amerikanisch klingenden Autorennamen, so dass es scheint, als lebten sie in der örtlichen Gemeinschaft, in der die Geschichten veröffentlicht werden. Ein Grund für die Aliasnamen ist, dass es Lesern und anderen Journalisten verdächtig vorkommen könnte, wenn sie die Anzahl der Artikel, die ein einziger Autor produziert hat bemerken würde. So könnte man die Illusion dass all das Lokalreporter sind nicht aufrecht erhalten.

Nicht überraschend sind die Geschichten von „wenig mehr als umgeschrieben Pressemitteilungen“, wie der Whistleblower sich ausdrückt. Sie enthalten auch eine beträchtliche Anzahl von Fehlern, Fälschungen und Plagiaten. Aber für den flüchtigen Leser eines „Journatic“-Clients, scheint es so, als sei die Zeitung oder die Website voll von ursprünglich lokalem Material.

Die „Tribune Company„, der die „Chicago Tribune“ gehört, hat im April 2012 in „Journatic“ investiert und die Berichterstattung für die 90 „TribLocal„-Seiten und 22 Wochenendausgaben outgesourced. „TribLocal“ hat die Hälfte seiner 40 Mitarbeiter entlassen, als sie einen Vertrag mit „Journatic“ eingingen, und ihren Output verdreifacht. Als das bekannt wurde, unterschrieben 90 Mitglieder des „Chicago Tribune“-Newsroom eine Petition und protestieren gegen die Rolle von „Journatic“. Am 13. Juli hat das Unternehmen auf unbestimmte Zeit die Verwendung „Journatic“ in seinen Zeitungen unterbrochen, aber der hyperlokalen Content-Provider ist immer noch in anderen Märkten sehr aktiv und wartet darauf, dass sich die schlechte Publicity in Luft auflöst.

Outsourcing nach Indien

Das ist kaum das Ende der Geschichte. Der Verleger von „Pasadena Now„, James MacPherson, erklärte, er wolle sich gegen das Outsourcing-Konzept wehren, das was „Journatic getan hat, sei ziemlich schäbig.“ Seine Firma hatte im Jahr 2007 begonnen, den Journalismus nach Indien outzusourcen, aber das Programm wurde bald danach vertagt, er war offenbar seiner Zeit voraus. Macpherson nutzt eine Internet-Software, die Amazon im Jahr 2012 entwickelt hat, um Aufträge für freiberufliche Journalisten auf der ganzen Welt auszuschreiben und sagt: „Ich lagere praktisch alles aus. Ich bin in erster Linie auf der Suche nach Menschen, denen ich für viel Arbeit einen geringen Preis zahlen muss“. Er räumt jedoch Einschränkungen ein: „Es gibt sicherlich niemanden in Manila, der versteht, was in Pasadena passiert.“ Aber die Wirtschaft ist eben so, argumentiert Macpherson, dass Outsourcing unvermeidlich ist:

Wenn der Journalismus zunehmend rote Zahlen schreibt, wird logischerweise die Frage gestellt, wer diese menschliche Arbeit überhaupt braucht? „StatSheet„, eine Tochtergesellschaft von „Automated Insights“, nutzt Algorithmen, um numerische Daten in narrative Artikel für 418 Sport-Websites zu generieren. „Automated Insights“ generiert so Computer-basiert 10.000 bis 20.000 Artikel pro Woche für eine Immobilien-Website, und die aufstrebende Computer-Generated-Content-Industrie ist davon überzeugt, dass Algorithmen ein wesentlicher Bestandteil des Nachrichtenschreibens in der naher Zukunft werden. „Ich bin sicher, dass ein Journalist einen besseren Artikel schreiben kann als eine Maschine“, sagt ein CEO der Immobilienagentur, die mit „Automated Insights“ zusammenarbeitet, „aber was ich suche, ist die Masse, mit einer bestimmten Qualität.“

Kurz gesagt, das Internet mildert nicht die Spannungen zwischen Kommerz und Journalismus, sondern vergrößert sie. Mit unter- oder unbezahlter Arbeit, folgert die Forschung, dass die ursprüngliche Form des Journalismus durch das Internet sich dazu wandelt, etwas zu werden, was ist einfach ist und Spaß macht und dazu neigt, sich „auf Lifestyle-Themen, wie Unterhaltung, Einzelhandel und Sport zu konzentrieren und nicht auf harten Nachrichten.“ Wenn der traditionelle Journalismus – auch der schlechte – zerfällt, gibt es auch kein Modell mehr für den Betrieb von Online-Journalismus, der irgendwo in der Nähe von bereits glaubwürdig entwickelten Medien stattfindet. Und es gibt auch keinen Grund, diesen in der Zukunft zu erwarten.

Es gibt wohl keinen besseren Beweis, dass der Journalismus ein öffentliches Gut ist, als die Tatsache, dass es kein Finanz-Genie in Amerika gibt, das herausgefunden hat, wie man damit Geld machen kann. Der Vergleich zur Bildung ist auffällig. Wenn Manager die Logik des Marktes auf Schulen anwenden, wird das fehlschlagen, denn auch Bildung ist ein öffentliches Gut und kein Geschäft.


Copyright © 2013 by Robert McChesney. This excerpt originally appeared in Digital Disconnect: How Capitalism Is Turning the Internet Against Democracy, published by The New Press Reprinted here with permission.