Eine Frage des Formats
Bei der ersten Electric Book Fair in Berlin ist am 21. Juni ausführlich über die Bedeutung und Zukunft digitaler Verlagsinhalte gesprochen worden. VOCER war als Medienpartner vor Ort, um aus den Diskussionen der Buchbranche auch Inspiration für den Journalismus zu schöpfen. Der Publishing-Experte Fabian Kern hielt einen Vortrag über die richtige Formatwahl bei E-Books — anschließend sprach er mit VOCER über das Problem geschlossener Marktplatz-Kreisläufe und nicht berücksichtigte Kundenbedürfnisse.
VOCER: Herr Kern, wenn Sie als Experte für digitales Publizieren herangezogen werden, was sind dann die drängendsten Probleme und Fragen der Literaturverlage?
Fabian Kern: Ich habe mich auf Produktions- und Technikfragen von digitalen Inhalten spezialisiert. Ich werde gerufen, um den Verlagen den Weg von der Produktion von Print-Erzeugnissen hin zu – im Optimalfall – der integrierten Herstellung von gedruckten und digitalen Medien zu ebnen.
In den allermeisten Fällen wird auf EPUB2 gesetzt. Dabei handelt es sich um das simpelste E-Book-Format, weil es auf reine Lesetexte ausgelegt ist und relativ wenige Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Es ist allerdings auch das Format, das über alle Marktplätze und Lesegeräte hinweg und auf allen Plattformen genutzt werden kann. Weil der Massenmarkt für dieses Format da ist, tendieren eben auch die Produzenten dazu, fast ausschließlich EPUB2 für ihre digitalen Produktionen zu verwenden. Das Mobipocket/KF8-Format von Amazon muss natürlich auch bedient werden, dies erfolgt aber in der Regel durch automatische Konvertierung der EPUB2-Dateien.
Zwar haben sich inzwischen innerhalb der Branche die Standardformate EPUB und Amazons Mobipocket durchgesetzt. E-Books sind aber noch immer ein Nischenthema. Was machen die Verlage falsch?
Eines der großen Markthindernisse des E-Books ist meines Erachtens nach die Abschottung der verschiedenen Marktplätze-Anbieter. Dass sie geschlossene Kreisläufe aus eigenen Shops und Lesegeräten schaffen, ist ein Fehler. Die Rechteschutzfrage, die dort versucht wird in eine eigene Variante der digitalen Formate hineinzucodieren, verhindert es bisher recht effektiv, dass man Dateien zwischen den einzelnen Umgebungen austauschen kann. Und da ziehe ich für mich immer die Parallele zu dem, was vor zehn Jahren im Musikbereich passiert ist: Erst als dort das Digital-Rights-Management kein relevantes Thema mehr war, konnte ein Massenmarkt für digitale Inhalte entstehen.
Wenn es darum geht, digitale Inhalte rentabel zu machen, werden immer die Musikindustrie und Beispiele wie Spotify oder iTunes bemüht. Wie tauglich sind solche Vorbilder tatsächlich?
Zum Teil stimmen diese Vergleich, zum Teil aber auch sicher nicht. Sie stimmen, wenn man darüber spricht, in welcher andere Branche schon in der Vergangenheit ähnliche Fehler begangen worden sind. Wenn es allerdings um Lösungsansätze geht, dann ist die Musikbranche für die Literatur- oder andere Teile der Medienbranche sicher kein Vorbild. Zum Beispiel kann die Musikindustrie die Umsatzrückgänge bei den Tonträgen durch Einnahmen aus Live-Konzerten kompensieren – und tut dies sehr erfolgreich. Das ist für den Verlagsbereich keine realistische Lösung: Autorenlesungen finden dort zwar statt, aber werden kaum in absehbarer Zeit zu einem nennenswerten Umsatzträger werden. Wie man Verluste im Verkauf physischer Medien ausgleichen kann, ist eine Frage, auf die die Buchbranche ihre eigenen Antworten finden muss.
Ein großes Manko von Medienunternehmen ist es bei der Lösungssuche, dass auf die Kundenbedürfnisse viel zu wenig eingegangen wird, oder?
Natürlich. Wenn man gute digitale Angebote realisieren will, muss man die Wende in der Produktentwicklung machen, die alle erfolgreichen Unternehmen im Online-Bereich vollzogen haben: im besten Fall alle Produkte nur noch vom Kunden aus denken und entwickeln. Gerade bei enhanced Medien mit multimedialen Elementen ist häufig nicht klar, wo der Nutzwert des Ganzen für den Leser ist. Überall dort, wo in Fachmedjen visuelle Elemente die Informationsvermittlung unterstützen, sind multimediale Inhalte durchaus sinnvoll eingesetzt. Für Enhanced E-Books in der Belletristik und bei Publikumstiteln sehe ich hingegen keinen großen Bedarf.
Nachrichtliche Online-Medien sollten also schon auf multimediale Inhalte setzen?
Davon halte ich sehr viel, ja. Angefangen bei investigativem Journalismus, der sich auf Big-Data-Auswertungen stützt, bis hin zu einer anderen Visualisierung von Informationsgrundlagen – darin sehe ich auch für die journalistischen Genres große Chancen. International bei der „New York Times“, aber auch hierzulande bei der „Süddeutschen Zeitung“ passiert da ja schon eine Menge. Es ist da aber sicherlich noch ein weitaus größeres Potenzial, das neue journalistische Formen für die Entwicklung der Online-Medien haben.